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Gottes Schöpfung (BKV)
I. Hauptstück.Vorrede und Ansprache an Demetrianus.
S. 225 § 1. Wie wenig ich mir auch in den schwierigsten Lagen1 Ruhe gönne, kannst du, Demetrianus, aus diesem Büchlein ermessen, das ich im schlichtesten Gewande, eben nach Maßgabe meiner Veranlagung, dir in der Absicht widme, einerseits daß du meine tägliche Beschäftigung kennen lernest, andererseits damit ich auch jetzt noch deinen Lehrer abgebe, aber in einer ehrenvolleren Sache und besseren Wissenschaft2.
§ 2. Denn wenn du schon in der Wissenschaft, die nichts anderes bezweckte, als die Zunge zu bilden, dich als einen tüchtigen Schüler erwiesen hast, um wieviel gelehriger wirst du dich nicht in dieser wahren und das Leben beeinflussenden Wissenschaft3 zeigen? Vor dir erkläre ich nun, daß ich mich durch kein Drängen einer Sache oder eines Zeitpunktes in meiner schriftstellerischen Tätigkeit hindern lasse, um auf solche Weise die Philosophen unseres Anhanges4 hinfort gebildeter und weiser zu machen, mögen diese jetzt auch noch so übel beleumundet5 sein und von allen Seiten S. 226 angegriffen werden, weil sie anders als die Weisen lebten und ihre Fehler unter dem Deckmantel ihres Namens verbärgen: diese hätten sie entweder beseitigen oder gänzlich fliehen sollen, um bei Übereinstimmung ihres Lebens mit ihren Grundsätzen die wahre, echte Weisheit6 zur Geltung zu bringen.
§ 3. Ich aber scheue keine Mühe, mich selbst und andere zu unterrichten. Ich kann nämlich zumal dann nicht, wenn es am meisten notwendig ist, auf mich7 vergessen, wie auch du, wie ich hoffe und wünsche, auf dich nicht vergessen wirst.
§ 4. Denn wenn dich auch der Zwang des öffentlichen Lebens von den Werken der Wahrheit und Gerechtigkeit8 abhalten mag, so muß doch „der des Rechten bewußte Sinn“9 von Zeit zu Zeit zum Himmel emporblicken.
§ 5. Ich für meine Person bin darüber erfreut, daß alles, was man für gut hält, dir so glücklich vonstatten geht; dies bin ich aber nur dann, wenn nichts an deiner geistigen Verfassung10 sich ändert. Ich fürchte nämlich, es möchte die süße Angewöhnung an diese Dinge sich allmählich, wie es zu geschehen pflegt, in dein Herz einschleichen.
§ 6. Darum ermahne ich dich und „werde dich immer wieder ermahnen“11, daß du nicht glaubest, du besäßest an diesen irdischen Vergnügungen wirklich große Güter; diese Güter aber sind nicht bloß trügerisch, weil ungewiß, sondern auch voller Heimtücke, weil süß.
§ 7. Denn du weißt, wie jener unser Widersacher und Feind schlau und zugleich auch oft gewalttätig ist, wie wir gerade jetzt sehen können. Denn er benützt all die Verlockungen als Fallstricke, und zwar in so feiner Weise, daß sie dem Auge des Geistes entgehen, damit der Mensch durch seine Vorsicht sie nicht meiden könne.
S. 227 § 8. Die höchste Klugheit besteht also darin, Schritt für Schritt vorwärts zu gehen, da er zu beiden Seiten im Abgrunde lauert und den Füßen unsichtbare Schlingen legt.
§ 9. Daher rate ich dir, dein jetziges Glück entweder, wie es deiner Tugend ziemt, — falls du es nämlich über dich bringst — gering zu schätzen oder es nicht allzu hoch anzuschlagen. Gedenke auch deines wahren Vaters12, denke an den Staat13, dessen Bürger du bist, und an deinen früheren Stand: du verstehst doch, was ich sagen will.
§ 10. Ich werfe dir nämlich nicht Stolz vor, wovon nicht einmal eine Spur an dir sich findet, sondern meine Worte gelten dem Geiste und nicht dem Leibe: dieser ist nämlich so beschaffen, daß er dem Geiste gleichsam als seinem Herrn dienen und sich von ihm leiten lassen muß.
§ 11. Denn der Leib ist eben nur ein gebrechliches Gefäß, in dem der Geist, d. i. der eigentliche Mensch, wohnt, und zwar ist er nicht von Prometheus14 gebildet, wie die Dichter sagen, sondern von Gott, dem großen Schöpfer und Bildner der Welt, dessen göttliche Vorsehung und Vollkommenheit wir weder mit dem Verstande begreifen noch mit Worten schildern können. Doch werde ich versuchen, da schon einmal von Geist und Leib die Rede ist, beider Wesen, soweit mein schwacher Verstand es vermag, zu erörtern.
