24. Die Arglist des Bischofs Leontius von Antiochien und die Freimütigkeit des Flavianus und Diodorus
In Antiochien erlangte nach Stephanus, der dem Placitus gefolgt war, aber aus der Kirchengemeinschaft ausgestoßen wurde1, Leontius den Vorsitz, jedoch im Widerspruch mit den zu Nizäa getroffenen Bestimmungen. Er war nämlich ein Eunuch, der sich selbst entmannt hatte. Der bewunderungswürdige Athanasius gibt auch den Grund für diese Selbstentmannung an.
„Leontius kam nämlich mit einer jüngeren Frauensperson, namens Eustolion, in üble Nachrede und sah sich dadurch gehindert, mit ihr zusammen zu wohnen. So entmannte er sich selbst um ihretwillen, um nämlich frei mit ihr zusammen leben zu können. Trotzdem konnte er sich nicht von allem Verdachte reinigen, sondern wurde vielmehr deswegen seines priesterlichen Amtes entsetzt2.“
Dieses berichtet Athanasius von seinem sonstigen Leben; ich aber will nun seine Arglist und Verschlagenheit in Kürze zur Darstellung bringen. Obschon er nämlich von der gotteslästerlichen Lehre des Arius angesteckt war, versuchte er doch seine Krankheit zu verheimlichen. Da er merkte, daß die Geistlichkeit und das übrige Volk in zwei Parteien gespalten seien, indem die einen bei der Doxologie (Ehre sei dem Vater usw.) vor dem Worte „Sohn“ das Bindewort „und“ gebrauchten, S. 148 während die anderen beim Sohne das Vorwort „durch“ und beim Heiligen Geiste das Vorwort „in“ setzten3, so sprach er die Doxologie ganz still aus, so daß die Nahestehenden nur die Schlußworte vernahmen „von Ewigkeit zu Ewigkeit“. Wenn nun sein sonstiges Verhalten nicht seine große innere Bosheit an den Tag gelegt hätte, so könnte man sagen, er habe diese List nur aus Sorge für die Eintracht des Volkes angewendet. Da er aber gegen die Verteidiger der Wahrheit viel Böses verübte, den Anhängern des gottlosen Irrtums dagegen jegliche Gunst erwies, so ist es offenbar, daß er seine Krankheit verbergen wollte, teils aus Furcht vor dem Volke, teils wegen der schweren Drohungen des Konstantius gegen diejenigen, die es wagen würden, den Sohn (dem Vater) unähnlich zu nennen4. Seine wahre Gesinnung aber zeigten seine Taten. Denn alle diejenigen, welche den apostolischen Lehren anhingen, erhielten von ihm weder eine Gunstbezeigung noch eine Weihe, diejenigen dagegen, die sich zum Irrwahn des Arius bekannten, erfreuten sich des größten Einflusses und gelangten zu den kirchlichen Stellen.
Um jene Zeit wurde auch Aëtius, der Lehrer des Eunomius, der die gottlose Lehre des Ariusum seine eigenen Erfindungen vermehrte, in den Kreis der Diakonen aufgenommen5. Jedoch Flavianus und Diodorus, S. 149 welche ein aszetisches Leben führten und unverhohlen für die apostolische Lehre eintraten, tadelten öffentlich die Anschläge des Leontius auf den wahren Glauben und erklärten, daß ein Mensch, der einen schlechten Unterricht genossen habe und mit Hilfe der Ketzerei sich den Weg zur Ehre bahnen wolle, zur Schmach für die Kirche des Diakonates gewürdigt worden sei; dazu drohten sie, die kirchliche Gemeinschaft abbrechen, in das Abendland reisen und das ganze Treiben aufdecken zu wollen. Aus Furcht hiervor verwendete Leontius den Aëtius allerdings nicht mehr zu den kirchlichen Funktionen, gebrauchte ihn aber noch immer zu den sonstigen Diensten.
