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Buch der Pastoralregel (BKV)
XXXVII. Kapitel: Wie man jemanden ermahnen muß, der entgegengesetzten Leidenschaften unterworfen ist
Eine schwere Aufgabe ist es für den Prediger, bei gemeinschaftlicher Ansprache über die geheimen Regungen und Anliegen jedes Einzelnen zu wachen und doch nach Art der Ringkämpfer sich kunstgemäß nach verschiedenen Seiten zu wenden. Aber eine noch viel schwierigere und mühevollere Aufgabe ist es, wenn er einer einzelnen Person zusprechen soll, die entgegengesetzten Lastern unterworfen ist. Oft hat nämlich jemand ein viel zu heiteres Temperament, aber plötzlich überfällt ihn Traurigkeit und drückt ihn qualvoll nieder. Da muß nun der Seelsorger darauf bedacht sein, die zeitweilige Traurigkeit zu verscheuchen, ohne jedoch die heitere Gemütsanlage zu steigern; er muß diese so zügeln, daß die zeitweilige Traurigkeit nicht zunimmt. Da ist einer, der alles hastig und aufgeregt tut; bisweilen aber hindert ihn eine plötzliche Furcht, etwas zu tun, was gleich geschehen sollte; da ist ein anderer, der immer unter einer aufgeregten Furchtsamkeit leidet, manchmal aber treibt ihn leichtsinnige Eilfertigkeit in einer Sache, zu der er gerade Lust hat. Bei jenem nun muß man die plötzlich auftretende Furcht unterdrücken, ohne daß die eingewurzelte Hastigkeit noch zunimmt; ebenso muß man bei diesem die plötzlich auftretende Eilfertigkeit unterdrücken, ohne daß die im Temperament liegende Furchtsamkeit zunimmt. Ist es aber nicht klar, daß die Seelenärzte dieses alles beachten müssen, da ja auch diejenigen mit so großer Unterscheidungskunst vorgehen, welche nicht das Herz, sondern den Leib heilen? Oft ergreift ja einen schwachen Körper eine heftige Krankheit, der man mit kräftigen Mitteln entgegenwirken sollte, aber der schwache Körper erträgt kein solch kräftiges Heilmittel. Der Arzt sucht nun die Krankheit S. 260 so zu beseitigen, daß die Körperschwäche ja nicht zunimmt und die Krankheit etwa einen tödlichen Ausgang nimmt. Er verschreibt also eine solche klug berechnete Arznei, die zu gleicher Zeit der Krankheit und der Schwäche entgegenarbeitet. Wenn also eine leibliche Arznei, auf einmal genommen, verschieden wirken kann, — denn dann ist es wirklich eine Arznei, wenn sie der Krankheit hilft und zugleich auf die Körperkonstitution Rücksicht nimmt —, warum sollte die Seelenarznei, bei derselben Predigt gereicht, nicht sittlichen Krankheiten von verschiedener Art entgegenwirken können, da sie viel behutsamer behandelt wird und sich auf unsichtbare Dinge bezieht?
Edition
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Regulae pastoralis liber
Caput XXXVII.
De exhortatione quae
uni adhibenda est contrariis
passionibus laboranti.
Et gravis quidem praedicatori labor est, in communis praedicationis voce, ad occultos singulorum motus causasque vigilare, et palaestrarum more in diversi lateris arte se vertere; multo tamen acriori labore fatigatur, quando uni e contrariis vitiis servienti praedicare compellitur. Plerumque enim quis laetae nimis conspersionis existit; sed tamen eum repente tristitia oborta immaniter deprimit. Curandum est itaque praedicatori quatenus sic tergatur tristitia quae venit ex tempore, ut non augeatur laetitia quae suppetit ex conspersione; et sic frenetur laetitia quae ex conspersione est, ut tamen non crescat tristitia quae venit ex tempore. Iste gravatur usu immoderatae praecipitationis, et aliquando tamen ab eo quod festine agendum est, eum vis praepedit subito natae formidinis. Ille gravatur usu immoderatae formidinis, et aliquando tamen in eo quod appetit, temeritate impellitur praecipitationis. Sic itaque in isto reprimatur subito oborta formido, ut tamen non excrescat enutrita diu praecipitatio. Sic in illo reprimatur repente oborta praecipitatio, ut tamen non convalescat impressa ex conspersione formido. Quid autem mirum si mentium medici ista custodiunt, dum tanta discretionis arte se temperant, qui non corda sed corpora medentur? Plerumque enim debile corpus opprimit languor immanis, cui languori scilicet obviari adjutoriis fortibus debet, sed tamen corpus debile, adjutorium forte non sustinet. Studet igitur qui medetur, quatenus sic superexistentem morbum subtrahat, ut nequaquam supposita corporis debilitas crescat, ne fortasse languor cum vita deficiat. Tanta ergo adjutorium discretione componit, ut uno eodemque tempore et languori obviet et debilitati. Si igitur medicina corporis indivise adhibita servire divisibiliter potest (tunc enim vere medicina est, quando sic per eam vitio superexistenti succurritur, ut etiam suppositae conspersioni serviatur), cur medicina mentis una eademque praedicatione apposita, morum morbis diverso ordine obviare non valeat, quae tanto subtilior agitur, quanto de invisibilibus tractatur?