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Werke Salvianus von Marseille (405-451) De gubernatione Dei Von der Weltregierung Gottes (BKV)
III. Buch

8. Nicht einmal die geringeren Gebote werden von den Christen erfüllt

Aber verweilen wir doch noch bei jenen, die vielleicht deshalb nicht wollen, daß wir von den größeren Geboten Gottes sprechen, weil sie glauben, die geringeren zu erfüllen. Nicht als ob es zum Heile genügte, wenn wir unter Verachtung des Größeren das Geringere tun, entsprechend dem Wort: „Wer das ganze Gesetz beobachtet, aber es in einem Punkt übertritt, hat sich in allem schuldig gemacht.“ 1Und obgleich es demnach nicht genügt, nur immer das Kleine und Kleinste zu tun, verweile ich doch dabei, von Kleinerem zu reden, um zu zeigen, daß der größte Teil aller Christen auch nicht einmal die kleinen und kleinsten Gebote gehalten hat. Unser Erlöser hat den Christen verboten zu schwören: aber man kann mehr finden, die sehr oft falsch schwören als solche, die überhaupt nicht schwören. Er verbietet auch zu lästern: wessen Rede ist aber nicht Lästerung? Denn die ersten Geschosse jedes Zornes sind immer Lästerungen; und was wir in unserer Schwach- S. 99 heit nicht können, wünschen wir im Zorn, und so bedienen wir uns bei jeder Erregung und Verärgerung der Verwünschungen als Waffe. Dadurch beweist jeder einzelne klar, daß er alles tun wollte, was er seinen Feinden wünscht, wenn er die Macht dazu besäße. Aber weil wir alle so leichtfertig von unserer Zunge frevelhaften Gebrauch machen und den Geboten des Herrn nicht gehorchen, so glauben wir, daß es auch bei Gott nur leicht wiege, wenn er in der Heiligen Schrift befiehlt: „Die Lästerer werden das Reich Gottes nicht besitzen.“ 2Daraus können wir ersehen, wie schwerwiegend und verderblich die Lästerung ist, da sie allein vom Himmel ausschließt, wenn auch andere gute Werke geschehen sind. Christus befiehlt, daß der Neid fern von uns sei. Wir dagegen beneiden nicht nur Fremde, sondern auch die Nächsten, überschütten nicht nur Feinde, sondern auch unsere Freunde mit unserer Mißgunst. So stark ist fast in aller Herzen die Herrschaft dieses Lasters: die Lust zu essen hat zwar eine Grenze, aber die Lust an der Ehrabschneidung kennt keine Grenze. Denn immer werden wir wenigstens von Speise, niemals aber von Ehrabschneidung satt. Vielleicht aber ist die Strafe für dieses Vergehen leicht. „Der Ehrabschneider", sagt die Heilige Schrift, „soll ausgerottet werden." 3 Wahrlich, eine schwere und fürchterliche Strafe, aber trotzdem keine Besserung. Wenn nur einer nicht aufzuhören braucht, den anderen zu zerreißen, hält er das für so wertvoll, daß er auch sich selbst nicht schont. Aber die Vergeltung für diese Sünde ist vollauf gerecht, da sie nur ihren Urheber trifft: jener, dem die Ehrabschneidung gilt, erleidet nämlich gar keinen Schaden; nur der wird bestraft, aus dessen Munde sie kommt. Aber ich glaube, man hält uns für wahnsinnig, wenn wir dies wiederholen; doch kann ich es ertragen, für wahnsinnig zu gelten. War vielleicht der Herr auch wahnsinnig, da er durch seinen Apostel befahl: „Alles Gezanke und alle S. 100 Bosheit soll von euch entfernt werden?" 