8. Cap. Ebenso folgt es aus den von ihm gewählten Ausdrücken. Dieselben sind auch so verstanden worden, wie die Praxis der Kirche von Korinth beweist.
Im Gegensatz zu allem dem ergibt sich mit Gewissheit, dass der Mann sein Haupt nicht verhüllen darf, weil er nämlich von Natur aus keinen Haarschmuck erhalten hat, weil rasiert und geschoren werden für ihn nichts schimpfliches ist, weil seinetwegen keine Engel abgefallen sind, weil er der Ruhm und das Ebenbild Gottes und weil sein Haupt Christus ist. Da also der Apostel vom Manne und vom Weibe handelt, warum letzteres sich verschleiern müsse, ersterer aber nicht, so liegt am Tage, warum er in betreff der Jungfrau Schweigen beobachtet hat. Er lässt es S. 366 nämlich aus demselben Grunde zu, beim Ausdrucke „Weib” auch an die Jungfrau mitzudenken, aus welchem er den Knaben nicht genannt hat, der zu den Männern zu rechnen ist. Er hat den gesamten Bestand beider Geschlechter unter seinen eigentlichen Bezeichnungen zusammengefasst: Mann und Weib. So findet sich denn auch Adam, da er noch unversehrt war, in der Genesis „Mann” genannt: „Sie wird Weib genannt werden, weil sie von ihrem Manne genommen ist.” So war Adam Mann noch vor dem ehelichen Zusammenkommen, so gut wie Eva Weib. Der Ausdruck des Apostels reicht aus für alle einzelnen Arten beider Geschlechter; er drückt sich ebenso kurz als umfassend aus in der inhaltreichen Bestimmung: „Jedes Weib”.1 Was heisst nun jedes Weib, wenn nicht die Weiber jeder Art, jedes Standes, jeder Stellung, jeder Würde, jedes Alters? Denn „jedes” ist gleich: das Ganze, das Vollständige, dem an keinem seiner Teile etwas fehlt. Einen Teil des weiblichen Geschlechts aber machen die Jungfrauen aus. Ebenso sagt er betreffs des Nichtverschleierns der Männer: „Jeder”.2
Siehe, da sind die beiden verschiedenen Namen: Mann und Weib. Jedes Mal heisst es „Jedes”. Zwei Gesetze entsprechen einander gegenseitig, hier das Gesetz des Verschleierns, dort das des Gegenteils. Wenn also darum, weil es heisst: „Jeder Mann”, die Benennung Mann auch auf den, der noch nicht Mann ist, geht, auf das unmündige Knäblein, die Benennung ihnen gemeinsam ist infolge der Natur, und das Gesetz, den, der unter den Männern den Platz der Jungfrau einnimmt, nicht zu verschleiern, ein gemeinsames ist, — gemäss der Sittenzucht, — warum sollte damit nicht ebenso das Präjudiz gegeben sein, dass unter der Benennung „Weib” auch jede Jungfrau unter diesem den Weibern gemeinsamen Namen mitinbegriffen sei, so dass das Gesetz auch für sie gemeinschaftlich gelte? Wenn die Jungfrau kein Weib ist, dann ist auch das Knäblein kein Mann. Wenn die Jungfrau sich nicht verschleiert, weil sie kein Weib ist, dann sollte das Knäblein verschleiert werden, weil es kein Mann ist. Bei gleicher Jungfrauschaft mag auch die Freiheit die gleiche sein! Wie man die Jungfrau nicht zwingt, sich zu verschleiern, so müsste man umgekehrt dem Knaben nicht befehlen, unbedeckt zu bleiben. Warum erkennen wir die Vorschrift des Apostels als eine vollständige, alle Männer betreffende an, und haben kein Bedenken deswegen, dass er die Knaben nicht auch namentlich aufführt, weichen dagegen bei dem andern Teile wieder vom richtigen Wege ab, obwohl seine Vorschrift doch ebenso vollständig ist hinsichtlich sämtlicher Weiber. „Wenn jemand streitsüchtig ist,” sagt er, „so haben wir eine solche Gewohnheit nicht, und die Kirche Gottes auch nicht.”3 Er gibt damit zu erkennen, dass irgend eine Kontroverse über diesen Fall existiert habe, zu deren Unterdrückung er sich eines kurz umfassenden Ausdrucks bediente, S. 367 weil er einerseits die Jungfrauen nicht nannte, um anzudeuten, dass über deren Verschleierung kein Zweifel zu erheben sei, indem er sie mitgenannt hatte, als er den Ausdruck „jedes Weib” brauchte. So haben es die Korinther selber auch verstanden. Denn noch heutzutage verschleiern die Korinther ihre Jungfrauen. Was die Apostel gelehrt haben, das bestätigen die Schüler derselben.
