16. Daß unsere Gebetsopfer von Gott verschmäht werden, wenn der Bruder irgend eine Verstimmung gegen uns hat.
So sehr will also unser Gott, wir sollen den Mißmuth des Andern nicht verachten, daß er, wenn der Bruder Etwas gegen uns hat, auch unsere Gaben nicht annimmt, d. h. daß er sich keine Gebete von uns darbringen laßt, bis wir jenem die Betrübniß durch schnelle Genugthuung vom Herzen genommen haben, er mag sie nun gerecht oder S. b154 ungerecht gefaßt haben. 1 Denn der Herr sagt nicht: „Wenn dein Bruder eine wahre Klage wider dich hat, so laß dein Opfer am Altare und gehe, dich zuerst mit deinem Bruder zu versöhnen,“ sondern: „Wenn du dich erinnerst,“ sagt er, „daß dein Bruder Etwas wider dich habe“ — d. i. wenn es auch etwas Leichtes und Geringfügiges ist, wodurch die Aufregung des Bruders gegen dich verursacht wurde, und Dieß nun dein Gedächtniß mit plötzlicher Erinnerung trifft, so wisse, daß du die geistigen Gaben deiner Gebete nicht darbringen darfst, wenn du nicht zuvor die aus irgendwelcher Ursache entstandene Verstimmung aus dem Herzen des Bruders durch liebevolle Genugthuung verbannt hast. Wenn also das evangelische Wort uns befiehlt, auch für ein vergangenes und ganz kleines oder aus geringfügiger Ursache entstandenes Mißverständniß dem Zürnenden genugzuthun, was wird mit uns Elenden geschehen, die wir irische Fälle der ärgsten Art, und welche durch unsere Schuld entstanden, mit hartnäckigem Übersehen verachten und von teuflischem Dunste aufgeblasen läugnen, daß wir schuld seien an dem Mißmuthe des Bruders, weil wir uns eben vor der Demüthigung schämen! Mit aufrührerischem Geiste weisen wir es als unwürdig ab, den Geboten des Herrn uns zu unterwerfen, und behaupten, daß sie entweder keineswegs beobachtet werden müssen oder nicht erfüllt werden können. So geschieht es, daß wir mit unserm Urtheil, der Herr habe Unmögliches oder Unpassendes geboten, nach dem Worte des Apostels 2 nicht Thäter, sondern Richter des Gesetzes werden.