4 Beides bleibt bei uns beständig, aber mehr die Bosheit als das Gezanke. Denn Zankworte sind nicht immer auf unsern Lippen, die Bosheit aber immer in unseren Herzen, Und deshalb glaube ich, daß, wenn auch der Zank unter uns aufhörte, die Bosheit dennoch bliebe. Unser Gott befahl, ohne Murren und Klagen zu leben. 5Wann aber hätte es die nicht beim Menschengeschlecht gegeben? Wenn es heiß ist, jammern wir über die Dürre; wenn es regnet, beklagen wir Überschwemmung; ist ein Jahr etwas unfruchtbar, beschweren wir uns über die Unfruchtbarkeit; ist es fruchtbar, über die schlechten Preise. Wir wünschen den Überfluß; und haben wir ihn bekommen, dann erheben wir Klage. Was läßt sich Frevelhafteres, was Schmählicheres anführen als dieses? Auch dann klagen wir über die Barmherzigkeit Gottes, wenn er gibt, worum wir bitten. Gott verlangte, daß von seinen Dienern jegliches Ärgernis, auch das der Augen, fern bleibe, und deshalb sagt er: "Wenn einer ein Weib anschaut, um es zu verlangen, hat er schon in seinem Herzen Ehebruch mit ihr begangen." 6Daraus können wir deutlich sehen, welchen Grad von Keuschheit der Heiland von uns verlangt, da er sogar die allzu große Freiheit des Blickes beschneidet. Da er nämlich weiß, daß die Augen sozusagen die Fenster unserer Seele sind, und alle Sünden und Leidenschaften durch die Augen wie auf den natürlichen Wegen in unser Herz dringen, will er sie draußen ganz vernichten. Sie sollten nicht, wenn sie erst im Blick gekeimt hätten, dann im Inneren aufgehen und vielleicht in der Seele durch Wachstum ihrer Wurzelfasern zu einer todbringenden Gefahr erstarken. Deshalb sagt der Herr, die wollüstigen Blicke schamloser Menschen trügen die Sünde des Ehebruchs in sich, so daß der, welcher ehrlich den Ehebruch meidet, seinen Blick bewachen muß. Weil der Heiland also die Seinen zur Pflege einer vollkommenen und reinen Heiligkeit an- S. 101 leiten wollte, befahl er, daß sie auch das Geringste meiden sollten, weil ja so rein wie das Auge auch das Leben des Christen sei. Und wie das Auge Verunreinigung durch Staub nicht erleiden dürfe, soll der Blick ungetrübt bleiben, so dürfe unser Leben auch nicht einen Flecken der Unzucht an sich tragen. Daher sagt auch der Herr im Folgenden: „Wenn dich dein Auge ärgert, reiß es aus, und wenn dich deine Hand ärgert, haue sie ab: es ist dir besser, daß eines deiner Glieder verloren gehe, als daß dein ganzer Leib in die Hölle geworfen werde." 7Wenn wir also nach Gottes Wort durch Ärgernis in die Hölle stürzen, so opfern wir mit Recht unsere Hände und Augen, um der Hölle entgehen zu können. Nicht als ob jemand sich seiner Glieder berauben müsse; aber wir sind auf ein gewisses Zusammenleben mit unserer häuslichen Bedienung so notwendig angewiesen, daß wir diese sozusagen bisweilen wie Augen oder Hände benützen; da berauben wir uns nun mit Recht solcher Dienste auf dieser Welt, um nicht die Qualen ewigen Feuers zu erdulden. Denn wo es um Bedienung oder Leben geht, da entäußert sich ein Christ mit mehr Grund der Bedienung als des Lebens.


  1. Jak. 2, 10. ↩

  2. 1 Kor. 6, 10. ↩

  3. Röm. 1, 30; Ps. 139, 12; Sprichw. 21, 28. ↩

  4. Ephes. 4, 31. ↩

  5. Phil. 2. ↩

  6. Matth. 5, 28. ↩

  7. Mark. 9, 46; Matth. 5, 30. ↩

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Übersetzungen dieses Werks
Von der Weltregierung Gottes (BKV)

Inhaltsangabe

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