§ 12. Diese Aufgabe glaubte ich besonders deshalb auf mich nehmen zu sollen, da der Geistesheros M. Tullius [Cicero] im vierten Buche seiner Schrift „Vom Staate“15, wo er darüber spricht, diesen so umfangreichen Stoff nur oberflächlich behandelt und die Punkte eigentlich nur gestreift hat.
§ 13. Und damit man nicht etwa nach Gründen suche, warum er jenen Punkt nicht weiter ausgeführt S. 228 habe, so bezeugt er selbst, es habe ihm weder an Willen noch an Sorgfalt gefehlt. Im ersten Buche „Über die Gesetze“ nämlich, wo er diesen Gegenstand oberflächlich berührt, sagt er also: „Diesen Punkt hat hinlänglich Scipio in den Büchern, die ihr gelesen habt, erklärt“16. Im zweiten Buche „Über die Natur der Götter“17 aber hat er eben dies ausführlicher darzulegen versucht.
§ 14. Da er aber nicht einmal hier deutlich genug darüber gehandelt hat, so will ich mich an diese Arbeit wagen und darlegen, was jener so beredte Mann fast gänzlich unerörtert gelassen hat.
§ 15. Vielleicht tadelst du es, daß ich mich an eine so schwierige Sache wage, da du siehst, daß Leute von solcher Verwegenheit, die sich allgemein Philosophen18 schelten lassen, aufgestanden sind, um das, was nach Gottes Absicht gänzlich verborgen sein sollte, zu erforschen und das Wesen von Himmel und Erde zu begreifen, was als uns gänzlich ferne liegend weder mit den Augen geschaut, noch mit der Hand gegriffen, noch mit den Sinnen erfaßt werden kann. Und doch reden sie über das Wesen der Dinge so, als müßten ihre Annahmen als vollkommen erwiesen gelten.
Wer dürfte es uns dann so sehr verargen, wenn wir das Wesen unseres Leibes gründlich zu erforschen trachten? Dies ist eben gar nicht dunkel, weil wir aus den Verrichtungen und der Verwendung der einzelnen Teile die Größe der Vorsehung und das Wesen des erschaffenen Gegenstandes zu erkennen im Stande sind.
-
In den schwierigsten Lagen [in summis necessitatibus] hier Verfolgung. Es ist dies die große Christenverfolgung durch Diokletian, unter dessen Regierung, nach dem Berichte des hl. Hieronymus, Laktantius als Lehrer der Beredsamkeit in Nikomedien tätig war. ↩
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Besseren Wissenschaft, d. i. in der christlichen Religion. ↩
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Die christliche Lehre. ↩
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Die Philosophen unseres Anhanges [philosophi sectae nostrae], d. i. die Christen. Schon von Justinus dem Martyr und Clemens von Alexandrien wurde die christliche Religion Philosophie, die Christen Philosophen genannt. ↩
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Daß die Christen bezüglich ihres Lebenswandels bei den Heiden dieser Zeit, natürlich unberechtigter Weise, verrufen waren, ist aus der Kirchen- und Profangeschichte bekannt. ↩
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Echte Weisheit = christliche Religion. ↩
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Auf mein Seelenheil. ↩
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Bestätigung der christlichen Religion. ↩
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Citat Verg. Aen. I 604. ↩
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An deinem Glauben. ↩
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Verg. Aen. III 436. ↩
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Des himmlischen Vaters. ↩
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Der christlichen Kirche. ↩
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Der Titan Prometheus [=Vorbedacht] soll nach dem Mythus bei Ovid, Metam. I 82 die Menschen aus Erde geschaffen haben. ↩
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Die nur zum Teile erhaltene Schrift hat Cicero dem Plato nachgebildet. ↩
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D. i. in den Büchern über den Staat. ↩
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Gleichfalls ein philosophisches Werk Ciceros in drei Büchern, das uns gleich dem über die Gesetze noch erhalten ist. ↩
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Die sog. Naturphilosophen, wie Anaxagoras, Leukippus, Demokritus u. a. m. ↩
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On the Workmanship of God, or the Formation of Man
Chap. I.--The Introduction, and Exhortation to Demetrianus. 1
How disturbed I am, and in the greatest necessities, you will be able to judge from this little book which I have written to you, Demetrianus, almost in unadorned words, as the mediocrity of my talent permitted, that you might know my daily pursuit, and that I might not be wanting to you, even now an instructor, but of a more honourable subject and of a better system. For if you afforded yourself a ready hearer in literature, which did nothing else than form the style, how much more teachable ought you to be in these true studies, which have reference even to the life! And I now profess to you, that I am hindered by no necessity of circumstance or time from composing something by which the philosophers of our sect 2 which we uphold may become better instructed and more learned for the future, although they now have a bad reputation, and are commonly reproved, as living otherwise than is befitting for wise men, and as concealing their vices under the covering of a name; whereas they ought either to have remedied them, or to have altogether avoided them, that they might render the name of wisdom happy and uncorrupted, their life itself agreeing with their precepts. I, however, shrink from no labour that I may at once instruct ourselves and others. For I am not able to forget myself, and especially at that time when it is most necessary for me to remember; as also you do not forget yourself, as I hope and wish. For although the necessity of the state may turn you aside from true and just works, yet it is impossible that a mind conscious of rectitude should not from time to time look to the heaven.
