2. Dorotheus.
Dort übergab er mich dem Asketen Dorotheus von Theben, der sechzig Jahre schon in seiner Höhle hauste, und befahl mir, drei Jahre lang bei diesem auszuhalten, damit ich meine Leidenschaften bändige; die strenge Lebensart des alten Mannes war ihm ja bekannt. Ich solle dann erst wiederum zu ihm selber kommen und Unterricht im geistlichen Leben erhalten. Allein ich war zu schwach, um drei Jahre lang auszuhalten und ging schon früher weg; denn seine Lebensweise war ungemein hart. Den ganzen Tag hindurch trug er am einsamen Meeresstrande mitten in glühender Sonnenhitze Steine zusammen und baute Zellen für jene, die selber des Bauens nicht kundig waren. Er stellte jedes Jahr eine Zelle fertig. Ich fragte ihn eines Tages: "Vater, wie kommt es, daß du noch im hohen Alter deinen Leib in solcher Sonnenglut töten magst?" Er gab mir zur Antwort: "Er tötet mich und ich töte ihn." Täglich aß er sechs Unzen Brot und eine Handvoll kurzer Kräuter und trank entsprechend wenig Wasser. Niemals - Gott ist mein Zeuge - niemals sah ich ihn die Füße ausstrecken noch auf einer Binsenmatte oder einem andern Lager schlafen; er saß vielmehr die ganze Nacht und flocht aus Palmzweigen Stricke, um sich sein Brot zu verdienen. In der Meinung, er tue das nur, solang ich zugegen sei, forschte ich seine anderen Schüler, die nun S. 327 einzeln wohnten, darüber aus und erfuhr, daß er es von Jugend auf genau so hielt und sich niemals mit Absicht dem Schlafe hingab, weshalb ihm manchmal beim Arbeiten oder Essen vor Müdigkeit die Augen zufielen; es kam sogar vor, daß ihm oft der Bissen aus dem Munde fiel, wenn er vor Erschöpfung beim Essen einschlief. Als ich ihn einmal zwang, sich ein wenig auf eine Matte zu legen, sprach er traurig: "Einen wahrhaft tugendeifrigen Menschen kannst du so wenig zum Schlafe bewegen wie einen Engel."
Er schickte mich einst um die neunte Stunde zum Brunnen um Trinkwasser. Als ich aber hinkam, sah ich eine Schlange darin. Ich wagte nicht mehr zu schöpfen, sondern lief eilig zurück und sagte: "Wir sind verloren, Vater, denn ich hab' eine Schlange gesehen im Brunnen." Er blickte mich lange lächelnd an, schüttelte den Kopf und sprach: "Angenommen, es fiele dem Teufel ein, in jeden Brunnen Schlangen oder Schildkröten in jede Quelle zu werfen, würdest du dann überhaupt nicht mehr trinken?" Dann ging er hinaus, schöpfte selbst, trank, obwohl er noch nüchtern war, und sagte: "Wo das Kreuz hinkommt, kann unmöglich etwas schaden."