3. Markianus
Markianus, den hochberühmten, wie sollen wir ihn würdig preisen und bewundern? Vielleicht indem wir ihn mit Elias und Johannes und ihresgleichen zusammenstellen, „die in Schafspelzen, in Ziegenfellen umhergingen, in Dürftigkeit, bedrängt, mißhandelt, deren diese Welt nicht wert war, in Wüsten herumirrend, auf Bergen, in Höhlen und Klüften der Erde1”?
Zur Heimat hatte er zuerst das vorhin erwähnte Cyrus, darnach die Wüste, und nachdem er jenes und diese verlassen, ist seine Heimat jetzt der Himmel. Jenes hat ihn hervorgebracht, diese hat ihn großgezogen und zum Sieger gemacht, dieser hat ihn gekrönt. Er mißachtete seine vornehme Geburt von hochadeligem Geschlechte, die Herrlichkeit des Palastes, in dem er glänzte, da er von dem Schöpfer der Natur leibliche Größe und Schönheit empfangen, sowie eine Seele, mit Klugheit geziert. Vielmehr richtete er auf Gott und göttliche Dinge seine ganze feurige Liebe, sagte allem Lebewohl und erwählte das Innere der Wüste und erbaute sich eine kleine Hütte, die kaum seinen Körper faßte, und umgab sie mit einem kleinen Zaune. Darin blieb er für immer eingeschlossen, von allem menschlichen S. 50 Verkehr abgeschnitten, nur mit dem Allherrn sich unterhaltend und auf seine süße Stimme lauschend. Wenn er nämlich die göttlichen Schriften las, glaubte er sich der göttlichen Stimme zu erfreuen, und wenn er betete und Flehen darbrachte, vermeinte er leibhaftig mit dem Herrn zu reden. Und am Genusse so großer Lust konnte er sich nie sättigen. Denn er hörte den Heiligen Geist durch den großen David verkünden: „Wer betrachtet im Gesetze des Herrn Tag und Nacht, wird sein wie ein Baum, der gepflanzt ist an Wasserläufen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter fallen nicht ab2.” Nach diesen Früchten verlangend, unterzog er sich den süßesten Mühen. Das Gebet löste der Psalmengesang ab, den Psalmengesang wieder das Gebet, und beide die Lesung der heiligen Schriften.
Als Nahrung diente ihm nur Brot, und dieses nach Gewicht zugemessen. Das Gewicht war aber so klein, daß es einem der Brust eben entwöhnten Kinde kaum hinreichte. Er soll nämlich das Pfund Brot in vier Teile zerlegt und es für vier Tage berechnet haben, so daß er täglich nur ein Viertel zu sich nahm. Er hatte sich vorgenommen, jeden Tag nur abends zu essen, sich aber niemals zu sättigen, sondern immer zu hungern und immer zu dürsten und dem Körper nur das zum Leben Notwendige zu gestatten. Wer erst nach Verlauf mehrerer Tage Speise zu sich nehme, meinte er, verrichtete an den Fasttagen den göttlichen Dienst lauer, am Tage der Nahrungsaufnahme hingegen beschwerte man begreiflicherweise den Magen mit Übermaß und machte so den Geist für die Nachtwachen träger. Darum, sagte er, sei es besser, täglich Nahrung zu sich zu nehmen, niemals aber bis zur Sättigung. Wahres Fasten sei beständiger Hunger. Ein solches Gesetz legte sich dieser Gottesmann für immer auf, und obgleich er einen sehr großen Körper hatte und von allen seinen Zeitgenossen der größte und schönste war, begnügte er sich mit dieser geringen Speise.
