1. Die Rechtgläubigkeit des Kaisers Gratian
S. 261 Wie Gott der Herr diejenigen, welche gegen ihn kämpfen, sehr lange erträgt und wie er diejenigen züchtigt, welche seine Langmut mißbrauchen, das zeigen uns deutlich die Taten und Schicksale des Valens. Der menschenfreundliche Gott gebraucht nämlich seine Barmherzigkeit und Gerechtigkeit wie die Gewichte an einer Wage. Wenn er sieht, daß jemand durch die Größe seiner Frevel das Maß seiner Güte überschreitet, dann hindert er durch gerechte Strafe das weitere Fortschreiten desselben (auf dem Wege der Sünde).
Gratian, der Sohn des Valentinian und Neffe des Valens, übernahm jetzt die Regierung des ganzen römischen Reiches. Denn schon früher, nach dem Tode seines Vaters, hatte er die Herrschaft über Europa erlangt, ja bereits zu dessen Lebzeiten hatte er an der kaiserlichen Regierung teilgenommen. Dazu erhielt er jetzt, da Valens kinderlos gestorben war, noch Asien und den übrigen Teil von Libyen1.
Gratian (375—83) war von seinem Vater Valentinian I. schon 367 zum Mitaugustus ernannt worden. Vgl. oben IV 8. S. 211 A. 1. Im Jahre 375 folgte er seinem Vater in der Regierung der westlichen Reichshälfte. Seinen von den Offizieren zum Kaiser ausgerufenen vierjährigen Bruder Valentinian II. anerkannte er zwar als Mitregent, regierte aber tatsächlich bis zu seinem Tode (383) ganz allein. Als 378 sein Oheim Valens kinderlos starb, fiel ihm auch die Regierung des Ostens zu. Zur Rettung desselben vor den andrängenden Germanen berief er den tatkräftigen spanischen General Theodosius, den er am 19. Januar 379 zum Kaiser des Ostens proklamierte. Gratian und Theodosius waren aufrichtig dem nizänischen Glauben ergeben, während Valentinian II. von seiner Mutter Justina, der zweiten Gemahlin Valentinians I., in der arianischen Irrlehre erzogen wurde. ↩