Die beiden verehrungswürdigen Männer Flavianus und Diodorus waren zwar noch mit keinem klerikalen Amte betraut, sondern gehörten zu den Laien, aber sie suchten Tag und Nacht in allen den Eifer für die Frömmigkeit zu wecken. Diese haben auch zuerst die Chöre der Psalmensänger in zwei Abteilungen aufgestellt und sie die Davidischen Gesänge abwechslungsweise singen gelehrt; und nachdem diese Sitte in Antiochien zuerst ihren Anfang genommen, verbreitete sie sich überallhin und drang bis an die Grenzen des Erdkreises. Diese Männer versammelten auch die Freunde göttlicher Dinge in den Kapellen der Martyrer und brachten mit ihnen ganze Nächte im Lobe Gottes zu. Als Leontius das bemerkte, hielt er es nicht für geraten, solches zu verhindern, da er sah, daß das Volk jenen so frommen Männern ganz besonders zugetan war; deshalb kleidete er seine Worte in Sanftmut und Milde und verlangte nur, daß solcher Gottesdienst von ihnen in den Kirchen gehalten werde. Diese taten denn auch, was ihnen befohlen war, obschon sie seine böse Absicht ganz genau durchschauten, und versammelten ihre Genossen sehr gerne in den Kirchen mit der Mahnung, den gütigen Herrn zu loben und zu preisen.
Doch vermochte nichts die Bosheit des Leontius zu zügeln; vielmehr stellte er unter dem angenommenen Schein der Mäßigung sogar das schändliche Treiben eines Stephanus und Placitus noch in Schatten. Diejenigen nämlich, welche die verdorbene Lehre angenommen hatten, beförderte er, wenn sie auch ein S. 150 zügelloses Leben führten, zu Priestern und Diakonen, während er solche, die mit den mannigfachsten Tugenden geschmückt waren, aber an den apostolischen Lehren festhielten, ohne alle Auszeichnung ließ. Infolgedessen war die Mehrheit im Klerus von der häretischen Pest angesteckt, wogegen der größte Teil des Volkes für den wahren Glauben eintrat. Denn selbst die Prediger der (christlichen) Lehre wagten nicht, den gottlosen Irrtum offen zu verkündigen. Was so Placitus, Stephanus und Leontius alles an Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit in Antiochien verübt haben, das zu beschreiben erforderte wegen seiner Menge ein eigenes Buch; dazu bedürfte es wegen seiner Schwere des Davidischen Klagelieds. Denn auch von ihnen muß man sagen: „Siehe, deine Feinde toben, und die dich hassen, erheben ihr Haupt; gegen dein Volk schmieden sie böse Pläne und stellen nach deinen Heiligen. Sie sprechen: Kommet, wir wollen sie austilgen aus dem Volke, und nicht mehr soll gedacht werden des Namens Israel fernerhin6!“
Doch wir wollen nunmehr den weiteren Verlauf der Geschichte zur Darstellung bringen.
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Vgl. oben Kap. 9 u. 10. S. 113 ff. ↩
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Athanas., Apol. de fuga sua, c. 26, bei Migne 25, 677 B. ↩
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Die Doxologie der einen Partei lautete: Die Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste; die andere Partei dagegen betete: Die Ehre sei dem Vater durch den Sohn im Heiligen Geiste. ↩
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Der Kaiser Konstantius hatte sich 358, nachdem er bereits Schreiben zugunsten des Anhomöismus ausgestellt hatte, durch die semiarianischen Bischöfe Basilius von Ancyra, Eustathius von Sebaste u. a. wieder für den Semiarianismus gewinnen lassen, der auch sofort auf einer neuen Synode zu Sirmium in der dritten sirmischen Formel zum Siege gelangte. Siebzig Anhomöer wurden (nach Philostorgius) in die Verbannung geschickt. Da hielt es Leontius für geraten, mit seiner Überzeugung zurückzuhalten, um beim Kaiser nicht anzustoßen. Dafür begünstigte er aber den strengen Arianismus um so mehr im stillen. Vgl. Hefele CG I ², 680 f., 696. ↩
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Vgl. Theodoret, Haeret. fab. comp. IV 3, bei Migne 83, 417—21. ↩
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Ps. 82, 3―5 [Ps. 83, 3―5]. ↩