Mit der Zeit nahm er zwei Genossen an, den Eusebius, der Erbe jener heiligen Hütte wurde, und Agapitus, S. 51 der diese englische Lebenshaltung nach Apamea verpflanzte. Dort liegt nämlich ein sehr großes und volkreiches Dorf mit Namen Nikertä, in dem er zwei sehr große Stätten der Weisheit gründete, die eine nach ihm benannt, die andere nach dem bewunderungswürdigen Symeon, der fünfzig Jahre lang in dieser heiligen Weisheit glänzte. Dort leben heute noch mehr als vierhundert Männer, Tugendkämpfer, Liebhaber der Frömmigkeit, Leute, die sich durch Mühen den Himmel erkaufen. Gesetzgeber dieser Lebensweise waren Agapitus und Symeon, die vom großen Markianus die Richtlinien empfangen. Von hier aus wurden unzählige weitere Klöster gegründet, welche nach denselben Gesetzen lebten. Es ist schwer, sie alle aufzuzählen, aber Pflanzer aller ist jener Gottesmann. Denn da er den gar trefflichen Samen geliefert hat, wird er mit Recht als Urheber aller Pflanzungen angesehen.
Zuerst bewohnte er, wie gesagt, allein jene freigewählte Einfriedung, dann nahm er die beiden zu sich, aber nicht als Hausgenossen. Denn die Klause bot nicht einmal ihm den nötigen Raum. Sie war so klein, daß er mit Mühe darin stehen und liegen konnte. Weder konnte er aufrecht stehen, da die Decke ihm Haupt und Nacken beugte, noch konnte er liegend die Beine ausstrecken, da die Länge des Häuschens nicht der des Körpers entsprach. Er hieß sie so ein anderes Gehäuse bauen, darin sie wohnen und für sich singen, beten und die heiligen Schriften lesen sollten. Als es nötig wurde, noch mehrere an dem schönen Werke teilnehmen zu lassen, ließ er etwas entfernt eine weitere Wohnung bauen und wies sie ihnen ihrem Willen gemäß zum Aufenthalte an. Ihr Vorsteher war Eusebius, der ihnen die Lehren des großen Markianus mitteilte. Der göttliche Agapitus aber kehrte, wie ich erwähnte, zurück, nachdem er hinlänglich herangebildet und geübt und in diesen geistlichen Kampf aufs beste eingeführt war, und streute den Samen aus, den er von jener göttlichen Seele empfangen hatte. Er wurde darin so ausgezeichnet und hervorragend, daß er des hohepriesterlichen Amtes gewürdigt und mit der Hirtenfürsorge in seinem Vaterlande betraut wurde.
S. 52 Der wundervolle Eusebius aber stand der um ihn versammelten Herde vor und übernahm auch die Sorge für den Lehrer, und er allein hatte die Vergünstigung, zu Zeiten zu ihm zu kommen und sich zu erkundigen, ob er etwas wünsche. Da er einmal des Nachts sehen wollte, was er tue, wagte er sich der sehr kleinen Lichtöffnung zu nähern. Er beugte sich hinein und sah ein Licht, nicht von einer Lampe und nicht von Menschenhand angezündet, sondern von Gott gegeben, von der Gnade von oben, über dem Haupte des Lehrers strahlend und ihm die Buchstaben der Heiligen Schrift beleuchtend. Denn er hatte das heilige Buch in den Händen, um den unverletzlichen Schatz des göttlichen Willens zu erforschen. Als der wundervolle Eusebius dies sah, befiel ihn Furcht und ein Schauder. Er lernte die auf den Diener Gottes ausgegossene Gnade kennen und die liebende Sorge Gottes für seine Diener. Ein andermal, als der große Markianus vor seiner Klause betete, kroch an der nach Osten gerichteten Wand eine Schlange empor, streckte sich oben von der Wand herab, sperrte den Rachen auf und machte mit schrecklichem Blicke Anzeichen zum Angriff. Eusebius stand etwas entfernt davon und erschrak über dieses furchtbare Schauspiel; und da er glaubte, der Lehrer merke die Gefahr nicht, schrie er auf und bat ihn, zu fliehen. Der aber wies ihn zurecht und hieß ihn die Angst ablegen; das sei eine verderbliche Stimmung. Er machte mit dem Finger das Zeichen des heiligen Kreuzes, blies sie mit dem Munde an und gemahnte sie der alten Feindschaft. Diese, von dem Hauche des Mundes wie von einem Feuer angezündet, verbrannte wie Stroh und zerbarst in viele Stücke. Siehe da, wie der treue Diener den Herrn nachgeahmt hat! Denn als einst das Meer gegen das Schifflein der Jünger wütete und der Herr sie in Todesangst sah, beruhigte er nicht eher den Sturm des Meeres, bis er den Unglauben der Jünger durch eine Zurechtweisung geheilt hatte. Dadurch belehrt, benahm dieser wundervolle Mann zuerst dem Schüler die Furcht, und erst dann überlieferte er das Untier seiner Strafe.
