Erster Vortrag: Über die Stelle:"Mit der Geburt Christi verhielt es sich so..." bis "fand es sich, dass sie vom Hl. Geist empfangen hatte." Mt 1,18
S. 17Jedesmal, wenn nach Vollendung des Kreislaufes eines Jahres der Tag der Geburt des Herrn herannaht und der Glanz der Jungfrauengeburt die ganze Welt mit feurigem Glanze überstrahlt, enthalten wir uns aus Absicht, nicht aus Furcht, der Predigt. Welcher Geist möchte sich auch erkühnen, hervor zutreten bei der Geburt des göttlichen Königs selbst? Wenn die Strahlen der Sonne hervorbrechen, wird das Auge des Menschen geblendet, wenn aber Gottes Licht erstrahlt, wie sollte dann nicht erlöschen aller Geister Licht? Erst jetzt also, wo sich unsere Sinne wieder erholt haben von dem Glanze dieses neuen Lichtes, ist es an der Zeit, dass auch wir, die wir die Geburt des Herrn im Fleische geschaut haben, betrachten das Geheimnis seiner Gottheit selbst "Mit der Geburt Christi", sagt der Evangelist, "verhielt es sich so."1
Brüder! Wenn wir diese Worte verstehen wollen, dürfen wir sie als göttliche Worte nicht nach Menschenweise wägen; abzulegen ist menschliche Auffassung, wo alles göttlich ist, von dem die Rede ist. So ist die Geburt Christi nicht ein gewöhnliches Ereignis, sondern ein Zeichen2 ; nicht das Werk der Natur, sondern das Werk [göttlicher] Kraft; nicht geschehen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, sondern ein Beweis [göttlicher] Macht; sie ist ein Wunder des Himmels, nicht zu erfassen mit dem menschlichen Verstande. Was soll davon S. 18die Weisheit dieser Welt begreifen? Was soll hier forschen der Scharfsinn des Fleisches? "Mit der Geburt Christi", heißt es, "verhielt es sich so."
Nicht heißt es: "So ist sie geschehen", sondern: "So war sie"; denn Christi Geburt war schon vor dem Vater, als er aus der Mutter geboren wurde. Was er3 war, war er immer; was4 geschah, wurde ihm gegeben; er war Gott, er wurde Mensch; aus dem Mutterschoß nahm er uns5 an, er, der uns gebildet hatte aus dem Kote.
"Als Maria, seine Mutter verlobt war"6 .
Es hätte genügt, zu sagen: "als Maria verlobt war". Was aber heißt das: eine Mutter-Braut? Wenn sie Mutter, dann war sie nicht Braut; wenn sie Braut, dann war sie noch nicht Mutter! "Als Maria, seine Mutter, verlobt war." Durch ihre Jungfräulichkeit ist sie Braut, durch ihre Leibesfrucht Mutter; Mutter, ohne einen Mann zu erkennen, und doch ihrer Empfängnis bewußt! Oder wie? War sie nicht schon vor der Empfängnis Mutter, sie, die nach der Geburt Jungfrau-Mutter blieb? Oder wann war sie denn einmal nicht Gebärerin, sie, die den Schöpfer aller Zeiten gebar, der Welt ihren König gab?7 Die jungfräuliche Natur ist immer Mutter, wie sie immer eine Stiefmutter ist, wenn sie verdorben ist. Das ist also die Auszeichnung der Jungfräulichkeit, dass sie durch Gott als Jungfrau wiedergebiert, was eine Jungfrau8 durch Gott geboren hat. Gott und jungfräuliche Unversehrtheit haben einen himmlischen Bund geschlossen, die Jungfräulichkeit mit Christo vereinigt, ist die vollkommenster Machtverbindung. ££ Dass eine Jungfrau empfängt, ist ein Ehrengeschenk des Hl. Geistes, nicht Wirkung des Fleisches; dass eine Jungfrau gebiert, ist ein Geheimnis Gottes, S. 19nicht das Werk des ehelichen Umganges; dass Christus geboren wird, ist die Tat der Allmacht Gottes, nicht eines schwachen Menschen; die Fülle der göttlichen Herrlichkeit ist da, wo das Fleisch nichts von Unehre erkennen läßt.
