II.
Es heißt nicht schlechtweg: „die Reichen,“ sondern: „Die, welche reich werden wollen;“ denn es kann auch Einer, der Geld hat, dasselbe gut verwenden, kann es gering schätzen und unter die Armen vertheilen; solche Leute meint der Apostel nicht mit seinem Tadel, sondern die Geldgierigen. Also: „Wer reich werden will,“ sagt er, „der fällt in Versuchung und in den Fallstrick des Teufels und in viele unvernünftige und schädliche Begierden, welche den Menschen in die Tiefe versenken, — treffend ist der Ausdruck: „in die Tiefe versenken“ (βυθίζουσι), so daß man auch nicht mehr emportauchen kann, — in Verderbniß und Untergang.“ 10. Denn die Wurzel aller Übel ist der Geiz, welchem anhängend Einige vom Glauben abgeirrt sind und sich mit vielen schmerzlichen Wunden durchbohrt haben.
Man sieht, von zwei Übeln spricht der Apostel, und das empfindlichste davon meint er hier zuletzt, nämlich die S. 230 „schmerzlichen Wunden“. Und man kann auf keine andere Weise besser wahrnehmen, als wenn man der Nachbar eines Reichen ist, welche Qualen, welchen Jammer ihn sein Geld bereitet.
11. Du aber, Mann Gottes!
Eine hohe Würde! Zwar sind wir alle „Männer Gottes“, aber im eigentlichen Sinne sind es die Gerechten und diese nicht bloß im Sinne der Erschaffung durch Gott, sondern auch im Sinne der Freundschaft mit Gott; wenn du also ein Mann Gottes bist, will der Apostel sagen, so suchen nicht das Überflüssige, das nicht zu Gott Hinführende, sondern „fliehe Das, jage aber der Gerechtigkeit nach;“ — beide Ausdrücke sind stark; es heißt nicht: „Stehe ab und komm’ heran!“ sondern: „Fliehe und jag’ nach!“ so daß du dem Geize entgehst, — „der Frömmigkeit (in Beobachtung der Gebote), dem Glauben (dem Gegensatz zur Spekulation), der Liebe, Geduld und Sanftmuth!“ 12. Kämpfe den Kampf des Glaubens, ergreife das ewige Leben, — da kommt auch der Lohn, — wozu du berufen bist und worauf du das schöne Bekenntniß abgelegt hast in der Hoffnung des ewigen Lebens vor vielen Zeugen.
Das heißt: Schäme dich nicht dieser frohen Zuversicht; denn was sollst du dich umsonst abmühen?
Welche „Versuchung“ und welcher „Fallstrick“ soll denn nach der Meinung des Apostels Jene, die reich werden wollen, bedrohen? Der Geiz bringt sie vom Pfade des Glaubens ab, umgibt sie mit Gefahren, macht sie feige.
S. 231 „In viele unvernünftige Begierden.“ Ist etwa das keine „unvernünftige Begierde“, wenn die Reichen sich Narren und Zwerge halten, nicht aus Nächstenliebe, sondern zum Vergnügen? Wenn sie Fische einsperren in die Teiche auf ihren Landsitzen, wenn sie wilde Thiere füttern, sich mit Hunden abgeben, ihre Pferde prächtig ausstaffieren und nicht weniger an ihnen hängen als an den Kindern? Das sind unvernünftige und überflüssige Dinge, da kann man nicht von Nothwendigkeit, nicht von Nutzen sprechen.
„Unvernünftige und schädliche Begierden.“ Was für schädliche? Wenn sie unordentlicher Liebe nachgehen, wenn sie mit Verlangen auf Hab und Gut des Nächsten blicken, dem Wohlleben fröhnen, der Trunksucht ergeben sind, auf Mord und Verderben Anderer sinnen. Viele haben in solcher Liebesleidenschaft sogar schon der Fürstin nachgestellt1 und dabei ihren Tod gefunden. Wahrhaftig, ein solcher Mensch vergeudet seine Kraft an unvernünftige oder vielmehr sogar schädliche Dinge.
