IV.
Es läßt sich nichts Schlimmeres denken, als die Verwilderung der Menschheit vor der Ankunft Christi; man lebte in Krieg und Feindschaft mit einander. Väter schlachteten ihre Söhne und Mütter ras’ten gegen ihre Kinder. Es gab nichts Feststehendes, kein natürliches, kein geschriebenes Gesetz, sondern Alles war in Verwirrung. Ehebruch ohne Ende, Mordthaten und noch Schlimmeres, Diebstähle. Ein heidnischer Schriftsteller behauptet, daß letztere sogar als Heldenstücke galten. Ganz natürlich, da für dieselben sogar ein eigener Gott verehrt wurde. Es gab Orakelsprüche in Menge, welche befahlen, Den oder Jenen aus dem Leben zu schaffen. Ich will ein Vorkommnis aus jener Zeit erzählen. Ein gewisser Androgeos, der Sohn des Minos, der nach Athen gekommen und im Ringkampf Sieger geblieben war, mußte Das büßen und ward getödtet. Apollo nun, Böses mit Bösem heilend, gab den Befehl, für diesen Mann zweimal sieben Kinder zu opfern. Was kann grausamer sein als ein so tyrannischer Befehl? Er wurde ausgeführt, und um den wahnsinnigen Auftrag des Götzen zu vollziehen, stürzte sich ein Mensch auf die Kinder und schlachtete sie hin; denn die Lügen des Orakels galten bei den Heiden Alles. Freilich, als die Athener sich dann erhoben und zur Wehr setzten, war’s damit vorbei. Wäre nun der Befehl des Orakels gerecht gewesen, so hätte man dessen Ausführung nicht hindern dürfen; S. 478 war er aber ungerecht, wie er es wirklich war, so hätte er von Anfang an nicht gegeben werden sollen.
Man hat damals Ringer und Turner förmlich angebetet. Der Krieg in Stadt, Dorf und Haus war permanent. Knabenschändung war an der Tagesordnung. Einer der heidnischen Philosophen stellte es als ein Gesetz auf, daß Sklaven nicht das Recht haben sollten, Knaben zu lieben und sich den Körper zu salben, gleich als ob die Päderastie ein Vorzug und eine Ehrensache wäre. Deßhalb trieben sie auch dieses Laster öffentlich in den Häusern. Und wenn man ihre ganze Literatur durchforscht, so wird man bestätigt finden, daß sogar wider die Natur gefrevelt wurde, und daß Niemand dagegen auftrat. Ihre Dramen strotzen von Ehebruch, Wollust und Korruption. Es gab Orgien, die ganze Nächte dauerten, und Frauen bildeten das Publikum. Welche Verkommenheit! Man übernachtete im Theater, und die Jungfrau saß zwischen rasenden Jünglingen und mitten unter einem betrunkenen Haufen. Das waren Volksfeste, denen die Finsterniß und ihre Werke das Gepräge gaben. Deßhalb sagt der Apostel: „Auch wir waren einst unverständig, ungläubig, gingen in der Irre umher und fröhnten mancherlei Begierden und Gelüsten.“ Da ist ein Sohn, der sich in seine Mutter, eine Tochter, die sich in ihren Vater verliebt und dann erhenkt hat. Von der Päderastie, die man als „ein Spiel mit Knaben“ (παιδικά) zu bezeichnen pflegte, läßt sich gar nicht reden. Aber willst du sehen, wie Einer seine Mutter heirathet? Auch Das gibt es bei ihnen, und was nun erst recht schlimm ist, es geschah Das ohne Wissen, und ihr Gott verhinderte es nicht, sondern ließ diese Blutschande zu und zwar in einer erlauchten Familie. Wenn aber Leute, von denen man erwarten sollte, daß sie, wenn auch aus keinem andern Grunde, so doch aus Rücksicht auf die öffentliche Meinung auf dem Pfade der Tugend bleiben würden, — wenn diese sich solchen Lastern in die Arme warfen, was muß der in der Dunkelheit lebende Pöbel Alles verübt haben! Wie viel- S. 479 gestaltig erscheint hier die Wollust! Eine Ehefrau liebte einen andern Mann. Aus Liebe zum Ehebrecher bringt sie den heimgekehrten Mann um. Die Meisten von euch kennen ja wohl die Geschichte. Den Ehebrecher ermordete dann der Sohn des Getödteten, und auch die Mutter hat er abgeschlachtet. Dann verfiel er selber in Wahnsinn und ward von den Furien gejagt. Hierauf ging dieser Wahnsinnige fort, tödtete noch einen andern Mann und heirathete dessen Weib. Was sind das für schreckliche Begebenheiten!
