36. Kap. Wie das Traditionsprinzip im konkreten Falle zu benutzen sei. Die apostolischen Kirchen, besonders die römische, sind maßgebend. S. 345
Wohlan denn! Willst du den Forschertrieb im Geschäfte deines Heiles in ersprießlicher Weise betätigen, so halte eine Rundreise durch die apostolischen Kirchen, in welchen sogar noch die Lehrstühle der Apostel auf ihrer Stelle stehen, in welchen noch ihre Briefe aus den Originalen vorgelesen werden, die uns ihre Stimme vernehmen machen und das Antlitz eines jeden in unsere Gegenwart versetzen. Ist dir Achaja das Nächste, so hast du Korinth. Wohnst du nicht weit von Mazedonien, so hast du Philippi1. Wenn du nach Asien gelangen kannst, so hast du Ephesus. Ist aber Italien in deiner Nachbarschaft, so hast du Rom, von wo auch für uns2 die Lehrautorität bereit steht. O wie glücklich ist doch diese Kirche, in welche die Apostel die Fülle der Lehre mit ihrem Blute überströmen ließen, wo Petrus in der Weise des Leidens dem Herrn gleich gemacht, wo Paulus mit der Todesart des Johannes3 gekrönt, wo der Apostel Johannes, nachdem er, in siedendes Öl getaucht, keinen Schaden gelitten hat, auf eine Insel verbannt wird! Nehmen wir Einsicht davon, was sie gelernt, was sie gelehrt hat, was sie zugleich auch mit den afrikanischen Kirchen bezeugt4. Sie kennt nur den einen Gott und Herrn, den Schöpfer des Weltalls, und Christus Jesus, den aus der Jungfrau Maria geborenen Sohn des Gottes, der der Schöpfer ist, und die Auferstehung des Fleisches5. Das Gesetz und die Propheten setzt sie mit den Evangelien und den Briefen der Apostel in Verbindung6; daraus schöpft S. 346sie ihren Glauben, sie besiegelt ihn mit Wasser7, bekleidet ihn mit dem Hl. Geiste, nährt ihn durch die Eucharistie, ermahnt zum Martyrium und verweigert jedem die Aufnahme, der in Widerspruch mit dieser Lehre sich befindet. Das ist die Lehre, welche - ich sage schon nicht mehr - zum voraus verkündete, daß es Häresien geben würde, sondern die, aus welcher die Häresien hervorgingen. Aber das war nicht aus ihr, kraft dessen sie gegen sie gerichtet wurden8. Entsteht ja aus dem Kern der Olive, die so mild und ölig und so unentbehrlich ist, doch auch der rauhe, wilde Ölbaum, und aus dem Körnchen der so lieblichen und angenehmen Feige erwächst der windige und leere wilde Feigenbaum9. So sind auch die Häresien von unserem Stamm, aber nicht von unserer Art, zwar vom Samenkorn der Wahrheit, aber durch die Lüge Wildlinge geworden.
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Einige Lesarten fürgen hinzu: habes Thessalonicenses. ↩
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Die Bewohner des lateinischen Nordafrika. ↩
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Des Täufers. ↩
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Nach der Lesart contestetur; andere lesen contesseratur. Der Sinn ist: was sie stets, als von den Aposteln empfangen, gelehrt hat (docuerit), und was sie jetzt zusammen mit den afrikanischen, mit ihr in Gemeinschaft stehenden Kirchen bezeugt. ↩
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Nach der Lesart carnis resurrectionem; der Agobardinus liest resurrectorem, eine Lesart, der Rauschen den Vorzug gibt. Indes, wahrscheinlich hat T. den Anfang, den Mittelpunkt und den Schluß des Glaubensbekenntnis vor Augen. ↩
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Reißt also nicht Altes und Neues Testament auseinander, in der Art, wie es die Gnostiker tun. ↩
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In der Taufe. ↩
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Vgl. 1 Joh. 2, 19. Die Lesart am Anfang des Satzes ist so unbestimmt, daß Rauschen eine Lücke läßt. Sed non ... ex illa, ex quo factae sunt adversus illam. Ex quo wird, glaube ich, mit „seitdem“ nicht richtig übersetzt; denn wahrscheinlich ist unter „ex quo“ jenes Element verstanden, das die Abart, die Entwicklung zur Häresie bedingte, wie es auch später heißt: de nostro frutice, non nostro de genere. ↩
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Caprificus ἐρινὸς, der nur männliche Blüten, also auch keine Früchte hat. ↩