Übersetzung
ausblenden
Enchiridion oder Buch vom Glauben, von der Hoffnung und von der Liebe (BKV)
18.
Allein hier entsteht eine sehr schwierige und dunkle Frage, über die ich schon einmal ein großes S. 408 Buch geschrieben habe1. Ich sah mich damals gezwungen, darauf Antwort zu geben, ob es manchmal für den Gerechten Pflicht sei, zu lügen. Manche Leute2 gehen nämlich so weit, daß sie die Behauptung aufstellen, auch falsch schwören und über Gegenstände der Gottesverehrung, ja sogar über das Wesen Gottes selbst etwas Unwahres aussagen, sei bisweilen ein gutes und frommes Werk. Denen gegenüber halte ich für meine Person jegliche Lüge für Sünde, wenngleich ich der Ansicht bin, es käme sehr viel darauf an, in welcher Gesinnung und zu welchen Zwecken jemand lügt. Denn es sündigt z. B. einer, der in der (guten Absicht) lügt, einem damit einen Rat zu geben, nicht so schwer wie ein anderer, der in der Absicht lügt, um einen anderen zu schädigen; oder jemand, der einen Wanderer durch seine lügnerische Auskunft einen falschen Weg weist, schadet nicht so sehr wie einer, der mit trügerischer Täuschung den Weg des Lebens verkehrt. ― Gewiß darf einer, der etwas Falsches aussagt in der Meinung, es sei wahr, nicht für einen Lügner gehalten werden; denn soweit es auf ihn ankommt, täuscht er ja nicht, befindet sich vielmehr selbst in einer Täuschung. Darum trifft einen solchen auch nicht so fast der Vorwurf der Lüge, als vielmehr bisweilen der der Unüberlegtheit, weil er allzu unvorsichtig Unwahres glaubt und für wahr hält. Demgegenüber ist aber derjenige um so mehr ein Lügner, der zwar die Wahrheit sagt, sie aber persönlich für falsch hält. Denn was seine Gesinnung angeht, so sagt er die Wahrheit nicht, weil er das nicht sagt, was er denkt, mag sich nun tatsächlich auch herausstellen, daß das, was er sagt, wahr ist; und der darf von dem Vorwurf der Lüge nicht freigesprochen werden, der mit seinem Mund ohne es zu wissen, die Wahrheit spricht, während er wissentlich und willentlich lügt. Wenn wir also nicht die Sache selbst, um die es sich handelt, in Anschlag bringen, sondern bloß die Absicht dessen, der die Aussage macht, so ist doch derjenige, S. 409 der ohne es zu wissen die Unwahrheit sagt, weil er sie für Wahrheit hält, besser, als wer wissentlich die Absicht zu lügen hat und dabei nicht weiß, daß das, was er sagt, doch Wahrheit ist. Jener hat ja nichts anderes im Sinn, als was er im Munde führt, bei diesem jedoch mag das, was er sagt, an sich wie nur immer beschaffen sein: er trägt etwas anderes in seinem Herzen verborgen als was ihm auf der Zunge liegt3: und gerade dies ist recht eigentlich die Bosheit des Lügners. ― Betrachten wir aber den Gegenstand der Rede selbst, so kommt es wesentlich darauf an, worin einer irrt oder lügt: während beispielsweise, soweit es den menschlichen Willen betrifft, der Irrtum ein kleineres Übel ist als die Lüge, so ist es doch bei weitem erträglicher, in Dingen, die mit der Religion nichts zu schaffen haben, zu lügen, als in solchen Dingen auch nur bloß zu irren, ohne deren Glauben oder Kenntnis man Gott nicht dienen kann. Ein Beispiel soll dies veranschaulichen: sehen wir einmal zu, was es zu bedeuten hat, wenn einer lügnerisch behauptet, dieser oder jener Tote sei noch am Leben oder wenn ein anderer irrtümlich glaubt, Christus werde nach irgendeinem längeren Zeitraum noch einmal sterben. Ist es da nicht ungleich besser, in jener Weise zu lügen, als sich auf solche Art zu irren, und es ist nicht ein weit geringeres Übel, jemanden in jenen Irrtum zu führen, als selber von einem andern in diesen zweiten Irrtum geführt zu werden?
Übersetzung
ausblenden
The Enchiridion
Chapter 18.--It is Never Allowable to Tell a Lie; But Lies Differ Very Much in Guilt, According to the Intention and the Subject.
But here arises a very difficult and very intricate question, about which I once wrote a large book, finding it necessary to give it an answer. The question is this: whether at any time it can become the duty of a good man to tell a lie? For some go so far as to contend that there are occasions on which it is a good and pious work to commit perjury even, and to say what is false about matters that relate to the worship of God, and about the very nature of God Himself. To me, however, it seems certain that every lie is a sin, though it makes a great difference with what intention and on what subject one lies. For the sin of the man who tells a lie to help another is not so heinous as that of the man who tells a lie to injure another; and the man who by his lying puts a traveller on the wrong road, does not do so much harm as the man who by false or misleading representations distorts the whole course of a life. No one, of course, is to be condemned as a liar who says what is false, believing it to be true, because such an one does not consciously deceive, but rather is himself deceived. And, on the same principle, a man is not to be accused of lying, though he may sometimes be open to the charge of rashness, if through carelessness he takes up what is false and holds it as true; but, on the other hand, the man who says what is true, believing it to be false, is, so far as his own consciousness is concerned, a liar. For in saying what he does not believe, he says what to his own conscience is false, even though it should in fact be true; nor is the man in any sense free from lying who with his mouth speaks the truth without knowing it, but in his heart wills to tell a lie. And, therefore, not looking at the matter spoken of, but solely at the intention of the speaker, the man who unwittingly says what is false, thinking all the time that it is true, is a better man than the one who unwittingly says what is true, but in his conscience intends to deceive. For the former does not think one thing and say another; but the latter, though his statements may be true in fact, has one thought in his heart and another on his lips: and that is the very essence of lying. But when we come to consider truth and falsehood in respect to the subjects spoken of, the point on which one deceives or is deceived becomes a matter of the utmost importance. For although, as far as a man's own conscience is concerned, it is a greater evil to deceive than to be deceived, nevertheless it is a far less evil to tell a lie in regard to matters that do not relate to religion, than to be led into error in regard to matters the knowledge and belief of which are essential to the right worship of God. To illustrate this by example: suppose that one man should say of some one who is dead that he is still alive, knowing this to be untrue; and that another man should, being deceived, believe that Christ shall at the end of some time (make the time as long as you please) die; would it not be incomparably better to lie like the former, than to be deceived like the latter? and would it not be a much less evil to lead some man into the former error, than to be led by any man into the latter?