IV.
Diese Bundeslade war glänzender als der Himmel, nicht durch die Mannigfaltigkeit der funkelnden Sterne und die Sonnenstrahlen, sondern weil von dort aus die Sonne der Gerechtigkeit ihre Strahlen verbreitete. Den sichtbaren Himmel verdüstert oft dahingleitendes Gewölk; jene Brust aber ward nie von einer Sturmwolke verfinstert. Doch ja! Oft ward sie von vielerlei Stürmen ergriffen, aber ihr Licht S. 219 erlosch nicht, sondern es leuchtete mitten unter Versuchungen und Gefahren. Darum rief er auch mit Ketten gebunden: „Gottes Wort ist nicht gebunden.“1 So entsandte er durch seine Zunge beständig die Strahlen; keine Furcht, keine Gefahr verfinsterte seine Brust. Vielleicht scheint die Brust die Füße weit zu übertreffen; jedoch diese sind schön als Füße und die Brust als solche. Willst du auch seinen schönen Leib sehen? Höre, was er davon sagt: „Wenn eine Speise meinen Bruder ärgert, so werde ich kein Fleisch essen in Ewigkeit.“2 „Besser ist es, kein Fleisch zu essen, keinen Wein zu trinken, überhaupt sich dessen zu enthalten, woran dein Bruder Anstoß nehmen oder wankend werden könnte.“3 „Die Speisen sind für den Magen, und der Magen für die Speisen.“4 Was ist schöner als dieser Leib, der so an Genügsamkeit und Mäßigung gewöhnt zu entbehren, zu hungern und zu dursten verstand? Wie ein wohl abgerichtetes Roß mit goldenem Zaume ging er, die Forderungen der Natur besiegend, abgemessenen Schrittes einher; denn Christus lenkte ihn. Bei dieser Selbstbeherrschung ist es einleuchtend, daß jedes andere Böse geschwächt wurde. Willst du auch sehen, wie jetzt seine Hände beschaffen sind? Oder willst du sehen, wie schlimm sie vorher gewesen? „Er drang in die Häuser, riß Männer und Frauen heraus.“5 Das waren nicht Menschenhände, sondern Krallen eines reissenden Thieres. Nachdem er aber die Farbe der Wahrheit und die geistige Kenntniß erlangt, waren diese Hände nicht mehr Menschenhände, sondern geistige, täglich mit Ketten gefesselt: Niemanden schlugen sie, wurden aber selber unzählige Male geschlagen. Diese Hände scheute auch einst jene Natter;6 denn es waren nicht mehr Menschenhände, darum fürchtete sie dieselben. Willst du auch den Rücken sehen, gleich den übrigen Gliedern? Höre, was er davon sagt: „Fünfmal habe ich von den Juden vierzig Streiche S. 220 weniger einen erhalten; dreimal wurde ich mit Ruthen geschlagen, einmal gesteinigt; dreimal habe ich Schiffbruch gelitten, habe Nacht und Tag in Meerestiefe zugebracht.“7 Damit aber nicht auch wir in eine unermeßliche Tiefe gerathen, da wir mit jedem einzelnen Gliede beschäftigt zu lange umbergetrieben werden, — so wollen wir, vom Körper abstehend, eine andere Schönheit betrachten, nämlich die Kleider; vor dieser fürchteten sich sogar die Teufel, denn sie flohen und Krankheiten wichen. Wo immer Paulus sich zeigte, da beugte sich Alles und wich wie vor dem Besieger der ganzen Erde. Gleichwie Diejenigen, die im Kriege schwer verwundet worden, beim bloßen Anblick der Waffe Dessen, der ihnen diese Wunde geschlagen, erschaudern, so verschwanden auch die Teufel beim bloßen Anblick seines Schurzes.8 Wo sind nun die Reichen, die mit ihrem Gelde groß thun? wo Diejenigen, die ihre Würden herzählen und ihre kostbaren Kleider? Wenn sie ihre Gewänder mit denen des Paulus vergleichen, so müssen ihnen jene dagegen insgesammt wie Koth und Lehm erscheinen. Und was rede ich von Kleidern und goldenem Schmuck? Wenn man mir die Herrschaft über die ganze Erde einräumte, so hielte ich einen einzigen Nagel des Paulus für stärker als dieses ganze Reich; seine Armuth wäre mir lieber als aller Überfluß, seine Verachtung mehr als aller Ruhm, seine Blöße mehr als alle Schätze; die Schläge, die jenes heilige Haupt erhielt, zöge ich jeder Freiheit, und die Steine, womit Jener beworfen wurde, jedem Diademe vor. Nach dieser Krone wollen wir uns sehnen, Geliebte! Und wenn gleich jetzt keine Verfolgung bevorsteht, so wollen wir indeß uns darauf vorbereiten. Dieser Mann ward nicht bloß durch Verfol- S. 221 gungen groß; denn er sprach: „Ich züchtige meinen Leib;“9 das kann aber auch ohne Verfolgung geschehen. Auch ermahnt er, den Leib nicht zu pflegen zu Gelüsten;10 und wieder: „Wenn wir Nahrung und Bedeckung haben, so sollen wir damit zufrieden sein.“11 Dazu bedarf es ja keiner Verfolgungen. So weist er auch die Reichen zurecht mit den Worten: „Die reich werden wollen, fallen in Versuchung.“12
Wenn also auch wir uns auf diese Weise üben, so werden wir im Kampfe den Preis erhalten und, obschon keine Verfolgung bevorsteht, doch über uns selbst große Siege erringen. Mästen wir dagegen unsern Leib und führen ein Leben wie Schweine, so werden wir — selbst im Frieden — viele Sünden begehen und Schande davon tragen. Siehst du nicht, mit welchen Feinden wir zu kämpfen haben? Mit den unkörperlichen Mächten. Wie werden wir nun diese besiegen, da wir Fleisch sind? Wenn schon Derjenige, der mit Menschen zu kämpfen hat, in der Nahrung Maß halten muß, um wie viel mehr, wer gegen die Dämonen streitet! Wenn wir aber neben der Beleibtheit auch noch vom Reichthum gefesselt sind, wie werden wir dann die Gegner besiegen? Denn der Reichthum ist eine Fessel, eine drückende Fessel für Diejenigen, die ihn nicht zu gebrauchen verstehen; er ist ein grausamer und unmenschlicher Tyrann, dessen Befehle alle auf das Verderben seiner Sklaven abzielen. Doch wenn wir nur wollen, können wir diesen harten Tyrannen entthronen und zwingen, uns zu gehorchen und nicht zu befehlen. Wie kann Das geschehen? Wenn wir den Reichthum unter Alle vertheilen. Solange derselbe einzeln gegen Einzelne steht, stiftet er wie ein Räuber in seinem Versteck alles Unheil; ziehen wir ihn aber an’s Licht, so wird er uns nicht mehr beherrschen, da ihn Alle allseitig binden.
II. Timoth. 2, 9. ↩
I. Kor. 8, 13. ↩
Röm. 14, 21. ↩
I. Kor. 6, 13. ↩
Apostelg. 8, 3. ↩
Apostelg. 28, 3. ↩
II. Kor. 11, 24. 25. ↩
Σημικίνθιον, lat. semicinctium, Halbgurt, Schurz, Schürze, womit nur ein Theil des Körpers bedeckt wurde. Arnoldi übersetzt es mit „Schweißtücher“. ↩
I. Kor. 9, 27. ↩
Röm. 13, 14. ↩
I. Tim. 6, 8. ↩
Ebend. V. 9. ↩