So groß war die Weisheit des großen Markianus und seine Wundermacht und sein zuversichtliches S. 53 Vertrauen auf Gott! Aber obgleich er solcher Gnade gewürdigt war und sehr große Wunder zu wirken vermochte, suchte er diese Kraft zu verbergen, denn er fürchtete die Kunstgriffe des Räubers der Tugend. Indem er nämlich unvermerkt die Leidenschaft des Stolzes sät, sucht er die mit vieler Arbeit gesammelten Früchte zu rauben. In dem Bestreben, die ihm verliehene Gabe zu verheimlichen, wirkte er so nur widerwillig Wunder, aber der Glanz der Großtaten erstrahlte um so mehr und offenbarte die verheimlichte Macht. Einstmals ereignete sich also folgendes:
Ein Mann von adeliger Geburt, der wiederholt mit hohen militärischen Ämtern betraut ward, kam von Beröa in Syrien zu ihm in die Wüste, da seine Tochter seit langer Zeit tobte und, vom bösen Feinde geplagt, dem Wahnsinn verfallen war. Er war mit dem großen Markianus befreundet und hoffte in Anbetracht der alten Beziehungen ihn persönlich angehen und ihm seine Bitte vortragen zu können. Er sah sich aber in seiner Hoffnung getäuscht. Der Anblick des Dieners Gottes wurde ihm versagt. Darum ersuchte er einen Alten, der zu jener Zeit gerade mit dem Dienste des Gottesmannes betraut war, ein Fläschchen mit Öl entgegenzunehmen und es neben die Türe des Häuschens zu stellen. Wiederholt wies der Alte das Ansinnen von sich, aber durch fortgesetztes Bitten ließ er sich endlich dazu bewegen. Da der große Markianus Laute hörte, fragte er, wer da sei und mit welcher Bitte man komme. Dieser verbarg den wahren Sachverhalt und gab vor, gekommen zu sein, um nachzusehen, ob er etwas befehle, und damit wurde er entlassen. Gegen Morgen bat der Vater des Mädchens um die Rückgabe des Fläschchens. Der Alte aber fürchtete sich und ging darum so leise, als er konnte, streckte weit seinen Arm nach dem Fläschchen aus und suchte so verborgen zu bleiben. Aber der Greis fragte ihn abermals, wozu er gekommen sei. Da er dieselbe Ausrede gebrauchte wie des Abends, wurde der Mann Gottes ungehalten, da die Herankunft des Alten ganz ungewöhnlich war, und befahl ihm, die Wahrheit zu sagen. Außerstande, den Sachverhalt dem Manne, welcher von der göttlichen Gnade erfüllt war, zu S. 54 verheimlichen, sagte er ihm unter Furcht und Zittern, wer gekommen sei, erzählte ihm die traurige Leidensgeschichte und zeigte ihm das Ölfläschchen. Darüber war er, wie begreiflich, sehr ungehalten, da er seine Wunderkraft nicht zeigen wollte, und drohte ihm, wenn er noch einmal so etwas wage, ihm seine Dienstleistungen zu entziehen und ihn aus seiner Genossenschaft zu entfernen. Das war die empfindlichste Strafe für die, welche dieses Glück zu schätzen wußten. Er entließ ihn mit dem Geheiße, das Fläschchen dem Bringer zurückzugeben. So sein Befehl. Vier Tagreisen entfernt aber verkündete laut der böse Geist die Kraft dessen, der ihn austrieb. Markianus hatte in Beröa durch Henker des Richteramtes gegen den Dämon gewaltet, indem er jenen Frevler verjagte und das Mädchen aus seiner Gewalt befreite. Das hat der Vater des Mädchens genau erfahren. Als er nämlich zurückkehrte und noch wenige Stadien von der Stadt entfernt war, kam ihm ein Diener, von seiner Herrin geschickt, entgegen. Da dieser den Herrn erblickte, verkündete er ihm die frohe Botschaft des Wunders, das sich zugetragen, indem er hinzufügte, vor vier Tagen sei die Tat geschehen. Er zählte die Tage und berechnete genau den Zeitpunkt und fand, daß es derselbe war, an dem der Alte das Fläschchen ihm gebracht hatte.
