47. Inwiefern Christus unsere Leiden auf sich genommen hat. Wie er die Sünden trägt.
Der eingeborene Gott hat also alle die Schwachheiten unserer Leiden gelitten, die auf ihn einstürmten; gelitten hat er aber in der Kraft seines Wesens, wie er auch in der Kraft seines Wesens geboren wurde. Denn es ist auch nicht der Fall, daß er in seinem Geborenwerden das Wesen seiner Allmacht bei der Geburt nicht behalten hat. Wenn er nämlich auch nach Menschengesetz geboren ist, so ist er doch nicht nach Menschengesetz empfangen; einerseits besitzt er in seiner Geburt die Eigenart menschlichen Standes, und anderseits ist er mit seinem Ursprung außerhalb der Eigenart menschlichen Standes. In diesem Sinne hat er aus der Schwachheit unseres Körpers heraus am Körper in der Weise gelitten, daß er die Leiden unseres Körpers durch die Kraft seines Körpers übernahm.
Für diese Lehre unseres Glaubens ist auch das Prophetenwort Zeuge, wenn es sagt: „Dieser trägt unsere Sünden und leidet unseretwegen Schmerz; und wir haben geglaubt, er sei in Schmerz und Wunde und Qual. Er aber wurde verwundet um unserer Ungerechtigkeiten willen und wurde geschwächt wegen unserer Sünden.”1 Es täuscht sich also die Meinung menschlichen Schätzens, wenn sie glaubt, er empfinde schmerzlich sein Leiden. Wenn er nämlich auch dadurch unsere Sünden trägt, daß er unseren Sündenleib annimmt, so sündigt er doch nicht selber. Denn er wurde gesandt in Ähnlichkeit des Sündenfleisches; er trug zwar in seinem Fleische Sünden, aber unsere. Für uns trägt er Schmerz, nicht auch empfindet er ihn in der Art unseres Schmerzerlebnisses; denn dem Stande nach als Mensch erfunden,2 S. 202 besitzt er zwar einen schmerzfähigen Körper, nicht aber besitzt er das Wesen der Schmerzempfindung, sofern sein Stand wie der eines Menschen und sein Ursprung nicht der eines Menschen ist, da er aus der Empfängnis des Heiligen Geistes geboren wurde. Daraufhin schätzte man von ihm, er sei in Schmerz und Wunde und Qual. Die Gestalt eines Knechtes hat er nämlich angenommen, und durch seine Menschwerdung aus der Jungfrau hat er bei uns die Meinung veranlaßt, beim Leiden sei der Schmerz ihm wesensgemäß. „Er selbst wurde verwundet”; aber „wegen unserer Sünden”. Denn wie sehr er auch verwundet wurde, es ist doch nicht die Wunde seiner Sündhaftigkeit; und alles, was er leidet, leidet er nicht seinetwegen. Nicht für sich wurde er nämlich als Mensch geboren, und nicht aus sich heraus ist er Sünder.
Der Apostel bezeugt den Grund jener Heilsfügung, wenn er sagt: „indem wir bitten, durch Christus mit Gott versöhnt zu werden; ihn, der die Sünde nicht gekannt hat, hat er unseretwegen zur Sünde gemacht”.3 Da er die Sünde nämlich im Fleische durch die Sünde verurteilen wollte, wenn auch selbst sündenlos, so ist er selbst Sünde geworden, d. h., indem er durch das Fleisch die Sünde im Fleisch verurteilte, blieb er ohne Wissen des Fleisches,4 wurde wohl aber für uns Fleisch, und deswegen ist er um unserer Sünden willen verwundet worden.