10. Von der Schwäche des freien Willens.
Die Freiheit nun unseres Willens bestätigt die göttliche Schrift, da sie sagt: 1 „Mit aller Wachsamkeit bewahre dein Herz;“ aber seine Schwäche zeigt der Apostel mit den Worten: 2 „Der Herr bewahre eure Herzen und euern Verstand in Christo Jesu.“ Die Kraft des freien Willens verkündet David, da er sagt: 3 „Ich neigte mein Herz zur Haltung deiner Gebote;“ aber seine Schwäche S. b72 lehrt Ebenderselbe, wenn er betend spricht: 4 „Neige mein Herz zu deinen Zeugnissen und nicht zur Habsucht!“ Auch Salomon sagt: 5 „Er neige unsere Herzen zu sich, damit wir wandeln auf all seinen Wegen und seine Gebote kalten und seine hl. Bräuche und Aussprüche.“ Die Macht unseres Willens bezeichnet der Psalmist, da er singt: 6 „Halte zurück deine Zunge vom Bösen, und deine Lippen sollen nicht Trug reden.“ Seine Schwäche bekennt unser Gebet, wenn wir sprechen: 7 „Setze, o Herr, eine Wache an meinen Mund und eine feste Thüre an meine Lippen!“ Vom Herrn selbst wird die Fähigkeit unsers Willens erklärt, wenn es heißt: 8 „Löse die Fesseln deines Halses, du gefangene Tochter Sions;“ dagegen singt der Prophet von seiner Gebrechlichkeit in den Worten: 9 „Der Herr löst die Gefesselten“ und: 10 „Du brachest meine Fesseln, dir will ich bringen ein Opfer des Lobes.“ Wir hören den Herrn im Evangelium uns zusammenrufen, daß wir zu ihm eilen durch den freien Willen: 11 „Kommet zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, und ich will euch erquicken;“ aber ebenderselbe Herr bezeugt dessen Schwäche und sagt: 12 „Niemand kann zu mir Kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zieht.“ Der Apostel eifert unsern freien Willen an, wo es heißt: 13 „Laufet so, daß ihr es erreichet;“ aber Johannes der Täufer bezeugt seine Schwäche so: 14 „Nichts kann der Mensch von sich aus ergreifen, wenn es ihm nicht vom Himmel gegeben ist.“ Es wird uns befohlen, unsere Seelen sorgsam zu bewahren, da ja der Prophet sagt: 15 „Bewahret eure Seelen;“ allein in demselben Geiste ruft ein anderer Prophet aus: 16 „Wenn der Herr die Stadt nicht bewacht, so raubt sich vergeblich S. b73 den Schlaf der Wächter.“ Der Apostel schreibt an die Philipper, um ihren freien Willen zu zeigen, Folgendes: 17 „Mit Furcht und Zittern wirket euer Heil;“ aber um seine Schwäche kund zu thun, fügt er an anderer Stelle bei: 18 „Denn Gott ist es, der in euch Das Wollen und Vollbringen bewirkt nach seinem Wohlgefallen.“