III.
Sage mir nicht: Ich kann dir nicht nachahmen: du bist Lehrer und ein großer Mann; denn der Abstand zwischen mir und euch ist nicht so groß, als zwischen mir und Christus; dennoch habe ich mich nach ihm gebildet. In seinem Briefe an die Epheser stellt er sich nicht in die Mitte, sondern weiset gleich Alle auf Gott hin mit den Worten: „So ahmet denn Gott nach!“1 Hier aber, wo er es mit Schwachen zu thun hat, stellt er sich als Mittelsperson auf. Damit zeigt er aber übrigens, daß man auch so Christo nachahmen könne; denn wer ein wohlgetroffenes Abbild nachahmt, der ahmt zugleich das Urbild nach. Sehen wir also, wie er sich nach Christus gebildet habe. Diese Nachahmung erfordert weder Zeitaufwand noch Kunst, sondern nur guten Willen. Betreten wir die Werkstätte eines Malers, so werden wir nicht im Stande sein, ein Bild nachzumachen, wenn wir es auch tausendmal anschauen: diesem Apostel aber können wir uns nachbilden schon durch das bloße Hören. Wollt ihr, daß ich auch die Lebensweise Pauli schildere und Dieß in einem Bilde vor Augen stelle? Da werdet ihr ein Bild sehen, weit herrlicher als die Bild- S. 217 nisse der Kaiser. Was da vor euch steht, sind nicht zusammengefügte Bretter, ist nicht ausgespannte Leinwand, sondern Gottes Werk — Leib und Seele. Die Seele ist Gotteswerk, nicht Menschenwerk; so auch der Leib … Ihr klatscht mir da Beifall? Aber es ist jetzt nicht die Zeit des Beifallrufens; was nun erst folgt, das sollt ihr beifällig aufnehmen und nachahmen. Den Stoff des Gemäldes haben Alle gemein; denn die Seele, insoferne sie Seele ist, gleicht jeder andern, nur in dem Willen liegt der Unterschied. So ist auch der Körper als Körper von keinem andern verschieden, sondern der Leib des Paulus gleicht dem der Andern, nur durch die ausgestandenen Gefahren wurde er glänzender. Dasselbe gilt auch von seiner Seele. Unser Bild sei also die Seele des Paulus. Dieses Bild war vorher von Rauch geschwärzt und mit Spinnengewebe überzogen, — denn Nichts ist schlimmer als Lästerung. Sobald aber der Wiederhersteller aller Dinge kam und sah, daß es nicht aus Nachlässigkeit und Trägheit also geworden, sondern durch Unwissenheit und aus Mangel des Glanzes der Gottseligkeit (den Eifer hatte er zwar, aber das war nicht die rechte Farbe, denn sein Eifer war ohne Einsicht): gab er ihm die blühende Gestalt der Wahrheit d. h. die Gnade, und so ward es bald ein königlich Bild. Nachdem er nun die Farben erlangt und gelernt hatte, was er früher nicht wußte, so wartete er nicht länger, sondern zeigte sich gleich als vortrefflichen Meister. Zuerst zeigte er das königliche Haupt, indem er Christum verkündete, dann auch den übrigen Leib, durch strengen Lebenswandel. Die Maler schließen sich ein und arbeiten mit großem Fleiße und im Stillen an ihren Werken und öffnen keinem Menschen die Thüre; dieser aber stellte sein Gemälde öffentlich vor aller Welt aus, und während Alle sich ihm widersetzten und tobten und lärmten, vollendete er, ohne sich stören zu lassen, dieses königliche Bild; und darum sprach er: „Wir sind der Welt ein Schauspiel geworden,“ indem er im Angesichte der ganzen Erde, des Meeres, der sichtbaren und übersinnlichen Welt jenes Bild vollendete. Wollt ihr auch die üb- S. 218 rigen Theile desselben, vom Kopf abwärts, sehen? Oder soll ich von den unteren Theilen zu reden beginnen? Betrachte nun diese goldene, ja Goldeswerth überbietende, des Himmels werthe Gestalt, nicht mit Blei gelöthet, nicht an eine Stätte gebannt, wie sie von Jerusalem nach Illyrien eilt, von da nach Spanien zieht und die ganze Erde, wie beflügelt, durchreist! Was ist schöner als diese Füße, welche die ganze Erde, soweit die Sonne scheint, durchwandert haben? Diese Schönheit hat der Prophet schon von Alters her mit den Worten verkündet: „Wie schön sind die Füße der Friedensboten!“2
Hast du gesehen, wie schön die Füße sind? Willst du auch die Brust sehen? Wohlan, ich will sie dir zeigen, und du wirst sehen, daß sie noch weit herrlicher ist als jene schönen Füße und selbst als die Brust des alten Gesetzgebers. Moyses trug (vor der Brust) die steinernen Tafeln; Dieser aber hatte in der Brust Christum und trug das königliche Bild und das der Bundeslade. Darum war er auch ehrwürdiger als die Cherubim; denn von dorther erscholl keine solche Stimme, wie aus seiner Brust; von dorther erschollen meist nur Orakel über sinnliche Gegenstände, Pauli Zunge aber redete von himmlischen Dingen. Von der Bundeslade aus ergingen die Aussprüche Gottes bloß an die Juden, durch Paulus aber an die ganze Welt; dort durch leblose Dinge, hier durch eine tugendreiche Seele.
