12. Strenges Gericht über Israel in der Wüste
Der Auszug aus Ägypten reut das Volk der Hebräer: es wird bestraft; es ist unwillig über die Ermüdung und Anstrengung der Reise: es wird gezüchtigt; es verlangt nach Fleisch und wird geschlagen. Obgleich es täglich Manna ißt, verlangt es danach, die Begierde des Bauches mit Leckerbissen zu stillen. Die Begierde wird gestillt, aber gerade in dieser Sättigung liegt Qual, „Denn noch", so sagt die Heilige Schrift, „war die Speise in ihrem Munde, da entbrannte der Zorn des Herrn wider sie, tötete sehr viele von ihnen und ließ die Auserwählten Israels nicht weiterziehen." 1 Og empört sich gegen Moses, er wird vernichtet; Kore lästert, er sinkt in die Erde; Dathan und Abiron murren, sie werden verschlungen, „Denn es öffnete sich die Erde", heißt es, „und verschlang Dathan und bedeckte die Rotte Abi- S. 70 ron .“ 2 Zweihundertfünfzig Fürsten, so bezeugt die Heilige Schrift, die in der Volksversammlung mit Namen aufgerufen worden waren, erhoben sich gegen Moses. „Und als sie gegen Moses und Aaron sich empört, sprachen sie: Es muß euch genügen, daß die ganze Gemeinde aus Geheiligten besteht; weshalb erhebt ihr euch über das Volk des Herrn?" 3 Und was geschah? „Feuer ging aus vom Herrn und tötete die zweihundertfünfzig Männer, die Rauchwerk darbrachten." 4 Aber obwohl so große Ereignisse eintraten, war die Sorge des Himmels doch nutzlos. Sehr oft wurde Züchtigung angewendet, doch eine Besserung erfolgte nicht. Wie nämlich auch wir trotz immer wiederholter Geißelhiebe Gottes uns nicht bessern, so wurden jene trotz so vieler Heimsuchungen nicht bekehrt. Was steht nämlich geschrieben? „Es murrte die ganze Gemeinde der Kinder Israel am folgenden Tage gegen Moses und Aaron und sprach: Ihr habt das Volk des Herrn getötet." 5 Und was ereignete sich daraufhin? Sofort wurden vierzehntausendsiebenhundert Menschen geschlagen und durch Feuer vom Himmel verzehrt. Da sich nun damals doch die ganze Menge des Volkes versündigt hatte, warum traf die Strafe nicht alle? Besonders da bei der oben erwähnten Empörung des Kore niemand mit dem Leben davonkam? Warum wollte Gott dort die ganze Menge der Sünder zugrundegehen lassen, hier nur einen Teil? Weil nämlich der Herr voll ist von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit und ebenso seiner Milde viele Rechte einräumt durch Verzeihen wie seiner Strenge durch Strafe. Und so gab er damals der Zucht den Vorzug, auf daß die Bestrafung aller Schuldigen der Besserung der Gesamtheit diene; hier aber ließ er seine Barm- S. 71 herzigkeit walten, damit nicht das ganze Volk zugrunde ging. Doch obgleich er so barmherzig gehandelt, verurteilte er zuletzt doch alle zum Tode, weil bei einem Teil des Volkes auch die so oft wiederholte Züchtigung nichts nützte. Das sollte uns Furcht einflößen und zu unserer Besserung dienen, damit wir nicht durch das Verderben jener bestraft werden, wenn wir durch deren Beispiel gar nicht gebessert werden. Es besteht nämlich über ihr Schicksal kein Zweifel: Obwohl das ganze Volk der Hebräer aus Ägypten zu dem Zweck ausgezogen war, um ins Land der Verheißung zu kommen, betrat es doch keiner bis auf zwei heiligmäßige Männer. So nämlich steht geschrieben: "Es redete der Herr zu Moses und Aaron und sprach: Wie lange noch murrt dieses grundschlechte Volk gegen mich? So wahr ich lebe, spricht der Herr: Wie ihr heute vor mir gesprochen, so will ich euch tun. In der Wüste sollen euere Leiber liegen bleiben," 6 Wie weiter? „Euere Kinder", heißt es, „von denen ihr sagtet, sie würden eine Beute der Feinde, will ich hineinführen, damit sie sehen das Land, welches ihr verschmäht. Euere Leiber sollen in der Wüste liegen bleiben." 7 Und was erfolgte? „Alle", heißt es, „starben und wurden geschlagen vor dem Angesichte des Herrn," 8 Vermißt man irgendetwas bei all diesen Vorgängen? Willst du den Lenker sehen? Siehe, er greift bessernd in die Gegenwart ein und trifft Anordnungen für die Zukunft. Willst du den strengen Richter wahrnehmen? Siehe, er bestraft die Schuldigen. Willst du den Gerechten und Milden sehen? Er schont die Unschuldigen. Willst du überall den Richter sehen? Sieh, überall wird Gericht gehalten. Denn als Richter klagt er an und als Richter herrscht er; als Richter fällt er den Urteilsspruch, als Richter verdirbt er die Schuldigen, als Richter belohnt er die Unschuldigen.
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Ps. 77, 30 f. Die Vulgata hat: et occidit pingues eorum (hebr.: er tötete die Fürsten unter ihnen). ↩
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Ps. 105,17, Salvian hat: operuit synagogam Abiron, die Vulgata: op super congregationem Ab. Vgl. J. B. Ullrich, De Salviani scripturae sacrae versionibus (Progr. Neustadt a.d. H. 1892) S7. ↩
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Num. 16, 21. ↩
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Ebd. 16, 35. ↩
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Ebd. 16, 41. ↩
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Num. 14, 26 ff. ↩
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Ebd. 14, 31. ↩
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Ebd. 14, 37. ↩