Mir drängt sich da der Gedanke auf: Was würde dieser große Mann nicht vollbracht haben, wenn er hätte Wunder wirken wollen! Denn wer trotz des Strebens, die Gnade, die er erhalten, zu verbergen, einen solchen Glanz verbreitete, welche staunenswerten Wunder würde er gewirkt haben, wenn er es gewollt hätte! So offenbarte er auch nicht allen seine geistige Weisheit, letztlich auch dann nicht, als er zugegeben hatte, daß nach dem Feste des heilbringenden Leidens und der Auferstehung des Herrn jeder, der wolle, zu ihm kommen könne.
Bei dieser Gelegenheit traun[?] waren alle bedacht, ihn zu sehen. So kamen bei ihm die hervorragendsten Bischöfe zusammen, der große Flavian, der mit der Herde von Antiochien betraut war, der göttliche Akazius, dessen ich schon vorher gedachte, Eusebius, der Chalkis, S. 55 und Isidor, der damals Cyrus verwaltete, alle durch Tugend ausgezeichnet. Unter ihnen befand sich auch Theodot, der die Zügel von Hierapolis hielt, glänzend durch Aszese und Sanftmut. Zugegen waren auch von Glaubenseifer entzündete Männer in hoher Stellung und Würde.
Da nun alle schweigend da saßen und seine heilige Stimme erwarteten, blieb auch er lange schweigend sitzen, ließ seine Zunge ruhen, horchte aber mit den Ohren. Da sprach einer von den Dasitzenden, der ihm als Seelsorger nahestand und durch hohe Würde hervorragte: „Alle, o Vater, auch die heiligen Väter dürsten nach deiner Belehrung und erwarten den süßesten Fluß deiner Rede. Teile also allen Gegenwärtigen von deinen Schätzen mit und verschließe nicht die Quellen deiner Güte.” Der Greis aber seufzte tief und sprach: „Der Gott des Alls spricht jeden Tag durch die Schöpfung und redet durch die heiligen Schriften und gibt die nötigen Ermahnungen und lehrt, was uns frommt, und schreckt uns durch Drohungen und ermuntert uns durch Verheißungen, und wir ziehen keinen Nutzen daraus. Was kann also Markianus durch seine Rede für einen Nutzen stiften, der wie die andern einen so großen Nutzen mißachtet und daraus keinen Vorteil ziehen will?” Dadurch wurden viele Reden von den Vätern veranlaßt, die hier anzuführen ich für überflüssig erachte. Nachdem sie sich erhoben und gebetet hatten, wollten sie ihn durch die Händeauflegung zum Priester weihen, scheuten aber anderseits die Vornahme der Handlung: der eine trug sie dem andern auf, alle aber weigerten sich und kehrten so zurück.
