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Werke Augustinus von Hippo (354-430) Confessiones Bekenntnisse
Neuntes Buch

4. Von den Büchern, die er zu Cassiciacum geschrieben, und von seinen Briefen an Nebridius. Über die Psalmen. Wunderbare Heilung vom Zahnschmerz.

Es nahte der Tag, an dem ich in Wirklichkeit von meinem Amte als Lehrer der Rhetorik befreit werden sollte, von dem ich in Gedanken schon längst geschieden war. Es geschah, und du befreitest meine Zunge, wovon du mein Herz schon längst befreit hattest. Voll Freude pries ich dich, als ich mich mit all den Meinen auf das Landgut begab. Von meiner dortigen wissenschaftlichen Tätigkeit, die ohne Zweifel bereits deinem Dienste geweiht war, noch aber heftig den Stolz der Schule atmete wie die Brust des Läufers, wenn er Ruhepausen macht, geben Zeugnis die Gespräche, die ich mit den Anwesenden und auch mit mir in deiner Gegenwart führte. Meinen Verkehr mit dem abwesenden Nebridius bezeugen meine Briefe an ihn. Wann aber finde ich genügende Zeit, all die großen Wohltaten zu erwähnen, die du uns in jener Zeit erzeigt hast, zumal ich von noch größeren berichten muß? Deutlich rufe ich mir in der Erinnerung mein damaliges Glück zurück, und süß ist es mir, vor dir zu bekennen, wie du mich durch innere Stacheln völlig gebändigt, wie du meinen Sinn geebnet hast, wie du die Berge und Hügel meiner Gedanken abgetragen, S. 192 meine krummen Pfade gerade gerichtet und die rauhen sanft gemacht, schließlich, wie du auch meinen Herzensbruder Alypius dem Namen deines eingeborenen Sohnes, unseres Herrn und Erlösers Jesu Christi, unterworfen hast, dem er anfangs in unserer wissenschaftlichen Tätigkeit keinen Platz einräumen wollte. Denn lieber wollte er in ihr den Duft der stolzen Zedern wiederfinden, die der Herr schon zerschmettert hat, als den der heilsamen Kräuter deiner Kirche, die da ein wirksames Gegenmittel wider den Biß der Schlange sind.

Wie pries ich dich, mein Gott, als ich die Psalmen Davids las, diese Gesänge voll gläubigen Vertrauens, jene Töne der Frömmigkeit, die der Geist des Stolzes nicht vernimmt; noch war ich ein Neuling in deiner wahren Liebe, als Katechumen verbrachte ich mit dem Katechumenen Alypius die Ferienzeit auf dem Landgute in treuer Gesellschaft meiner Mutter, ihrem Äußeren nach ein Weib, aber mit männlichem Glauben mit der Sicherheit des Alters, der Liebe einer Mutter und der Gottseligkeit einer Christin. Wie habe ich dich beim Lesen jener Psalmen gepriesen! Wie entflammten sie mich für dich! Wie brannte ich, sie, wenn möglich, dem ganzen Erdkreise wider den Hochmut des Menschengeschlechtes vorzutragen! Und sie werden ja in der Tat auf dem ganzen Erdkreise gesungen, und „niemand ist, der sich vor deiner Glut bergen“1 kann. Wie gewaltig und bitter waren die Schmerzen, mit denen ich den Manichäern zürnte; und dann bemitleidete ich sie wieder, daß sie von jenen Sakramenten, jenen Heilmitteln nichts wußten und wider das Gegengift wüteten, durch das sie hätten gesund werden können. Wären sie doch damals irgendwo ohne mein Wissen in meiner Nähe gewesen, hätten sie doch mein Antlitz sehen und meine Stimme vernehmen können, als ich in meiner Muße den vierten Psalm las! Hätten sie doch den Eindruck jenes Psalmes auf mich beobachten können! „Als ich rief, hörte mich der Gott meiner Gerechtigkeit; in der Trübsal hast du mir Raum gemacht. Erbarme dich meiner, o Herr, und erhöre S. 193 mein Gebet!“2 Hätten sie doch gehört, was ich zwischen den Worten des Psalmes sprach, ohne daß ich um ihr Zuhören wußte, daß sie nicht etwa glaubten, ich spräche ihretwegen so. Denn ich hätte es in der Tat gar nicht gesagt oder mindestens nicht so gesagt, wenn ich die Empfindung gehabt hätte, von ihnen gesehen oder gehört zu werden; und wenn ich es auch gesagt hätte, so würden sie es doch nicht so aufgenommen haben, wie ich mit mir und für mich in vertraulicher, herzlicher Hingebung vor deinem Angesichte sprach.

