II.
„Erscheinung" aber, sagt er, anzeigend, daß sie, wenn gleich nicht sichtbar vorhanden, doch jetzt schon vorhanden ist und einst sichtbar werden wird. Es braucht also Standhaftigkeit; denn darum habt ihr die Wundergabe erhalten, auf daß ihr standhaft bleibet.
8. Er wird euch bis an’s Ende auch standhaft erhalten, ohne daß ihr sträflich sein werdet.
Hier scheint er zwar ihnen zu schmeicheln, aber seine Worte entbehren jeglicher Schmeichelei; denn er versteht es, sie auch zu rügen, so z. B. wenn er spricht: „Zwar haben Einige die stolze Einbildung, als würde ich nicht zu euch S. 28 kommen;“1 und wieder: „Was wollt ihr? Soll ich mit der Ruthe oder in Liebe und im Geiste der Milde zu euch kommen?“2 Und: „Fordert ihr einen Beweis des in mir redenden Christus?“3 Seine Worte enthalten einen verdeckten Tadel; denn durch die Worte: „Er wird standhaft erhalten“ und „unsträflich“ gibt er zu erkennen, daß sie noch wankten und sträflich seien. — Du aber betrachte, wie er sie fortwährend an den Namen Christi anschließt. Keines Menschen, keines Apostels, keines Lehrers erwähnt er, sondern immer des Geliebten, und sucht sie, da sie gleichsam von einem Rausche betäubt waren, wieder davon zu befreien. Denn in keinem andern Briefe erscheint so oft der Name Christi, hier aber oft und zwar in wenigen Versen, ja darin besteht fast der ganze Eingang desselben. Erwäge nur den Anfang: „Paulus, berufener Apostel Jesu Christi: an die GeHeiligten in Christo Jesu welche anrufen den Namen unseres Herrn Jesus Christus; Gnade euch und Friede von Gott dem Vater und dem Herrn Jesus Christus; Dank sage ich meinem Gotte ob der Gnade, welche euch gegeben worden in Christus Jesus; wie denn das Zeugniß Christi in euch befestiget worden; die ihr erwartet die Offenbarung unsers Herrn Jesus Christus, welcher euch auch festigen wird sonder Schuld am Tage der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.“
9. Getreu ist Gott, durch den ihr berufen worden zur Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn.
Siehst du, wie häusig der Name Christi vorkommt? S. 29 Daraus ersehen wohl auch die Einfältigsten, daß Dieses nicht so geradehin und ohne Absicht geschieht, sondern daß Paulus durch die oftmalige Wiederholung dieses herrlichen Namens ihre Aufgeblasenheit niederschlagen und das krebsartige Übel vertilgen will.
„Getreu ist Gott, durch den ihr berufen worden zur Gemeinschaft seines Sohnes.“ Ha, wie Herrliches spricht er hier aus! Welch großes Geschenk stellt er ihnen vor Augen! Zur Gemeinschaft mit dem Eingebornen seid ihr berufen, und ihr schließt euch an Menschen an? Kann es etwas Erbärmlicheres geben? Und wie seid ihr berufen worden? Durch den Vater. Weil Paulus bei Erwähnung des Sohnes oft gefasst hatte: durch ihn und in ihm, so schreibt er Dieß dem Vater zu, damit sie denselben nicht für geringer halten sollten, nicht durch diesen oder jenen Menschen, sagt er, sondern durch den Vater seid ihr berufen; durch ihn seid ihr auch reich geworden. Und ihr seid berufen worden, nicht aus eigenem Antrieb gekommen. —Was heißt aber Das: „zur Gemeinschaft mit seinem Sohne?“ Höre, wie er Dasselbe anderswo deutlicher ausspricht: „Wenn wir dulden, werden wir auch mitherrschen; wenn wir mit ihm sterben, so werden wir mit ihm auch leben.“4 Weil er nun etwas Großes gesagt hatte, so führt er auch einen vollgültigen unwiderlegbaren Beweis an; denn er sagt: „Gott ist getreu“ d. h. wahrhaftig; ist er aber wahrhaftig, so wird er auch thun, was er versprochen hat: er hat aber versprochen, uns zu Mitgenossen des eingebornen Sohnes, zu machen; dazu hat er uns ja berufen; „denn unbereuet sind die Gnadengaben und die Berufung Gottes.“5 Das setzt er aber hier absicht- S. 30 lich voraus, damit sie nach einer so harten Beschuldigung nicht verzagen sollten. Denn was Gott versprochen hat, wird ganz sicher geschehen, wenn wir nicht ganz verkehrt sind wie die Juden, welche die Güter, zu denen sie berufen waren, nicht annehmen wollten. Die Schuld lag also nicht an dem Rufenden, sondern an ihrer Undankbarkeit; denn er wollte geben, sie aber machten sich der Gabe verlustig, weil sie dieselbe nicht annehmen wollten. Hätte er sie zu mühseligen und beschwerlichen Dingen berufen, so wäre ihre Weigerung dennoch unverzeihlich gewesen, obgleich sie so die Schwierigkeit hätten vorschützen können. Da sie nun aber berufen worden sind zur Reinigung von den Sünden, Gerechtigkeit, Heiligung, Erlösung, zu Gnaden und Geschenken und bereitstebenden Gütern, die kein Auge gesehen, kein Obr gehört hat, und da Gott selber es ist, der sie ruft: welche Verzeihung sollten sie wohl verdienen, wenn sie nicht herbei eilen? Niemand gebe also Gott die Schuld; denn nicht der Rufende ist die Ursache des Unglaubens, sondern sie, die Widerspenstigen. — Aber er hätte sie, heißt es, auch gegen ihren Willen dazu nöthigen sollen. Mit nichten; denn er zwingt nicht und braucht nicht Gewalt. Wer schleppt wohl die Menschen, wenn er sie zu Ehrenstellen, zu Siegeskränzen, zu Gastmahlen und festlichen Versammlungen ladet, gebunden herbei? Gewiß Niemand; Das wäre ja eine Beschimpfung. Zur Hölle schickt Gott die Menschen wider ihren Willen, zum Himmel aber beruft er sie mit ihrer Einwilligung. In’s Feuer führt er sie gebunden und wehklagend, nicht also zur unaussprechlichen Seligkeit. Denn es wäre ja eine Erniedrigung dieser Güter, wenn sie nicht so beschaffen wären, daß man ihnen freiwillig entgegen eilte und sich dafür recht dankbar bezeigte.
D. h. der Dünkel Einiger geht so weit, triumphirend zu behaupten, der Apostel fürchte sich vor ihnen und getraue sich nicht nach Korinth, darum schicke er den Timotheus. Reischl. ↩
I. Kor. 4, 18. 21. ↩
II. Kor. 13, 3. ↩
II. Tim. 2, 12. 11. ↩
Röm. 11, 29. D. h. was Gott beschlossen, reut ihn nicht, weil sein Beschluß in göttlicher Allwissenheit gegründet ist. Vgl. Reischl. ↩