Aber eine andere Erzählung will ich hier anfügen, die von seiner göttlichen Weisheit zeugt. Ein gewisser Avitus hatte in einer anderen Wüste zuerst eine Mönchszelle gebaut. Sie lag weiter nördlich, etwas nach Osten, und war so dem Nordostwind ausgesetzt. Er war an Zeit wie an Arbeit älter als der große Markianus, ein wahrer Aszet und in rauhem Leben aufgewachsen. Als dieser die von allen Seiten gepriesene Tugend unseres Mannes in Erfahrung gebracht hatte, hielt er einen solchen Besuch für gewinnreicher als etwas Ruhe und beeilte sich, S. 56 den Ersehnten zu sehen. Als der große Markianus seine Ankunft erfahren, öffnete er die Türe und nahm ihn auf; dem wundervollen Eusebius aber trug er auf, Bohnen und Gemüse zu kochen, wenn er es habe. Nachdem sie sich an gegenseitiger Unterhaltung gesättigt und der eine die Tugend des andern erkannt hatte, verrichteten sie um die neunte Stunde gemeinsam den Gottesdienst. Es kam Eusebius, richtete den Tisch her und brachte die Brote. Der große Markianus sprach zu dem gottseligen Avitus: „Komm, Allerliebster, teilen wir das Mahl miteinander.” Der aber sprach: „Ich erinnere mich nicht, jemals vor Abend Speise zu mir genommen zu haben, oft aber bleibe ich zwei oder drei Tage nacheinander ohne Speise.” Dagegen der große Markianus: „Mir zuliebe ändere heute deine Gewohnheit; denn da ich einen schwachen Körper habe, kann ich nicht auf den Abend warten.” Da er mit diesen Worten den wundervollen Avitus nicht überreden konnte, soll er geseufzt und gesagt haben: „Aber ich betrübe mich sehr, und es tut mir in der Seele leid, daß du dich so großer Mühe unterzogen hast, um einen arbeitsamen Aszeten zu sehen, und nun, in deiner Hoffnung getäuscht, statt eines Aszeten einen Gastwirt und Schlemmer findest.” Da der gottseligste Avitus dies sehr ungern hörte und sagte, er möchte lieber Fleisch essen als solches hören, erwiderte der große Markianus: „Auch wir, mein Liebster, führen dasselbe Leben wie du und halten dieselbe Lebensweise ein und ziehen die Arbeit der Ruhe vor und schätzen das Fasten höher als Speise, und nehmen diese erst ein, wenn die Nacht herankommt, aber wir wissen, daß die Liebe wertvoller ist als das Fasten. Denn sie ist ein Werk des göttlichen Gebotes, das Fasten aber hängt von unserem Willen ab. Wir müssen aber die göttlichen Gebote für wertvoller erachten als unsere Arbeiten.” Nachdem sie sich in solcher Weise miteinander unterhalten und eine geringe Nahrung eingenommen und Gott gelobt hatten, blieben sie noch drei Tage beieinander; dann trennten sie sich, um sich im Geiste wiederzusehen.
Wer bewundert da nicht die Weisheit dieses Mannes, unter deren Leitung er die Zeit des Fastens kannte, kannte aber auch die Zeit weiser Bruderliebe, S. 57 kannte auch den Unterschied der Tugenden, wie die eine der andern nachsteht und welche zur rechten Zeit den Sieg über die andere davonzutragen habe. Ich kenne noch eine andere Erzählung, die seine Vollkommenheit in göttlichen Dingen erkennen läßt. Es kam zu ihm aus der Heimat seine Schwester mit ihrem Sohne, der bereits erwachsen war und eine obrigkeitliche Stellung in Cyrus inne hatte. Sie brachte reichlich Lebensmittel mit. Die Schwester ließ er nicht vor, den Schwestersohn aber nahm er auf, da gerade die hierfür bestimmte Zeit war. Als sie ihn baten, das Mitgebrachte anzunehmen, fragte er: „Durch wieviele Klöster seid ihr gekommen, welchen von ihnen habt ihr davon mitgeteilt?” Und da dieser antwortete, daß sie keinem etwas gegeben hätten, sagte er: „Gehet fort mit dem, was ihr hergebracht habt; denn wir haben es nicht nötig, und wenn wir es nötig hätten, würden wir es nicht annehmen. Denn aus natürlicher Verwandtschaft, nicht im Dienste Gottes habt ihr uns diesen Gefallen erweisen wollen. Hättet ihr nicht lediglich die Nähe der Verwandtschaft im Auge gehabt, so würdet ihr nicht ausschließlich uns gegeben haben, was ihr daher gebracht habt.” Indem er dies sagte, entließ er den Neffen und die Schwester, ohne auch nur das Geringste von dem Mitgebrachten anzunehmen.
