13.
S. 353 C. Was willst du aber vorbringen gegen folgende Stelle aus dem Evangelisten Johannes: „Wir wissen, daß jeder, der aus Gott geboren ist, keine Sünde tut, sondern die Geburt aus Gott bewahret ihn, und der Böse tastet ihn nicht an. Wir wissen, daß wir aus Gott sind, und die ganze Welt im Argen liegt“1.
A. Ich will Gleiches mit Gleichem vergelten und den Nachweis führen, daß der kleine Brief des Evangelisten bei Aufrechterhaltung des Sinnes, den du ihm unterlegst, sich selbst widerspricht. Wenn nämlich keiner, der aus Gott ist, Sünde tut, weil Gottes Same in ihm bleibt2, und wenn der nicht sündigen kann, der aus Gott geboren ist, ist es dann folgerichtig, wenn der Evangelist an derselben Stelle spricht: „Wenn wir sagen: Wir haben keine Sünde, so täuschen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns“?3 Du kannst keine Erklärung geben; deshalb zögerst du und gerätst in Verwirrung. Du magst noch einen anderen Ausspruch des gleichen Evangelisten vernehmen: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er [der Herr] treu und gerecht, so daß er uns unsere Sünden vergibt und uns reinigt von aller Bosheit“4. Dann also sind wir gerecht, wenn wir unsere Sündhaftigkeit bekennen, aber unsere Gerechtigkeit ist nicht unser eigenes Verdienst, vielmehr beruht sie auf der göttlichen Barmherzigkeit nach den Worten der Schrift: „Der Gerechte beginnt seine Rede mit seiner Selbstanklage“5. „Bekenne deine Sünden, und du wirst gerechtfertigt werden!“6 Denn Gott hat alles unter der Sünde verschlossen7, um an allen Barmherzigkeit zu üben. Darin besteht die höchste Gerechtigkeit des Menschen, daß er in seinem ganzen Tugendschatze nicht etwas von ihm selbst Erworbenes, sondern Gottes Geschenk erblickt. Wer also aus Gott geboren ist, begeht keine Sünde, solange Gottes Samen in ihm bleibt, und er kann nicht sündigen, da er aus Gott geboren ist8. Aber weil, während der Hausvater schläft, der Feind auf dem Acker des Herrn Unkraut S. 354 nachsät, weil der nächtliche Sämann ohne unser Vorwissen dem guten Getreide Lolch und tauben Hafer beimengt9, so müssen wir auch in Furcht uns der Parabel des Evangeliums vom Hausvater erinnern, der die Tenne reinigt, das Getreide in seiner Scheune birgt, die Spreu aber dem Windhauch zum Spiele und dem Feuer als Nahrung überläßt10. Deshalb lesen wir auch bei Jeremias: „Was soll das Stroh bei dem Weizen, spricht der Herr“11. Die Spreu aber wird vom guten Getreide am Ende der Zeiten geschieden. Aus diesen Darlegungen folgt, daß die Spreu, solange wir in diesem sterblichen Körper weilen, vermischt ist mit dem Weizen. Wenn du aber auf die Worte: „Und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist“, nachdrücklich hinweisest, so vernimm auch meinen Einwand: „Wo bleibt denn da die so viel gepriesene Wahlfreiheit?“ Denn wenn man deswegen nicht sündigt, weil man nicht sündigen kann, dann wird der freie Wille aufgehoben. Das Gute wird nicht uns eignen, sondern der Natur, die unfähig zur Sünde ist.