IV.
Ja, Das sage ich nicht, wirst du erwidern, sondern warum die Tugend nicht gemächlich ist. Wenn wir nur wollen, so ist sie sehr leicht. Sage mir, was ist denn leichter: in das Haus eines Andern einbrechen, ihn bestehlen und dann in’s Gefängniß gerathen, oder sich mit dem Seinigen begnügen und von aller Furcht frei bleiben? Noch habe ich nicht Alles gesagt. Was ist denn leichter: alle Menschen berauben und eine kurze Zeit in Wohlleben zubringen und dann ewige Qual und Folter ausstehen, oder eine kurze Zeit in Armuth, aber gerecht leben und nachmals einer immerwährenden Wonne genießen? Wir wollen noch nicht untersuchen, was ersprießlicher sei, sondern für jetzt nur fragen, was leichter sei. Was ist angenehmer: einen süßen Traum haben und in Wahrheit gezüchtiget werden; oder einen schweren Traum haben und in Wahrheit der Wonne genießen? Nicht offenbar das Letztere? Sage mir, wie kannst du nun die Tugend noch hart nennen? Hart ist sie nur, wenn sie nach unserer Trägheit beurtheilt wird. Daß sie im Gegentheile leicht und angenehm ist, vernimm aus den Worten Christi: „Mein Joch ist sanft, und meine Bürde ist leicht.“1 Fühlst du diese Leichtigkeit nicht, so ist das ein Beweis, daß du keinen kräftigen Muth hast. Denn ist dieser vorhanden, so wird das Schwere leicht; fehlt aber dieser, so wird das Leichte schwer. Sage mir: was ist süßer, was kostet weniger Mühe als ein Gericht Manna? Und dennoch eckelte die Juden ob dieser köstlichen Speise. Was ist bitterer als der Hunger und andere Beschwerden, die Paulus erlitt? Allein er freute sich und frohlockte und S. 235 sprach: „Jetzt freue ich mich in meinen Leiden.“2 Was ist die Ursache hievon? Die Verschiedenheit der Gesinnung. Wenn du dir nun eine Gesinnung aneignest, wie sie sein soll, so wirst du die Leichtigkeit der Tugend begreifen. „Wie? Besteht also die Leichtigkeit derselben bloß in der Gesinnung Derjenigen, die ihr nachstreben?“ Nicht allein durch die Gesinnung wird sie leicht, sie ist es auch ihrer Natur nach. Denn wäre die Tugend durchaus beschwerlich, das Laster aber gerade das Gegentheil, so dürfte wohl einer jener Nachlässigen die Behauptung aufstellen, es sei leichter, dem Laster als der Tugend zu dienen. Wenn aber bei dieser der Anfang beschwerlich, bei jenem aber angenehm, der Ausgang aber gerade verkehrt ist und sowohl in Bezug auf das Angenehme als auf das Unangenehme ewig währt: was ist da leichter zu wählen? Warum wählen denn aber Viele nicht das Leichte? Weil die Einen noch ungläubig sind, die Andern zwar glauben, aber ein verdorbenes Herz haben und eine zeitliche Wonne der ewigen vorziehen. Ist also Das angenehm? Keineswegs; es ist nur ein Zeichen einer schwachen Seele. Gleichwie die Fieberkranken nach einem Trunke kalten Wassers verlangen, nicht weil eine augenblickliche Lust angenehmer ist als ein anhaltender Brand, sondern weil sie ihre übermäßige Gier nicht zu bezwingen vermögen, — so auch Diese. Wollte sie Jemand auf einem lustigen Wege zur Strafe führen, so würden sie diese keineswegs wählen. Siehst du, daß das Laster nicht leicht ist? Wenn du willst, so wollen wir das nochmals aus den Thatsachen selber erörtern; denn was ist angenehmer und leichter? Wir dürfen aber auch hier die Dinge nicht nach der Begierde der Menge beurtheilen; denn nicht nach den Kranken, sondern nach den Gesunden muß man entscheiden. Wenn du mir auch unzählige Fieberkranke zeigst, die nach Dem verlangen, was der Gesundheit nachtheilig ist, und es vorziehen, später dafür zu büßen, so werde ich diese Wahl S. 236 nimmermehr gutheissen. Was ist also leichter, nach großen Reichthümern trachten oder diese Begierde beherrschen? Mir scheint das Letztere leichter. Willst du mir nicht glauben, so wollen wir die Sache selber zu Wort kommen lassen. Setzen wir den Fall, daß Einer Vieles, ein Anderer Nichts verlangt: sage mir, was ist denn besser, was ehrenvoller?
