2.
Auch Nathanael hatte gesagt: „Rabbi, Du bist der Sohn Gottes, Du bist der König Israels“1 . Aber weit entfernt, selig gepriesen zu werden, wird er vielmehr noch zurechtgewiesen, als reichten seine Worte bei weitem nicht an die Wahrheit heran. Denn wir lesen weiter: „Weil ich zu dir gesprochen habe: Ich sah dich unter dem Feigenbaume, glaubst du? Größeres denn dieses wirst du noch sehen“2 . Weshalb wird also Petrus selig gepriesen? Weil er bekannte, dass er der wirkliche Sohn Gottes ist. Darum hatte der Herr bei jenen anderen nichts dergleichen gesagt; bei Petrus dagegen teilt er sogar mit, wer es ihm geoffenbart hatte. Weil nämlich Petrus Christus überaus liebte, hätten die Leute meinen können, er habe diese Worte nur aus Zuneigung und Schmeichelei gesagt oder um ihm eine Freude zu machen; darum sagt Christus, wer es ihm eingegeben habe; er will dir eben zu erkennen geben, dass Petrus zwar die Worte sprach, der Vater sie aber gleichsam S. d771diktierte; und will dich davon überzeugen, dass seine Worte nicht mehr bloß die Ansicht eines Menschen, sondern eine Lehre Gottes enthalten. Warum spricht er dies aber nicht selbst aus und sagt nicht: Ich bin Christus; warum führt er vielmehr durch seine Fragen darauf hin und leitet sie so zum Bekenntnisse an? Diese Art und Weise war unter jenen Umständen für ihn schicklicher und notwendig; denn er bewog dadurch die Jünger leichter zum Glauben an das, was er sagte. Bemerkst du, wie der Vater den Sohn offenbart, und der Sohn den Vater? Christus sagte ja: „Niemand erkennt den Vater, ausgenommen der Sohn, und wem es der Sohn offenbaren will“3 . Man kann also durch niemand anderen den Sohn kennen lernen als durch den Vater, und den Vater durch niemand anderen als durch den Sohn. Daraus geht auch klar und deutlich hervor, dass beiden gleiche Ehre und gleiches Wesen eigen ist.
Was sagt nun Christus? „Du bist Simon, der Sohn des Jona, du sollst Fels heißen.“Weil du ausgesprochen hast, wer mein Vater ist, so nenne ich auch den, der dich gezeugt hat. Doch sagt er nicht: Wie du der Sohn des Jona bist, so bin ich auch der Sohn meines Vaters. Es wäre ja doch überflüssig gewesen zu sagen: Du bist der Sohn des Jona. Weil aber Petrus ihn Sohn Gottes genannt hatte, so fügte er es bei, um zu zeigen, dass er in derselben Weise der Sohn Gottes ist, wie jener der Sohn des Jona, nämlich der gleichen Wesenheit wie der Erzeuger.
V.18: „Und ich sage dir: Du bist Fels, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“;
d.h. auf den Glauben deines Bekenntnisses. Hiermit weist er zugleich darauf hin, dass viele schon in Bereitschaft stehen zu glauben, und richtet seinen Mut auf und setzt ihn zum Hirten ein. „Und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen.“ Wenn sie aber wider die Kirche nichts vermögen, dann noch viel weniger S. d772gegen mich! Daher beunruhige dich nicht, wenn du einst hören wirst: Ich werde verraten und gekreuzigt werden. Daraufhin erwähnt Christus auch noch eine zweite Auszeichnung.
V.19: „Und ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben.“
Was soll das heißen: „Und ich werde dir geben?“ Wie dir der Vater es gegeben hat, dass du mich erkanntest, so will auch ich dir geben. Er sagte nicht: Ich werde den Vater bitten, obschon das, was er andeutete, eine große Machtbefugnis voraussetzte und das Geschenk unbeschreiblich groß war; er sagte nur: Ich will dir geben. Was willst du geben? „Die Schlüssel des Himmelreiches, damit alles, was du auf Erden bindest, auch im Himmel gebunden sei, und alles, was du auf Erden lösest, auch im Himmel gelöst sei.“ Wie kommt es nun, dass derjenige, welcher spricht: „Ich will dir geben“, es nicht auch gewähren kann, dass jemand zu seiner Rechten oder Linken sitze? Siehst du, wie er wieder den Petrus zu einem tieferen Verständnis seiner Person führt, einerseits sich selbst verbirgt und anderseits durch diese beiden Verheißungen sich als Sohn Gottes bekundet? Denn er verspricht ja, ihm selbst das zu geben, was nur Gott allein zusteht, nämlich Sünden nachzulassen und die Kirche trotz des größten Ansturmes der Wogen unzerstörbar, ja einen einfachen Fischer unerschütterlicher zu machen als jeden Fels, und wenn auch die ganze Welt ihn bekämpfte. Ähnlich hat ja auch der Vater dem Jeremias verheißen:„Ich mache dich zu einer eisernen Säule und einer ehernen Mauer“4 . Und doch wir Jeremias nur für ein einziges Volk bestellt, Petrus aber für die ganze Erde. Diejenigen, welche den Sohn an Würde niedriger stellen wollen, möchte ich fragen: Welche Gaben sind größer, die, welche der Vater, oder die, welche der Sohn dem Petrus verlieh? Der Vater zeichnete ihn aus, indem er ihm den Sohn offenbarte, der Sohn aber, indem er ihm die Vollmacht gab, die Offenbarung des Vaters und des S. d773Sohnes in alle Welt zu verbreiten, und ihm, einem sterblichen Menschen, durch die Überreichung der Schlüssel die Gewalt erteilte über alles, was im Himmel ist; er, der die Kirche so groß wie die ganze Erde und den Petrus stärker als den Himmel machte. Denn: „Der Himmel und die Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen“5 . Wie sollte derjenige geringer sein, der solche Gaben verleiht, solche Anordnungen trifft? Damit will ich keineswegs die Werke des Sohnes von denen des Vaters trennen, denn: „Alles ist durch das Wort geworden und ohne dasselbe ist nichts geworden“6 . Damit sollen nur Leute, die unverschämte Behauptungen aufstellen, zum Schweigen gebracht werden.