So war er über die Natur erhaben und zu dem Wandel im Himmel übergegangen! Denn wie könnte jemand einen deutlicheren Beweis liefern, daß er Gottes würdig war nach den Worten Gottes selbst: „Wer nicht verläßt Vater und Mutter und Bruder und Schwester und Frau und Kinder, ist meiner nicht wert3.” Wenn also der, der nicht verläßt, unwürdig ist, so ist der, welcher verläßt, und das in einem solchen Grade erlesener Vollendung, offenbar am würdigsten.
Dazu bewundere ich auch seine strenge Rechtgläubigkeit. Er verabscheute den Wahnsinn des Arius, der zu jener Zeit unter Begünstigung des Hofes ausgebrochen war. Es war ihm auch verhaßt die Torheit des Apollinaris, und tapfer kämpfte er gegen die Anhänger S. 58 des Sabellius, welche die drei Personen in eine zusammenziehen. Er war auch ein großer Feind der sogenannten Euchiten, welche im Mönchskleide an der manichäischen Krankheit litten. Einen so großen Eifer hatte er für die kirchlichen Glaubenssätze, daß er sogar gegen einen wundervollen und gottseligen Mann einen gerechten Kampf aufnahm. Es lebte in jener Wüste ein Greis namens Abraham, der graue Haare hatte, aber noch mehr in Einsicht ergraut war, leuchtend in jeder Tugend und beständig reichliche Tränen der Zerknirschung vergießend. Dieser feierte anfangs Ostern unbedenklich nach alter Weise aus einer gewissen Einfalt, offenbar weil ihm die Beschlüsse der Väter von Nizäa unbekannt waren, wohl auch aus Anhänglichkeit an die alte Gewohnheit; an dieser Unwissenheit krankten damals viele. Aber der große Markianus versuchte oft und mit vielen Worten Abraham, den Greis ― so nannten ihn die Leute ―, zur Übereinstimmung mit der Kirche zu bewegen. Da er ihn aber unbeugsam sah, brach er offen die Gemeinschaft mit ihm. Im Verlaufe der Zeit indes tilgte der gottselige Mann die Makel und feierte das göttliche Fest in Übereinstimmung mit der Kirche und konnte nun in Wahrheit singen: „Selig die Makellosen auf ihrem Wege, die da wandeln im Gesetze des Herrn4!” Und zu danken war diese Wendung der Belehrung des großen Markianus.
Man baute ihm an vielen Orten Bethäuser, in Cyrus sein Neffe Alypius, in Chalkis eine gewisse Zenobiana, von hoher Abkunft und durch Tugend ausgezeichnet und im Besitze großen Reichtums. Nicht wenige andere taten dasselbe und wetteiferten, jenen siegreichen Kämpfer dereinst an sich zu bringen. Als dies der Mann Gottes erfuhr, trug er dem wundervollen Eusebius unter furchtbaren Eiden auf, seinen Leib an jenem Orte beizusetzen. Außer zweien der vertrautesten Hausgenossen sollte niemand sein Grab wissen, ehe eine lange Reihe von Jahren vorübergegangen wäre. Diesen Schwur hielt jener wundervolle Mann getreu. Als nämlich das Ende des Siegers gekommen war und der Chor der Engel jene S. 59 heilige und göttliche Seele in die himmlischen Wohnungen übertragen hatte, machte er sein Ableben nicht eher bekannt, bis er mit zweien der Vertrautesten das Grab gegraben, den Leib hineingelegt und die Oberfläche des Bodens geebnet hatte. Es gingen fünfzig Jahre und mehr vorüber, Tausende strömten zusammen und forschten nach dem Leichnam. Aber das Grab blieb unbekannt. Nachdem aber ein jedes der genannten Bethäuser Reliquien aufgenommen hatte, das eine von Aposteln, das andere von Martyrern, legten die Erben seiner Zelle und Lehre die Überreste des kostbaren Leibes beruhigt in einen steinernen Sarg, den sie zwei Jahre zuvor zubereitet hatten, und der eine, der allein von den dreien noch übrig war, machte das Grab bekannt.
