1. Über die scythische Ansiedlung und den Grundsatz des Abtes Moyses.
S. a287 In der scythischen Wüste, 1 wo die bewährtesten Väter der Mönche und die Vollkommensten aller Heiligen weilten, suchte ich den Abt Moyses auf, der unter diesen herrlichen Blüthen lieblicher leuchtete, nicht nur durch die Vollkommenheit im thätigen, sondern auch im beschaulichen Leben, und wünschte, durch seine Unterweisung einen festen Grund zu bekommen. Zugleich mit mir war der heilige 2
S. a288 Vater Germanus, mit dem ich von der Lehrzeit an und seit den ersten Anfängen des geistlichen Kriegsdienstes eine so untrennbare Genossenschaft pflegte sowohl im Kloster als in der Wüste, daß Alle zur Bezeichnung unserer Freundschaft und der Gleichheit unseres Strebens sagten, es sei ein Geist und eine Seele in zwei Körpern. In gleicher Weise verlangten wir nun von eben jenem Vater Moyses mit strömenden Thränen, daß er zu unserer Erbauung rede. Wir kannten nämlich gar wohl die Strenge seines Gemüthes, daß er sich nicht herbeiläßt, die Thüre der Vollkommenheit zu öffnen, wenn man nicht in Wahrheit sich sehnt und mit aller Zerknirschung des Herzens darnach sucht; damit er nemlich nicht entweder den Fehler der Prahlerei oder das Verbrechen des Verrathes zu begehen scheine, wenn er sie durchgehends entweder den Nichtwollenden oder den lau Verlangenden zugänglich mache und also die hiebei unvermeidlichen Dinge, die nur den nach Vollkommenheit Verlangenden bekannt sein dürfen, unter Unwürdigen verbreite unter Solchen, die sie mit Langeweile hinnehmen. Endlich begann er, durch unsere Bitten ermüdet, also:
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Die scythische Wüste liegt in Unterägypten bei dem See Marca unweit Alexandria. ↩
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Cassian gebraucht beatus und sanctus ziemlich gleichwerthig und häufig, so sanctus Germanus und beatus Germanus. Wir dürfen uns daran durchaus nicht stoßen. Er stand eben der ersten Zeit, in welcher das „heilig“, wie uns die heilige Schrift zeigt, überhaupt häufiger von den Christen gesagt wurde, näher, und von der affektirten Ehrfurcht, mit welcher der Irrglaube behauptet, Gott allein sei heilig, wußte man Nichts. So kommt z. B. Petrus nach Lydda „zu den Heiligen“. Apostelg. 9, 32 u. 41. Philipp. 4, 21 u. 22; die Worte Christi, daß Gott allein gut sei, legt also schon die hl. Schrift anders aus, wie wir ja auch heute noch wenigstens das Prädikat „gut“ frei gebrauchen. Uebrigens waren für den Gebrauch des „heilig“ später andere Bestimmungen der Kirche nöthig, und wir haben dem dadurch veränderten Sprachgebrauch meist Rechnung getragen. ↩