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Über die Seele. (BKV)
19. Cap. Der Intellekt ist bereits in den Unmündigen vorhanden.
Wir dürfen auch nicht einmal die passieren lassen, welche der Seele, wenn auch nur für kurze Zeit den Intellekt absprechen. Damit machen sie sich nämlich den Weg frei, um ihn später eintreten zu lassen, sowie auch den Animus, von welchem der Intellekt ausgehen soll. Sie lehren, in der Kindheit werde der Mensch bloss von der Lebensseele erhalten, durch welche er das Leben schlechthin habe, ohne zugleich zu denken, weil ja nicht alles denke, was lebt. So leben z. B. auch die Pflanzen, ohne zu denken, nach Aristoteles1 und der Lehre aller derer, welche sonst etwa noch die animale Substanz über das ganze Weltall verteilt sein lassen, während sie nach unserer Lehre etwas dem Menschen allein eigentümliches ist, nicht sowohl darum, weil er ein Werk Gottes ist, was die übrigen Dinge auch sind, sondern weil er ein Hauch Gottes ist, was dieser Substanz allein zukommt, welche, wie wir behaupten, mit ihrer gesamten Ausrüstung versehen ins Dasein tritt.
Werden wir auf die Bäume hingewiesen, gut, so lassen wir uns diese Analogie gefallen; denn auch in ihnen steckt, wenn sie noch nicht einmal Bäumchen, sondern nur Reiser oder erst Schösslinge sind, schon ihre besondere Lebenskraft, sobald sie aus dem Boden herauskommen. Aber sie wird aus Rücksichten auf die Zeit noch zurückgehalten, erstarkt und wächst heran mit ihrem Stamme, so lange bis das reife Alter den Zustand vollständig herbeigeführt hat, worin die Natur wirken soll. Woher käme es sonst, dass sich alsbald an ihnen die Fruchtaugen bilden, die Blätter sich gestalten, die Knospen anschwellen, der Blütenschmuck hervortritt und die Fruchtsäfte sich sammeln, wenn nicht in jenen Schösslingen schon die ganze Eigenheit der Art schlummerte und in stückweiser Entwicklung heranreifte? Sie üben also ihr Denken von dem nämlichen Augenblick an aus, wo sie das Leben haben, sowohl ihr eigenartiges Denken als ihr eigenartiges Leben, und sind von ihrer Kindheit an sie selber.
Wie ich nämlich sehe, kennt auch der Weinstock, wenngleich er noch zart und unentwickelt ist, doch schon seine Aufgabe und strebt, sich an S. 318 irgend etwas anzuhängen, worauf gestützt und worein verschlungen er wachsen will. Er wird sogar die Kunst des Landmannes nicht abwarten, sondern ohne Pfähle und Stützen, wenn er nur irgend einen Gegenstand erreichen kann, seine Verbindungen schliessen und ihn um so heftiger umarmen, wenn er es nach seinem eigenen Willen und nicht nach deiner Leitung thut. Er eilt, sich Sicherheit zu verschaffen.
Ich sehe, wie auch schon das kleinste Epheu sofort nach der Höhe strebt und, ohne dass es ihm jemand vormacht, sich anhängt, weil es lieber an den Wänden hängend einen verschlungenen Wald bildet, als sich auf der Erde von frevlem Mutwillen zertreten lassen will. Dagegen gibt es andere Gewächse, welchen an der Wand nicht wohl ist, sondern die beim Wachsen ihre Richtung davon hinwegnehmen und zurückweichen. Daraus mag man ersehen, dass ihre Zweige eine andere Richtung zu nehmen bestimmt sind, und das Leben des Baumes aus seiner Flucht von der Wand hinweg erkennen. Er ist zufrieden mit seiner Schiefheit,2 an die er sich von seinem ersten Anfang an schon als höchst vorsichtiger Schössling gewöhnt hat, aus Furcht vor gänzlichem Untergang.
Warum sollte ich diese Erscheinungen nicht als den Verstand und das Wissen der Bäume geltend machen? Mögen sie leben, wie die Philosophen wollen, und denken, wie die Philosophen nicht wollen. Besitzt der Baum in seiner Kindheit sein Denkvermögen schon, dann aber noch viel mehr der Mensch, dessen Seele gleich einem jungen Schössling aus Adam als der Mutterpflanze als Setzling heruntergeleitet und, den Gebärhöhlungen des Weibes anvertraut, mit ihrer gesamten Ausrüstung, sowohl mit Intellekt als sinnlichem Wahrnehmungsvermögen versehen, heranwächst. Ich will ein Lügner sein, wenn der Säugling, sobald er das Dasein mit Weinen begrüsst, nicht eben dadurch sofort bezeugt hat, dass er fühle und erkenne, er sei geboren, und damit sofort sämtliche Sinnesthätigkeiten zu gleicher Zeit beginnt, das Sehen durch das Licht, das Hören beim Schall, das Schmecken bei dargebotener Flüssigkeit, das Riechen mittels der Luft, das Fühlen auf der Erde.3 So wird er durch die ersten Eindrücke der Sinne und das erste Anklopfen der Erkenntnisse zu jenen ersten Lauten gezwungen.