Nacheiferer seiner Tugend war der wundervolle Eusebius, der mit noch mehr Strengheiten seinen Körper quälte. Mit hundertzwanzig Pfund Eisen beladen, legte er sich noch andere fünfzig des Agapitus und achtzig des großen Markianus auf. Als Wohnung diente ihm eine Zisterne, die kein Wasser mehr enthielt. Drei Jahre lang führte er diese Lebensweise. Ich schweifte zu dieser Erzählung ab, um zu zeigen, bei wie vielen andern auch der große Markianus den Grund zu großen Tugendwerken gelegt hat. Seine Aszese machte sich auch der bewunderungswürdige Basilius zu Nutzen, der viele Jahre später bei Seleukobelos, einer Stadt Syriens, eine Mönchszelle baute und in vielen Tugenden glänzte, glänzte besonders in dem gottgefälligen Besitze der Liebe und in dem göttlichen Werke der Gastfreundschaft. Wer aber könnte leicht alle die Männer aufzählen, die er Gott zuführte, um mit dem Apostel zu reden, als „unerschrockene Arbeiter, die recht verkündeten das Wort der Wahrheit5”?
Um die andern Helden, die des Lobes würdig wären, aber die Erzählung zu sehr verlängerten, jetzt zu übergehen, will ich nur eines einzigen gedenken. Es ist das sein Schüler Sabinus, der durch Tausende von Mühsalen seinen Körper aufrieb. Denn er nahm weder Brot noch Gekochtes zu sich; seine einzige Nahrung war Mehl S. 60 mit Wasser angefeuchtet. Dabei pflegte er dieses Gericht gleich für einen ganzen Monat zu mischen, so daß es schimmelig wurde und einen sehr üblen Geruch von sich gab. Er wollte durch diese Beschaffenheit der Nahrung die Gelüste des Fleisches abstumpfen und durch den üblen Geruch der Speise die Lust unterdrücken. So lebte er für sich. Kam aber einmal ein Bekannter zu ihm, so nahm er ohne Anstand von allem, was vorgesetzt wurde.
So große Gnade hatte er von Gott erhalten, daß eine angesehene Frau, durch Abstammung und Reichtum hervorragend, aus Antiochien zu ihm kam und ihn bat, ihrer Tochter, die von einem Dämon geplagt wurde, zu helfen. „Ich sah”, sagte sie, „im Traum einen Mann, der mich aufforderte, hierher zu eilen und durch die Gebete des Klostervorstehers der Tochter Heilung zu verschaffen.” Es sagte ihr aber der Auskunfterteiler, es sei nicht Sitte, daß der Vorsteher mit Frauen sich unterrede. Da die Frau weinend darauf bestand und jammerte und flehentlich ihn beschwor, kam der Vorsteher des Klosters heraus. Aber die Frau sagte, das sei nicht derselbe, ein anderer sei ihr gezeigt worden, rötlich, mit einem Ausschlag an den Wangen. Da sie nun wußten, wer verlangt würde ― es war der Dritte im Kloster, nicht der Erste ―, überredeten sie ihn und führten ihn zu der Frau, und sogleich erkannte sie das Gesicht. Der böse Dämon aber verließ heulend das Mädchen.
Derart waren die Großtaten der Schüler des großen Markianus, so die Pflanzungen, die der trefflichste Pflanzer allüberall gepflanzt. Ich aber beende diese Erzählung und bitte und flehe, durch ihrer aller Fürsprache des göttlichen Beistandes teilhaftig zu werden.