Ich erschauderte in Furcht und erglühte zugleich in Hoffnung und in freudigem Jubel ob deiner Barmherzigkeit, Vater. Und diese Empfindungen leuchteten aus meinen Augen und klangen aus meiner Stimme, wenn dein Geist in seiner Güte zu uns gewandt spricht: „Ihr Menschenkinder, wie lange ist noch schwer euer Herz? Warum liebet ihr die Eitelkeit und suchet die Lüge ?“3 Ich hatte ja die Eitelkeit geliebt und die Lüge gesucht. Und du, o Herr, „du hattest schon deinen Heiligen erhöht“4, „ihn von den Toten auferweckt und zu deiner Rechten im Himmel gesetzt“5, damit er aus der Höhe seiner Verheißung gemäß „den Tröster, den Geist der Wahrheit“6 sende. Und er hatte ihn schon gesandt, ich aber wußte es noch nicht. Er hatte ihn gesandt, weil er schon durch seine Auferstehung von den Toten und seine Himmelfahrt erhöht worden war. Vorher aber „war der Geist noch nicht gegeben, weil Jesus noch nicht verherrlicht war“7. Und es ruft der Prophet: „Wie lange ist noch schwer euer Herz? Warum liebet ihr die Eitelkeit und suchet die Sünde? Wisset doch, daß der Herr seinen Heiligen erhöht hat“8. Er ruft "Wie lange noch?", er ruft "Wisset doch!", und ich hatte in so langer Unwissenheit die Eitelkeit geliebt und die Lüge gesucht. Deshalb zitterte ich nun, da ich davon S. 194 hörte; denn dieses Wort ist an solche gerichtet, wie ich nach meiner Erinnerung einer gewesen war. Denn die Trugbilder, die ich statt der Wahrheit umarmt hatte, waren Eitelkeit und Lüge. Und schwere und laute Klagen stieß ich aus im Schmerze meiner Erinnerung. O hätten sie doch vernommen die, die jetzt noch die Eitelkeit lieben und die Lüge suchen! Vielleicht wären sie erschüttert worden und hätten sie ausgespieen; du würdest sie nunmehr erhören, wenn sie zu dir riefen. Denn den wahren Tod des Fleisches für uns „ist gestorben, der da Fürbitte einlegt für uns“9.

Ich las: „Zürnet nicht und sündiget nicht“10. Wie tief bewegte mich solche Mahnung, mein Gott; denn schon hatte ich gelernt, mir wegen meiner Vergangenheit zu zürnen, um in Zukunft nicht mehr zu sündigen. Mit Recht zürnte ich mir; ich selbst sündigte ja, kein anderes Wesen aus dem Reiche der Finsternis in mir, wie jene sagen, die sich selbst nicht zürnen und sich dafür „Zorn anhäufen für den Tag des Zornes und der Offenbarung deines gerechten Gerichts“11. Meine Güter lagen nun nicht mehr in der Außenwelt, und nicht mehr suchte ich sie mit den Augen des Fleisches in dieser Sonne. Denn die sich in der äußeren Sinnenwelt freuen, werden leicht eitel und verlieren sich in das Sichtbare und Zeitliche, und ihre hungrigen Gedanken zehren an den Vorstellungen ihrer Einbildungskraft. O möchten sie doch schwach werden vor Hunger, auf daß sie sprächen: „Wer wird uns das Gute sehen lassen?“12 Und wir würden ihnen sagen, auf daß sie es hörten: „Das Licht deines Angesichts ist offenbar geworden in uns, o Herr“13. Denn nicht wir sind das Licht, das „jeden Menschen erleuchtet“14, sondern wir werden von dir erleuchtet, so daß wir, die wir „vormals Finsternis“15 waren, in dir Licht werden. O könnten sie doch im Innern das ewige Licht S. 195 schauen; ich hatte es gekostet und knirschte, es ihnen nicht zeigen zu können, wenn sie mir ihr Herz, das sich von dir hinweggewandt hatte, in ihren Augen brachten und sprachen: „Wer wird uns Gutes sehen lassen?“ Denn dort, wo ich mir gezürnt hatte, in der geheimen Kammer meiner Seele, wo ich von Reue zerrissen war, wo ich voll Hoffnung auf dich meinen alten Menschen dir als Schlachtopfer dargebracht und auf die Erneuerung meines Geistes zu sinnen begonnen hatte, dort hattest du mich deine Süßigkeit verkosten lassen und „Freude in mein Herz gegeben“16. Und ich schrie laut auf, da ich dieses draußen las und im Innern erfuhr. Ich wollte nicht mehr reicher werden an irdischen Gütern, das Zeitliche verschlingend und vom Zeitlichen verschlungen, da ich in ewiger Einfachheit anderes „Getreide und Wein und Öl“17 hatte.