Treffend heißt es ferner: „Sie sind vom Glauben abgeirrt.“ Der Geiz läßt sie den rechten Weg nicht sehen, indem er ihre Augen auf sich lenkt und sie binnen Kurzem vom Wege unmerklich abbringt. Gleichwie nämlich Einer, der die gerade Straße dahingeht und dabei an andere Dinge denkt, zwar seinen Weg fortsetzt, aber, ohne es zu merken, an der Stadt vorbeikommt, die sein Ziel war, so daß er seine Füße erfolglos und umsonst abmüdet: so ungefähr ist es auch mit dem Geize.
„Sie haben sich mit vielen schmerzlichen Wunden durchbohrt.“ Siehst du, was der Apostel mit dem Aus- S. 232 druck „durchbohren“ meint? Was er mit diesem emphatischen Ausdrucke sagen will, ist Folgendes: Die Begierden sind Dornen. Und wie man sich an den Dornen blutig ritzt und verwundet, wenn man sie berührt: so leidet Dasselbe auch durch die Begierden, wer in dieselben hineingeräth, und er bettet seine Seele in Schmerzen. Denket nur, welche Sorgen, welche Schmerzen haben solche „Durchbohrte“! Es läßt sich gar nicht aussprechen. Deßhalb heißt es weiter:
„Fliehe Das, jage aber der Gerechtigkeit nach, der Frömmigkeit, dem Glauben, der Liebe, Geduld und Sanftmuth.“ Die Liebe ist ja die Quelle der Sanftmuth.
„Kämpfe den guten Kampf!“ Hier lobt er den Freimuth und das männliche Auftreten des Timotheus. Mit Freimuth, sagt er, habe er „auf Alles das Bekenntniß abgelegt.“ Er erinnert ihn an die Katechumenatszeit.
„Ergreife das ewige Leben!“ Also nicht bloß das Bekenntniß ist nothwendig, sondern auch das Ausharren, so daß man allezeit bei seinem Bekenntnisse stehen bleibt, ferner natürlich heisser Kampf und tausend Schweißtropfen, so daß man sich nicht dreht (gleich einer Windfahne). Viele Ärgernisse gibt es ja und viele Hindernisse. Deßhalb ist der Weg eng und schmal. Allseitig muß man auf der Hut, allseitig muß man gerüstet sein. Auf allen Seiten tauchen Schaaren von Lüsten auf, welche die Augen der Seele auf sich ziehen: die Fleischeslust, die Geldgier, die Neigung zum Wohlleben, zur Trägheit, der Ehrgeiz, die Leidenschaft des Zornes, die Herrsch- und Großmannssucht; und diese Phantome stehen da mit glänzenden und verliebten Augen, dazu angethan, daß sie berücken und verlocken, wenn man nicht mit ganzer Liebe an der Wahrheit hängt. Diese freilich ist von hagerer Gestalt und hat nichts S. 233 sinnlich Bezauberndes. Warum denn? Weil sie für jeglichen Genuß auf das Jenseits verweist. Die ersteren aber halten uns schon jetzt Ehren, Lüste, Erfolge vor die Augen, freilich keine ächten, nur gefärbte Sachen. Wenn nun Jemand gemeinen Sinnes ist, weich und unmännlich, so greift er nach diesen Dingen, um frei zu sein von den Mühsalen des Tugendweges. So kann Einer auch bei den weltlichen Wettkämpfen, falls er nicht heiß nach Siegeskränzen verlangt, sich sofort dem Essen und Trinken hingeben. So machen es die Feigen und Unmännlichen unter den Wettkämpfern, Diejenigen aber, denen es um einen Kranz zu thun ist, müssen unzählige Schläge aushalten; die Hoffnung auf die Zukunft ist’s ja, die ihn nährt und aufecht erhält.
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Τυραννίδι ἐπέθεντο. Das Wort τυραννίς, in klassischer Zeit = „Alleinherrschaft“, wird seit den LXX auch als Femininum von τύραννος gebraucht. ↩