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Jedoch lassen wir Das bei Seite; denn es ist ja offenbar, daß der Letztere vor dem Erftern den Vorzug verdient. Davon ist auch jetzt nicht die Rede, sondern welcher von Beiden glücklicher und seliger lebe. Der Geizige genießt nicht einmal Das, was er hat; denn er will das geliebte Geld nicht ausgeben, eher ließe er sich in Stücke zerhauen und gäbe eher sein eigenes Fleisch als sein Gold hin. Wer aber das Geld verachtet, hat doch schon diesen Gewinn, daß er ohne Sorge und mit Ruhe genießt, was er besitzt, und daß er sich selber dem Gelde vorzieht. Was ist nun angenehmer: das Seinige mit Ruhe genießen oder unter der Tyrannei des Reichthumes stehen und es nicht einmal wagen, sein Eigenthum anzurühren? Das kömmt mir gerade so vor, wie wenn zwei Männer sehr geliebte Gattinen hätten und sich diesen gegenüber ganz ungleich benähmen: dem einen sei es erlaubt, die seinige zu berühren und mit ihr zu verkehren, dem andern nicht einmal gestattet, der seinigen in die Nähe zu kommen. Ich werde noch etwas Anderes sagen, um das Vergnügen des Einen und den Schmerz des Andern zu schildern. Der Geizige wird diese Begierde nimmermehr stillen, nicht nur weil er nicht alle Anderen zu berauben vermag, sondern auch weil er bei Allem, was er zusammengescharrt, Nichts zu besitzen vermeint. Wer aber das Geld verachtet, hält Dieß alles für überflüssig und quält seine Seele nicht mit gränzenloser Begierlichkeit. Nichts verdient so sehr den Namen Strafe als eine unbefriedigte Begierde, und das ist auch ein Zeichen einer verkehrten Seele. Betrachte nur: der Geizhals, wenn er auch viel erworben hat, ist nicht besser daran, als wenn er gar Nichts besäße. Kann es wohl eine verwickeltere Krank- S. 237 heit geben als diese? Und Dieß ist noch nicht das einzige Übel, sondern auch daß er Das, was er besitzt, für Nichts achtet und sich grämt, als wenn es wirklich Nichts wäre, und, wenn er auch Alles an sich gebracht hätte, nur um so mehr sich der Angst überläßt. Hat er hundert Talente, so kränkt es ihn, daß es nicht tausend sind: und hat er tausend, so schmerzt es ihn, daß es nicht zehntausend sind; und sind es zehntausend, so ist Das der Kummer, daß es nicht noch zehnmal mehr ist: je mehr er besitzt, desto ärmer wird er; denn je mehr er hat, desto mehr wünscht er. Darum wird er in dem Maaße, wie seine Schätze sich mehren, nur immer dürftiger; denn wer mehr begehrt, ist auch mehr dürftig. Besitzt er hunhert Talente, so ist er noch nicht sehr arm; denn er wünscht nur tausend; hat er aber tausend Talente, dann wird er schon ärmer, denn er behauptete, daß ihm jetzt zehntausend nöthig seien und nicht nur tausend wie früher. Sagst du mir aber, daß unbefriedigte Begierde Vergnügen bringe, so scheinst du mir die Natur des Vergnügens gar nicht zu kennen. Daß dieses kein Vergnügen, sondern eine Züchtigung sei, will ich dir an einem andern Beispiele zeigen. Wenn wir dürsten, so gewährt uns das Trinken darum Vergnügen, weil wir dadurch den Durst stillen; und es ist darum Vergnügen, weil es uns von einer großen Qual, von der Begierde, zu trinken, befreit; Das ist doch wohl Jedem klar. Wollten wir aber diese Begierde fortwährend nähren, so hätten wir eine Qual zu leiden wie jener Reiche, der sich des Lazarus nicht erbarmte. Denn dann bestand seine Qual, daß er nur ein Tröpflein Wassers begehrte und Niemanden hatte, der es ihm reichte. Dieselbe Strafe scheinen mir die Geizigen beständig zu leiden: gleich jenem ersehnen sie es und erhalten es nicht; ja ihre Seele brennt heftiger als die Seele des Reichen. Ganz treffend sagte Jemand, die Geizigen gleichen den Wassersüchtigen; denn wie diese, obschon der Leib von Wasser geschwollen ist, nur desto mehr dürsten, so dürsten auch die Geizigen nach mehr Geld, je mehr sie dessen besitzen. Die Ursache davon ist diese: gleichwie die Wassersüchtigen das S. 238 Wasser nicht in den dazu bestimmten Organen haben, so bewahren auch diese ihre Begierde nicht mit der dazu gehörigen Einsicht. Fliehen wir also diese ausserordentliche und sonderbare Krankheit; fliehen wir diese Wurzel alles Bösen; fliehen wir die vorhandene Hölle: — denn eine Hölle ist die Geldgier. Decke einmal die Seele des Einen und Andern auf, die des Geizhalses und die Desjenigen, der das Geld verachtet, und du wirst sehen, daß jener dem Rasenden gleich, der Nichts sehen und Nichts hören will; daß Dieser, einem ruhigen Hafen gleich, aller Menschen Freund wie jener aller Leute Feind ist. Beraubt man ihn, so kränkt er sich nicht; und gibt man ihm, so wird er nicht stolz, sondern bleibt in einer ruhigen Gleichmüthigkeit. Jener ist gezwungen, Allen zu schmeicheln und zu heucheln; Dieser thut Dieses vor Keinem. Wenn nun der Geizige arm und ängstlich, ein Schmeichler und Heuchler, überall von Sorgen, Qual und Strafe umringt ist, der Verächter des Geldes hingegen von Allem das Widerspiel ist: ist es da nicht offenbar, daß die Tugend größere Wonne gewährt? Auch andere Übel wollte ich noch anführen, um zu beweisen, daß kein Laster Vergnügen verschaffe, wenn ich nicht schon vorher so Vieles gesagt hätte. Da wir nun Dieses wissen, so laßt uns die Tugend ergreifen, damit wir sowohl hienieden die Wonne genießen und die zukünftigen Güter erlangen durch die Gnade und Menschenfreundlichkeit u. f. w. Amen.