Deßhalb führe ich diese Beispiele aus dem Heidenthume an, damit ich den Heiden deutlich zeige, in welche Laster damals die Welt versunken war. Aber ich will, wenn’s euch beliebt, auch aus unseren Kreisen Beispiele beibringen. „Sie opferten ihre Söhne und Tochter den Götzen,“ sagt der Psalmist.1 Und hinwiederum sind die Einwohner von Sodoma aus keiner anderen Ursache dem Untergang verfallen, als weil sie von der Manie für Knabenliebe besessen waren. Und weiter sogar in der ersten Zeit der Erscheinung Christi, hat da nicht die Tochter des Königs mitten im Speisesaale vor betrunkenen Männern einen Tanz aufgeführt? Hat sie nicht einen Mord verlangt und zum Preis für ihren Tanz das Haupt des Propheten gefordert? „Wer erzählt die Großthaten des Herrn?“2 „Wir waren hassenswerth und haßten einander.“3 Ja gewiß, wenn wir unserer Seele jegliche Lust gewähren, dann kann es gar nicht anders sein, als daß allenthalben Haß auflodert. Warum? Weil neben der Tugend keine sinnliche Liebe bestehen kann; weil unter tugendhaften Leuten Niemand in die Rechte eines Gatten eingreift. Vernimm auch, was Paulus spricht: „Täuschet euch nicht! Weder Hurer noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Weichlinge noch Knabenschänder noch Betrüger noch Lästerer noch Trunkenbolde werden das Reich S. 480 Gottes erben. Und solche sind Einige von euch gewesen.“4 Siehst du, wie jede Gattung von Lastern auf die Oberfläche trat, wie gleichsam eine dicke Nebelschicht auf der Welt lag, wie die Gerechtigkeit untergegangen war? Wenn nun Diejenigen, unter denen Propheten lebten, und die solche Unglücksfälle über ihre Feinde und über sich selber hereinbrechen sahen, dennoch sich nicht in den Schranken hielten, sondern die schlimmsten Dinge verübten, wie mußte es erst bei den Andern sein! Es gab bei ihnen einen Gesetzgeber, welcher verordnete, daß die Jungfrauen nackt vor den Augen der Männer Ringkämpfe aufführen sollen. Ein Glück, wenn es euch anwidert, nur davon zu hören. Die Philosophen aber errötheten nicht über eine solche Schamlosigkeit. Ein anderer Philosoph aber, eine Koryphäe der Heidenzeit, will die Mädchen in den Krieg geführt wissen und überläßt sie der allgemeinen Benützung wie ein Kuppler und Hurentreiber.5 "Wir lebten in Bosheit und Neid,“ sagt der Apostel. Wenn die Philosophen bei den Heiden solche Gesetze haben, was soll man erst von den Leuten sagen, die keine Philosophen waren? Wenn die Männer, welche lange Bärte trugen und den Philosophenmantel umgeschlagen hatten, so daherreden, was muß man erst von den Andern denken? Nein, mein lieber, dazu ist das Weib nicht da, daß es ein Gemeingut ist für alle Männer. O ihr, die ihr Alles auf den Kopf stellt, die ihr mit dem männlichen Geschlecht verkehrt wie mit dem weiblichen, die ihr die Weiber in den Krieg schickt gleich den Männern. Das ist ja das Werk des Teufels, daß er Alles in Wirrwarr bringt und auf den Kopf stellt, daß er die ursprünglichen Grenzlinien, welche Gott in die Natur gelegt hat, antastet und verrückt. Gott hat festgesetzt, daß das Weib sich um das Hauswesen kümmere, S. 481 und daß der Mann sich der öffentlichen Thätigkeit widme. Du aber hast den Kopf zu den Füßen hinab versetzt und die Füße hinauf zum Kopfe. Du bewaffnest die Weiber und empfindest dabei keine Scham? Warum ich solche Dinge anführe? Nun, sie bringen auch ein Weib auf die Bühne, das sogar seine Kinder ermordet hat, und sie fühlen keine Beschämung und keine Scheu, wenn sie so ruchlose Dinge den Menschen zu Gehör bringen.
Als aber die Güte und Barmherzigkeit Gottes, unseres Heilandes, erschien, hat er uns erlöst, nicht wegen der Werke der Gerechtigkeit, sondern nach seiner Erbarmniß durch das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung des heiligen Geistes, den er reichlich über uns ausgegossen hat durch Jesus Christus, unseren Heiland, damit wir gerechtfertigt durch seine Gnade Erben seien nach der Hoffnung des ewigen Lebens.
Was heißt: „nach der Hoffnung“? Das will sagen: Wie wir gehofft haben, so wird es uns auch zu Theil werden, oder daß ihr bereits Erben seid.
8. Das ist ein wahres Wort.
Da der Apostel über die Zukunft, nicht über die Gegenwart spricht, so setzt er eine Bekräftigung hinzu. Das ist wahr, sagt er, und wird verbürgt durch die Vergangenheit. Denn wenn uns Gott von einem so gesetzlosen Zustande und von solchen Übeln erlöst hat, so ist es klar, daß uns auch die zukünftige Glückseligkeit nicht vorenthalten wird, wenn wir in der Gnade bleiben. Denn dieselbe Fürsorge ist es ja, aus der Beides stammt.