"Als seine Mutter Maria mit Joseph verlobt war, fand es sich, ehe sie zusammenkamen, dass sie vom Hl. Geiste empfangen hatte."9 Woher kommt es, dass einer Braut und nicht einer Freien das Geheimnis der himmlischen Unschuld übergeben wird? Woher kommt es, dass so durch die Eifersucht des Bräutigams die Braut selbst Gefahr läuft? Woher kommt es, dass eine so große Tugend als ein Verbrechen, sicheres Heil als Gefahr an gesehen wird? Woher kommt es, dass die Schamhaftigkeit unter Unschuldigen so sehr leiden muß, dass die Unschuld unterliegt, die Keuschheit erniedrigt, die Treue verletzt wird? Woher kommt es, dass eine Anklage erhoben wird, die Anschuldigung [den Beleidigten] quält, eine jede Entschuldigung unmöglich gemacht wird? Denn wer möchte wohl eine Braut entschuldigen, die eine Empfängnis anklagt? Oder was wird ein äußerer Verteidiger nützen, wenn die Tat selbst als ein innerer Zeuge redet? Brüder! Was staunen wir? Weder die Punkte noch die Buchstaben, weder die Silben noch die Worte, weder die Namen noch die Personendes Evangeliums entbehren des göttlichen Sinnbildes. Eine Braut wird gesucht, damit durch sie versinnbildet werde die Kirche als Braut Christi nach den Worten des Propheten Osee: "Ich werde dich mir verloben in Gerechtigkeit und Recht, in Gnade und Erbarmung; ich werde dich mir verloben in Treue"10 . Daher sagt auch Johannes: "Wer die Braut hat, ist Bräutigam"11 , und der hl. Paulus: "Ich verlobte euch einem Manne, Christo, als reine Jungfrau darzustellen"12 . Sie [die Kirche] ist in Wahrheit eine Braut, welche durch eine S. 20Jungfraugeburt wiedergebiert die neue Kindschaft Christi [durch die Taufe]. Joseph wird als Bräutigam genommen, damit er erfülle das Vorbild des Leidens Christi, das in jenem Joseph13 vorgebildet war.
Joseph zog sich den Haß [seiner Brüder] zu durch seine prophetischen Träume: Christus lud den Neid [der Juden] auf sich, durch seine prophetischen Gesichte; Joseph wurde in die Zisterne des Todes14 ge worfen, stieg aber lebendig aus ihr hervor: Christus wurde dem Grabe des Todes übergeben, ging aber lebendig aus dem Grabe hervor; Joseph wurde verkauft: Christus wurde nach Geldwert eingeschätzt; Joseph wurde nach Ägypten geführt: Christus wurde auch nach Ägypten verbannt; Joseph verteilte unter das hungernde Volk in reichlicher Fülle Brot: Christus sättigte durch das Brot des Himmels die Völker, die auf der ganzen Erde weilen. So ist es klar, warum dieser Joseph das Vorbild des himmlischen Bräutigams bedeutete, sein Bild an sich trug, ihn vorbedeutend wandelte Eine Maria wird seine Mutter genannt. Und heißt Maria nicht Mutter?15 "Die Sammlungen der Wasser", heißt es, "nannte er Meere [maria]"16 . Hat dies17 nicht das Volk, das aus Ägypten auszog, in dem einen Mutterschoß empfangen, um es aus demselben wieder neugeboren hervor zubringen als ein himmlisches Geschlecht zu einer neuen Schöpfung nach den Worten des Apostels: "Unsere Väter waren alle unter der Wolke und gingen alle durch das Meer, und alle wurden auf Moses in der Wolke und in dem Meere getauft"?18 Und damit eine Maria immer dem Heile der Menschheit vorauseile, ist sie mit Recht im Liede dem Volke vorangegangen, das durch die Wogen des Meeres als Mutter ans Licht gebracht wurde: "Maria" heißt es, S. 21"die Schwester Aarons, nahm die Pauke in ihre Hand und sprach: "Laßt uns singen dem Herrn, denn glorreich ward er verherrlicht!"19 Dieser Name ist in Wahrheit ein prophetischer Name, den wiedergeborenen eine Rettung, das Kennzeichen der Jungfräulichkeit, der Schmuck der Keuschheit, der Ruhmestitel der Reinheit, das Weihegeschenk Gottes, die Kraft der Gastlichkeit20 , der Mittelpunkt der Heiligkeit. Mit Recht also ziemt dieser mütterlicher Name der Mutter Christi.
