19. Moses der Räuber.
Moses, ein Äthiopier von schwarzer Hautfarbe, war Sklave eines Staatsbeamten, doch jagte sein Herr ihn fort, weil er von störrigem Wesen und ein Räuber war; man erzählte sogar Mordtaten, die er auf dem Gewissen hatte. Wie tief er gesunken war, muß ich berichten, damit ich desto deutlicher zeigen kann, wie tugendhaft er als Büßer geworden ist. Wenigstens ging das Gerücht, er sei sogar Hauptmann einer ganzen Räuberbande gewesen. Wie gewandt er sein Handwerk betrieb, ersieht man aus folgendem Beispiel.
Ein Hirte hatte nachts mit seinen Hunden ihn verscheucht, als er auf Beute schlich. Diesen beschloß er aus Rache zu töten. Er forschte nun aus, wo seine Schafhürde sei; man sagte, jenseits des Stromes. Obwohl eben die Zeit der Nilschwelle war und die S. 360 Strombreite gegen eine Meile1 betrug, schwamm er dennoch hinüber. Das Messer hielt er mit den Zähnen fest und den Leibrock trug er auf dem Kopfe. Doch der Hirte fand noch Zeit zu entwischen und vergrub sich im Sande. Da suchte Moses vier der stattlichsten Widder aus, schlachtete sie, band sie an einen Strick und schwamm zurück an das andere Ufer. Hier zog er ihnen die Haut ab, aß die besten Fleischteile, vertauschte die Felle für Wein, trank mindestens gegen achtzehn italienische Sester und ging dann fünfzig Meilen weit bis an den Ort, wo seine Räuberbande lag.
Dieser ganz verworfene Mensch bekehrte sich lange danach durch einen Zufall, ging in ein Kloster und tat so strenge Buße, [daß er sogar einen Genossen, der von Jugend auf an seinen Untaten teilnahm, zur Erkenntnis Christi führte]. Während er nämlich eines Tages in seiner Zelle saß, überfielen ihn vier Räuber, die nicht wußten, wen sie vor sich hatten. Er knebelte sie, lud sie gleich einem Sack voll Spreu auf den Rücken, trug sie zu den Brüdern in die Kirche und sprach: "Ich darf ja niemand ein Leid zufügen; sagt mir also, was soll mit diesen da geschehen?" Die Räuber legten nun ein Bekenntnis ab. Als sie dann erfuhren, daß dieser Moses der ehedem so berüchtigte Räuber war, priesen sie Gott und entsagten, durch sein Beispiel bewogen, der Welt, indem sie dachten: "Der so viele Verbrechen beging und noch dazu der Rädelsführer war, hat angefangen Gott zu fürchten. Wie sollten wir da noch zögern, unser Heil zu wirken?"
Der genannte Moses wurde von Teufeln entsetzlich geplagt; sie wollten ihn zur Unzucht verleiten. Nach seinem eigenen Geständnis wurde die Versuchung so heftig, daß er nahe daran war, seinem Vorsatz untreu zu werden. Er ging deshalb zu Isidor dem Großen in die sketische Wüste, klagte diesem seine Bedrängnis und erhielt darauf diesen Bescheid: "Verzage nicht! Das ist nur der Streit eines anfangenden Menschen; darum sind diese Versuchungen auffallend stark. Denn wie S. 361 ein Hund auf dem Fleischmarkte nicht abläßt von seiner Gier, dann aber davongeht, wenn die Halle geschlossen wird, genau so kann auch der Teufel nichts Besseres tun als dir den Rücken kehren, wenn du standhaft bleibst." So ging denn Moses hin und tötete sich noch strenger ab, besonders im Essen. Er genoß nichts mehr außer zwölf Unzen trockenes Brot, tat die schwersten Arbeiten und verrichtete täglich fünfzig Gebete. Obgleich er seinen Leib so hart kasteite, plagten ihn dennoch unreine Begierden, sogar im Schlaf. Er suchte deshalb einen anderen Heiligen auf und sagte zu diesem: "Was soll ich tun? Traumbilder reizen meine Seele zur Unzucht." Jener sagte: "Weil du deine Phantasie bis jetzt in diesem Punkte nicht gereinigt hast, mußt du folgendes tun: Wache während der Nächte, faste und bete, dann wirst du bald befreit sein." Nachdem er diesen Rat vernommen hatte, ging er in seine Zelle und nahm sich vor, die ganze Nacht zu wachen, ohne ein Knie zu beugen. Nun blieb er sechs Jahre lang in seiner Zelle; die Nächte stand er betend inmitten des Raumes, ohne nur ein Auge zu schließen, doch gelang es ihm nicht, den Sieg davonzutragen. Da sann er ein anderes Mittel aus. Er ging zur Nachtzeit vor die Zellen der alten und strengsten Asketen, nahm insgeheim ihre Wasserkrüge und füllte sie mit Wasser. Denn sie müssen das Wasser weit herholen, die einen zwei Meilen weit, die andern fünf, andere eine halbe Meile. Der Teufel wurde wütend darob, lauerte deshalb in einer Nacht und schlug ihn, als er zum Brunnen sich bückte, mit einer Keule so heftig um die Lenden, daß er wie tot liegen blieb und nicht mehr wußte, was ihm zugestoßen war. Am nächsten Tage kam jemand, um Wasser zu holen, fand ihn liegen und meldete das dem großen Isidor, der Priester in der Sketis war. Dieser nahm und trug ihn in die Kirche; nun lag er krank ungefähr ein Jahr und genas an Leib und Geist nur mühsam. Da sagte Isidor der Große: "Moses, laß ab, mit den Teufeln dich zu messen; denn auch in mutiger Askese gibt es ein Maß," Doch jener sagte: "Ich lasse solange nicht ab, bis die Teufel von mir lassen mit den unreinen Bildern." Isidor sprach: "Im Namen Jesu Christi sollen deine S. 362 Traumbilder ein Ende haben! Jetzt aber nimm voll Zuversicht an den Geheimnissen teil! Denn zu deinem Nutzen wurdest du besiegt, damit du nicht hochmütig würdest." Da ging Moses wieder in seine Zelle zurück. Nach etwa zwei Monaten gab er auf Isidors Fragen zur Antwort, er sei nun verschont geblieben. Und solche Macht ward ihm gegeben über die Teufel, daß er sie weniger fürchtete als unsereiner die Fliegen.
So beschaffen war der Wandel des Äthiopiers Moses, daß man ihn zu den großen Vätern rechnete. Nachdem er Priester geworden war in der sketischen Wüste, starb er im Alter von fünfundsiebzig Jahren2 und hinterließ siebzig Schüler.