25. Valens.
Valens war von Geburt ein Palästinenser, doch dem Geiste nach ein Korinthier; hat doch der heilige Paulus den Korinthiern als Laster vorgeworfen, sie seien aufgeblasen.1 Der genannte Valens kam in die Wüste, wohnte mit uns eine Reihe von Jahren und überhob sich zuletzt in solchem Maße, daß ihn die Teufel betrogen. Sie erweckten in ihm allmählich den stolzen Wahn, es verkehrten Engel mit ihm. Wenigstens wird erzählt, daß er einmal bei der Arbeit im Finstern den Pfriemen verlor, den er beim Korbflechten gebrauchte. Da sei der Teufel mit einer Lampe gekommen und habe den Pfriemen gesucht. Das bot ihm erneuten Anlaß zum Hochmut und er überhob sich in einer Weise, daß er es nicht mehr der Mühe wert hielt, an den Geheimnissen teilzunehmen. Nun begab es sich, daß Gäste kamen und Nüsse für die Brüderschaft in die Kirche brachten. Der heilige Makarius, unser Priester, nahm sie und sandte jedem eine Handvoll in die Zelle, darunter auch zu Valens. Dieser packte sie, schlug und schimpfte den Überbringer und rief: "Geh' hin und sag' dem Makarius: Ich bin nicht schlechter als du, daß du mir Eulogien2 schicken müßtest." Nun erkannte Makarius, daß Valens einer Täuschung zum Opfer gefallen war. Am nächsten Tage ging er hin, ließ ihn rufen und sagte: "Valens, du bist in Irrtum geraten; laß ab davon!" Weil er aber auf seine Mahnungen nicht hörte, ging er hinweg. So gelangte der Teufel zur festen Überzeugung, daß er im höchsten Grade verblendet war, ging hin, verwandelte S. 375 sich in den Erlöser und kam als nächtliches Trugbild, von tausend Engeln umgeben, die brennende Leuchten trugen. Er selber, mitten im Lichterglanze, sah dem Erlöser gleich; er sandte einen als Boten voraus, der zu Valens sagen mußte: "Christus hat dich lieb gewonnen ob deines Wandels und offenen Wesens; nun kommt er, dich zu sehen. Geh' hinaus vor deine Zelle! Sobald du ihn erblickest, wirf dich nieder auf dein Angesicht und bet' ihn an und geh' wieder zurück in deine Zelle!" So ging er denn hinaus, sah das strahlende Gefolge und, ein Stadium weit entfernt, den Antichrist, fiel nieder auf sein Angesicht und betete ihn an. Am nächsten Tage war sein Wahnsinn so gewachsen, daß er in die Kirche kam und den versammelten Brüdern zurief: "Ich habe nicht nötig an den Geheimnissen teilzunehmen, denn heute hab' ich Christum selber gesehen." Da banden ihn die Väter, legten ihm ein Jahr hindurch Fußfesseln an und brachten ihn zur Besinnung. Durch Gebet, Demütigungen und strenge Behandlung heilten sie seinen Wahn, wie ein Sprichwort heißt: "Gegensatz muß Gegensatz vertreiben".3
Wie schon bei den heiligen Paradiesesbäumen das berühmte Holz der Erkenntnis des Guten und des Bösen stand, so muß ich in diesem Büchlein auch den Wandel solcher Menschen erzählen zur Warnung der Leser, damit sie, wenn ihr Tugendstreben nach irgend einer Richtung von Erfolg begleitet ist, nicht stolz darauf werden. Denn oft wird sogar die Tugend ein Anlaß zum Falle, wenn sie nicht in der rechten Absicht vollbracht wird; steht doch geschrieben: "Ich sah den Gerechten zugrunde gehen in seiner Gerechtigkeit, und auch das ist Eitelkeit".4
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1Kor 5,2. ↩
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Eulogien, meist gesegnete Brote, die man gewissermaßen als Ersatz für die Eucharistie an die Nichtkommunikanten (an manchen Orten nur an Kommunikanten) austeilte; heute noch üblich in der griechischen Kirche und in einzelnen Gegenden Südfrankreichs. Ein schönes Zeichen brüderlicher Zusammengehörigkeit. ↩
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Ein Grundsatz der alten Medizin, der bis auf Hippokrates zurückgeht und von kirchlichen Autoren im geistlichen Sinne verwendet wird. ↩
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Vgl. Sir 7,16. ↩