Wir haben nun gesagt, warum eine Braut Mutter, warum Joseph der Bräutigam war, warum Maria der Name einer Mutter zukomme, um zu zeigen, dass bei der Geburt Christi alles geheimnisvoll gewesen sei; jetzt wollen wir noch mit anderen Gründen erklären, warum eine Braut auserkoren wurde zur Geburt Christi. Isaias hatte vorhergesagt, dass eine Jungfrau gebären solle den Gott des Himmels, den König der Erde, den Herrn des Erdkreises, den Wiederhersteller der Welt, den Bezwinger des Todes, den Wiederbringer des Lebens, den Urheber der Unsterblichkeit. Wie betrübend dies für die Weltmenschen, wie erschreckend für die Könige, wie furchterregend für die Juden war, bezeugt die Geschichte der Geburt Christi selbst. Denn sobald die Juden durch die Worte der Weisen hörten, dass Christus geboren sei, sobald Herodes davon Kunde bekam, bemühten sich gleich die Juden, Christum zu verderben, Herodes ihn zu töten; während sie einen Thronfolger fürchte ten, versuchten sie den Erlöser aller zu verderben. Und schließlich, da sie ihn nicht finden konnten, verwüsteten sie seine Geburtsstätte, mischen die Milch mit Blut, töten in mörderischer Wut seine Geburtsgenossen; sie zerreißen die Genossen der Unschuld, da sie keine Schuldgenossen zu strafen fanden21 . Wenn sie nun dies tun, nachdem Christus geboren war, was hätte wohl diese wilde Rotte getan, wenn sie gehört hätte von der Empfängnis Christi? S. 22Das ist der Grund, warum ein Bräutigam genommen wurde, warum der Schein einer ehelichen Verbindung gewahrt wurde, damit das Wunder verheimlicht, das Zeichen verdeckt, die Geburt aus einer Jungfrau verhüllt würde, damit dem Verbrechen kein Raum gegeben würde, die Nachstellungen der Wütenden vereitelt würden. Wenn Christus, der zwar dem Tode geweiht war, schon im Mutterleibe getötet worden wäre, würde der Tod zu schnell hinweggenommen haben, was gekommen war, uns zu retten. Weil uns aber diese Stelle [der Hl. Schrift] noch viel Stoff geben kann zur Erklärung, so möge es uns für heute genügen, Brüder, das Geheimnis des Herrn nur vorverkostet zu haben.
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Mt 1,18 ↩
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Non consuetudo, sed signum ↩
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in der Ewigkeit ↩
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in der Zeit ↩
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d. i. unsere menschliche Natur ↩
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Mt 1,18 ↩
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Ich lese wegen des parallelen Gedankens principem dedit rebus statt principium d. r.; dadurch fällt die geschraubte Erklärung des Herausgebers Mita, welcher principium las, die dann Held in seiner Übersetzung aufnahm, weg. ↩
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d. i. die Natur ↩
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Mt 1,18 ↩
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Osee 2,19f. ↩
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Joh 3,29 ↩
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2 Kor 11, 2 ↩
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gemeint ist der ägyptische Joseph ↩
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lacus mortis ↩
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Wortspiel mit dem Eigennamen Maria und dem Plural maria Meere. ↩
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Gen 1. 10 ↩
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d. i. das Meer ↩
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1 Kor 10,1f. ↩
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Ex 15,20f. ↩
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Hospitalitatis virtus, zu verstehen wohl von dem sittlicheren Anstand der Gastwirtin. ↩
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Mt 2 ↩