Mehr noch wäre es, wenn einige sein Weinen als Folge der Voraussicht eines thränenreichen Lebens und Vorboten der Widerwärtigkeiten auslegen; danach wäre seine Stimme sogar für vorherwissend zu halten, nicht für bloss erkennend. Sodann erkennt er seine Mutter an ihrem Hauche, findet seine Amme heraus durch ihren Hauch, erkennt das Kindermädchen S. 319 an dessen Hauch. Denn er weist die Brust einer Fremden ab, ein ungewohntes Bett verschmäht er und will zu niemandem gehen, als zu wem er kennt. Woher hat er das Urteil über Ungewohntes und Gewohntes, wenn er nicht fühlt? Woher kommt es, dass ihm etwas zuwider ist oder gefällt, wenn er nichts erkennt? Es wäre wirklich höchst wunderbar, wenn die Kindheit von Natur aus lebensvoll wäre und doch keinen Geist hätte, von Natur voll Liebe und doch ohne Erkenntnis. Christus, der aus dem Munde der Säuglinge und Unmündigen Lob erfuhr, hat weder das Kindes-noch das Säuglingsalter als blödsinnig bezeichnet. War doch die eine dieser beiden Altersstufen, ihm mit Zuruf entgegenkommend, imstande, ein Zeugnis für ihn darzubringen, die andere hat, für ihn gemordet, jedenfalls die Gewalt gefühlt.
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De anima II, 2. ↩
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Es kommt mir vor, als passe parvitate nicht in den Zusammenhang. Denn nicht von einem kleinen, sondern schief gewachsenen, wegen ungünstigen Standortes verkrüppelten Baume ist die Rede. Sollte also nicht pravitate zu lesen sein? ↩
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Die Neugeborenen wurden dem Vater zu Füssen gelegt. ↩
Edition
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De Anima
XIX. INTELLECTVM SEMPER ANIMAE INESSE.
[1] Sed ne illi quidem praetereundi qui uel modico temporis uiduant animam intellectu. Proinde enim uiam sternunt postea inducendi eius, sicut et animi, a quo scilicet proueniat intellectus. [2] Volunt infantiam sola anima contineri, qua tantummodo vivat, non ut pariter sapiat, quia nec omnia sapiant quae uiuant. Denique arbores uiuere nec tamen sapere secundum Aristotelen et si quis alius substantiam animalem in uniuersa communicat, quae apud nos in homine priuata res est, non modo ut dei opus, quod et cetera, sed ut dei flatus, quod haec sola, quam dicimus cum omni instructu suo nasci. [3] Et si ad arbores prouocamur, amplectemur exemplum, siquidem et illis necdum arbusculis, sed stipitibus adhuc et surculis etiamnunc, simul de scrobibus oriuntur, inest propria uis animae. Verum pro temporis ratione remoratur coalescens et coadulescens robori suo, donec aetas adimpleat habitum, quo natura fungatur. Aut unde mox illis et frutices inoculantur et folia formantur et germina inflantur et flosculi inornantur et succi condiuntur, si non in ipsis omnis paratura generis quiescit et partibus promota grandescit? [4] Inde igitur et sapiunt unde uiuunt, tam uiuendi quam sapiendi proprietate, et quidem ab infantia et ipsae sua. Video enim et uitem adhuc teneram et inpuberem intellegentem tamen iam opera sua et uolentem alicui adhaerere, cui innixa et innexa proficiat. Denique non expectata rustica disciplina, sine arundine, sine ceruo, si quid attigerit, ultro amabit, et quidem uiriosius amplexabitur de suo ingenio quam de tuo arbitrio. Properat esse secura. [5] Video et hederas, quantum uelis premas, statim ad superna conari et nullo praeeunte suspendi, quod malint parietibus inuehi textili silua quam humi teri uoluntaria iniuria. Contra quibus de aedificio male est, ut crescendo recedunt, ut refugiunt? Sentias ramos aliorsum destinatos, et animationem arboris de diuortio parietis intellegas. Contenta est paruitate quam ex primordio prouidentissimi fructicis edidicit, timens etiam ruinam. [6] Has ego sapientias et scientias arborum cur non contendam? Viuant ut philosophi uolunt, sapiant ut philosophi nolunt, intellegat et infantia ligni, quo magis hominis, cuius anima uelut surculus quidam ex matrice Adam in propaginem deducta et genitalibus feminae foueis commendata cum omni sua paratura pullulauit tam intellectu quam et sensu. [7] Mentior, si non statim infans, ut uitam uagitu salutauit, hoc ipsum se testatur sensisse atque intellexisse quod natus est, omnes simul ibidem dedicans sensus, et luce uisum et sono auditum et umore gustum et aere odoratum et terra tactum. Ita prima illa uox de primis sensuum motibus et de primis intellectuum pulsibus cogitur. [8] Plus est quod de prospectu lacrimabilis uitae quidam augurem incommodorum uocem illam flebilem interpretantur, quod etiam praesciens habenda sit ab ingressu natiuitatis, nedum intellegens. Exinde et matrem spiritu probat et nutricem spiritu examinat et gerulam spiritu agnoscit, fugiens extranea ubera et recusans ignota cubilia , neminem appetens nisi ex usu. [9] Vnde illi iudicium nouitatis et moris, si non sapit? Vnde illi et offendi et demulceri, si non intellegit? Mirum satis, ut infantia naturaliter animosa sit non habens animum et naturaliter affectiosa sit non habens intellectum. At enim Christus ex ore lactantium et paruulorum experiendo laudem nec pueritiam nec infantiam hebetes pronuntiauit, quarum altera cum suffragio occurrens testimonium ei potuit offerre, altera pro ipso trucidata utique uim sensit.