III.
2. Oder wisset ihr nicht, daß die Heiligen die Welt richten werden?
Du also, der du einst Jene richten sollst, wie kannst du es jetzt zugeben, daß sie dich richten? Die Heiligen werden aber die Welt richten, nicht als ob sie selbst zu Gerichte sitzen und Rechenschaft fordern, sondern weil sie die Welt verdammen werden. Dieses spricht er aus mit den Worten: „Und wenn durch euch die Welt gerichtet wird, seid ihr unwerth, daß ihr über so Geringes, richtet?“ Er sagt nämlich nicht: von euch, sondern: „durch euch,“ gleichwie er auch sagt: „Die Königin von Mittag wird … aufstehen und dieses Geschlecht verdammen“ und: „Die Bewohner von Ninive werden auf- S. 265 stehen und dieses Geschlecht verdammen.“1 Wenn sie das Sonnenlicht und alles Andere mit uns gemeinschaftlich hatten und wir nun glaubten, Jene aber ungläubig blieben, so werden sie Unwissenheit wohl nicht vorschützen können; denn wir werden sie durch unsere Werke verdammen. Und solch richtender Werke wird man dort nicht wenige finden. Damit ferner ja Niemand wähne, er rede von Andern, siehe, wie er die Sache als Alle betreffend darstellt: „Und wenn durch euch die Welt gerichtet wird, seid ihr unwerth, daß ihr über so Geringes richtet? Die Sache, sagt er, gereicht euch zur Schande und unaussprechlichen Schmach. Da sie sich leicht schämen mochten, von Ihresgleichen gerichtet zu werden, so sagt er im Gegentheil, es gereiche ihnen zur Schande, sich von Heiden richten zu lassen; denn das sind Entscheidungen über Geringfügigkeiten, nicht aber Jenes.
3. Wisset ihr nicht, daß wir Engel richten werden, um wie viel mehr Weltliches?
Einige behaupten, daß hier auf die Priester angespielt werde; doch Das sei ferne; denn er redet von den Dämonen. Hätte er (unter „Engel“) die schlechten Priester verstanden, so würde er auf diese oben hingedeutet haben, wo er sagt: „Durch euch wird die Welt gerichtet;“ denn die Schrift pflegt ja auch die bösen Menschen Welt zu nennen, und der Apostel würde auch die nämliche Sache nicht zweimal genannt und dann, als wollte er etwas Größeres sagen, Dieses so ausgedrückt haben. Er redet vielmehr von jenen Engeln, von denen Christus sagt: „Gehet hin in’s Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist;“2 und Paulus: „Seine Diener geben sich den Schein von Dienern der Gerechtigkeit.“3 Denn wenn die unkörper- S. 266 lichen Wesen schlechter befunden werden als wir, die wir mit Fleisch bekleidet sind, so werden sie härter bestraft werden. Wenn aber dennoch Manche darauf bestehen, daß er von den Priestern rede, so fragen wir: von welchen Priestern? „Natürlich, die ein weltliches Leben führten.“ Warum sagt er denn aber: „Wir werden Engel richten, um wie viel mehr Weltliches?“ Im Gegensatze zum Weltlichen nennt er die Engel; und ganz richtig, weil diese ihrer vorzüglichen Natur nach über die irdischen Bedürfnisse erhaben sind.
4. Wenn ihr nun weltliche Rechtsstreite habt, so setzet die Unansehnlichsten, welche in der Gemeinde sind, zu Richtern.
Dadurch will er uns mit allem Nachdruck belehren, daß wir in keinem Falle, wie er auch immer beschaffen sein möge, uns den Heiden anvertrauen sollen, und löst schon im Voraus den scheinbaren Einwurf, der darauf gegründet werden könnte. Er will nämlich sagen: Vielleicht wendet Jemand ein, es sei unter euch kein Weiser, Keiner, der zum Richteramt die Befähigung habe, Alle seien unbedeutende Leute. Und was soll Das? Wenn auch kein Weiser da ist, sagt er, so überlasset es den Geringsten!
5. Das aber sage ich zu eurer Beschämung.
Hiemit weiset er sie zurecht und zeigt, daß ein solcher Einwurf eine unnütze Bedenklichkeit sei. Darum fährt er fort: „So ist denn unter euch nicht ein einziger Verständiger?“ Ist bei euch ein solcher Mangel, eine solche Armuth an verständigen Männern? Das Folgende enthält aber eine noch schärfere Rüge; denn nachdem er gesagt: „So ist denn unter euch kein einziger Verständiger,“ setzt er bei: „der zwischen seinen Brüdern Recht sprechen könnte?“ Wo Bruder mit S. 267 Bruder rechtet, da bedarf der Schiedsrichter nicht großer Einsicht und Gelehrsamkeit, indem die Verwandtschaft und Liebe zur Schlichtung des Streites sehr Vieles beiträgt.
6. Aber ein Bruder streitet sich mit seinem Bruder, und das vor Ungläubigen!
Siehst du, wie er Anfangs die heidnischen Richter zweckdienlich Ungerechte, hier aber, um sie (die Christen) zu beschämen, Ungläubige nennt; denn es ist gar schimpflich, wenn das Ansehen des Priesters nicht einmal soviel über Brüder vermag, daß sie sich versöhnen, sondern zu den Heiden ihre Zuflucht zu nehmen genöthiget sind. Durch den Ausdruck: „die Unansehnlichsten“ will er ihnen diese ja nicht als Richter empfehlen, sondern er ertheilt ihnen dadurch eine Rüge. Denn daß man die Entscheidung den Fähigen überlassen müsse, Das deutet er an mit den Worten: „Ist denn unter euch kein einziger Verständiger?“ Er benimmt ihnen gänzlich jegliche Ausflucht und sagt: Wenn unter euch auch kein Verständiger wäre, so müßtet ihr eher den Unverständigen (aus eurer Mitte) als den heidnischen Richtern die Entscheidung anheimstellen. Ist es denn ungereimt, daß man bei häuslichen Zwisten keinen Fremden herbeiruft und sich schämt, wenn die Geheimnisse des Hauses ausposaunt werden, hingegen in Bezug auf die Kirche, die einen Schatz unaussprechlicher Geheimnisse birgt, Alles hinausträgt? „Aber ein Bruder streitet sich mit seinem Bruder, und das vor Ungläubigen!“ Da ist ein doppeltes Unrecht: daß man sich streitet, und Dieses vor Heiden. Wenn, es schon an sich sündhaft ist, mit seinem Bruder zu rechten, wie unverzeihlich ist Dieß erst dann, wenn es vor Heiden geschieht!
7. Schon ist’s überhaupt ein Gebrechen unter euch, daß ihr unter einander Rechtsstreite habt.
Siehst du, wie er davon zu reden verschob? Und wie er jetzt überhaupt das Rechten aufheben will? Er will sa- S. 268 gen: Mag der Eine Unrecht thun, der Andere Unrecht leiden, so verdienen Beide Tadel, weil sie Prozeß führen, und Keiner ist in dieser Beziehung besser als der Andere.