I indeed rejoice that all things which are esteemed blessings turn out prosperously to you, but only on condition of their changing nothing of your state of mind. For I fear lest custom and the pleasantness of these subjects should, as usually happens, creep by degrees into your mind. Therefore I advise you,
"And repeating it, will again and again advise you," 3
not to believe that you have these enjoyments of the earth as great or true blessings, since they are not only deceitful because they are doubtful, but also treacherous because they are pleasant. For you know how crafty that wrestler and adversary of ours is, and also often violent, as we now see that he is. He employs all these things which are able to entice as snares, and with such subtilty that they escape the notice of the eyes of the mind, so that they cannot be avoided by the foresight of man. Therefore it is the highest prudence to advance step by step, since he occupies the passes on both sides, and secretly places stumbling-blocks for our feet. Accordingly I advise you, either to disregard, if you are able according to your virtue, your prosperity in which you live, or not to admire it greatly. Remember your true parent, and in what 4 city you have given your name, and of what rank you have been. You understand assuredly what I say. For I do not charge you with pride, of which there is not even a suspicion in your case; but the things which I say are to be referred to the mind, not to the body, the whole system of which has been arranged on this account, that it may be in subjection to the soul as to a master, and may be ruled by its will. For it is in a certain manner an earthen vessel in which the soul, that is, the true man himself, is contained, and that vessel indeed not made by Prometheus, as the poets say, but by that supreme Creator and Artificer of the world, God, whose divine providence and most perfect excellence it is neither possible to comprehend by the perception, nor to express in word.
I will attempt, however, since mention has been made of the body and soul, to explain the nature of each, as far as the weakness of my understanding sees through; and I think that this duty is especially to be undertaken on this account, because Marcus Tullius, a man of remarkable talent, in his fourth book on the Republic, when he had attempted to do this, concluded a subject of wide extent within narrow limits, lightly selecting the chief points. And that there might be no excuse, because he had not followed up this subject, he testified that neither inclination nor attention had been wanting to him. For in his first book concerning the Laws, when he was concisely summing up the same subject, he thus spoke: "Scipio, as it appears to me, has sufficiently expressed this subject in those books which you have read." Afterwards, however, in his second book concerning the Nature of the Gods, he endeavoured to follow up the same subject more extensively. But since he did not express it sufficiently even there, I will approach this office, and will take upon myself boldly to explain that which a man of the greatest eloquence has almost left untouched. Perhaps you may blame me for attempting to discuss something in matters of obscurity, when you see that there have been men of such rashness who are commonly called philosophers, that they scrutinized those things which God willed to be abstruse and hidden, and investigated the nature of things in heaven and on earth, which are far removed from us, and cannot be examined 5 by the eyes, nor touched by the hand, nor perceived by the senses; and yet they so dispute concerning the nature of these things, as to wish that the things which they bring forward may appear to be proved and known. What reason is there, I pray, why any one should think it an invidious thing in us, if we wish to look into and contemplate the system of our body, 6 which is not altogether obscure, because from the very offices of the limbs, and the uses of the several parts, it is permitted us to understand with what great power of providence each part has been made?
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[Of whom, infra.] ↩
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[Nostrae sectae. Perhaps adopted pleasantly from Acts xxviii. 22.] i.e., Christians. ↩
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Virg., Aen., iii. 436. ↩
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i.e., have been initiated by baptism. [Philipp. iii. 20. Greek.] ↩
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Contrectari. ↩
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[The argument from design is unanswerable, and can never be obsolete. The objections are frivolous, and belong to Cicero's "minute philosophers."] Of whom, see Tuscal. Quaest., book i. cap. 23.] ↩