Und im folgenden Verse rief ich mit der lauten Stimme meines Herzens aus: „O im Frieden, in ihm selbst“ - was besagte doch dieser Ausruf! - „will ich einschlafen und ausruhen“18. Denn wer wird uns widerstehen, wenn sich erfüllt das Wort, das geschrieben ist: „Verschlungen ist der Tod in den Sieg“?19 Und du, o Gott, bist selbst jenes „Selbst“, das sich nicht ändert. In dir ist Ruhe, die aller Mühen vergißt, denn kein anderer ist neben dir, und nicht um nach dem vielen andern zu streben, das nicht das ist, was du bist, sondern „zur Hoffnung hast du, o Herr, einzig und allein mich bestellt“20. So las und erglühte ich, ohne zu finden, was ich beginnen sollte mit jenen tauben Toten, zu denen auch ich gehört hatte, eine Pest, ein erbitterter und blinder Beller gegen deine Schriften, die vom Honig des Himmels süß und in deinem Lichte leuchtend sind; und „ich härmte mich ab über die Feinde“21 dieser Schriften.

Wann werde ich mich all dessen erinnern, was sich S. 196 in jenen Ferientagen zutrug? Ich habe aber auch nicht vergessen, noch will ich es verschweigen, wie scharf mich damals deine Geißel traf und wie wunderbar schnell deine Barmherzigkeit mich heilte. Mit Zahnschmerzen peinigtest du mich, und als diese so heftig wurden, daß ich nicht sprechen konnte, da stieg in meinem Herzen der Gedanke auf, die Meinen alle, die anwesend waren, aufzufordern, zu dir, dem Gotte jeglichen Heiles, für mich zu flehen. Ich schrieb die Bitte auf eine Wachstafel und gab sie ihnen zu lesen. Und sobald wir die Kniee zu einfachem Gebete beugten, verging jener Schmerz. Aber was für ein Schmerzt Und wie kam es, daß er so schnell schwand? Ich erschrak, ich gestehe es, o Herr, mein Gott, denn niemals noch hatte ich Ähnliches erfahren, Im tiefsten Innern verstand ich deine Winke, und voller Freude in deinem Glauben pries ich deinen Namen; aber dieser Glaube ließ mir keine Ruhe in betreff meiner vergangenen Sünden; denn noch nicht hatte ich die Taufe empfangen, die sie mir nachgelassen hätte.


  1. Ps. 18,7. ↩

  2. Ps. 4,2. ↩

  3. Ps. 4,3. ↩

  4. Ps. 4,4. ↩

  5. Ephes. 1,20. ↩

  6. Joh. 14,16 f. ↩

  7. Joh. 7,39. ↩

  8. Ps. 4,3. ↩

  9. Röm. 8,34. ↩

  10. Ps. 4,5. ↩

  11. Röm. 2,5. ↩

  12. Ps. 4,6. 4,7. ↩

  13. Ps. ↩

  14. Joh. 1,9. ↩

  15. Ephes. 5,8. ↩

  16. Ps. 4,7. ↩

  17. Ps. 4,8. ↩

  18. Ps. 4,9. ↩

  19. 1 Kor. 15,54. ↩

  20. Ps. 4,10. ↩

  21. Ps. 138,21. ↩

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