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Consolatio philosophiae
I.
S. 6 Carmina qui quondam studio florente peregi,
Flebilis heu maestos cogor inire modos.
Ecce mihi lacerae dictant scribenda Camenae
Et veris elegi fletibus ora rigant.
Has saltem nullus potuit pervincere terror,
Ne nostrum comites prosequerentur iter.
Gloria felicis olim viridisque iuventae
Solantur maesti nunc mea fata senis.
Venit enim properata malis inopina senectus
Et dolor aetatem iussit inesse suam.
Intempestivi funduntur vertice cani
Et tremit effeto corpore laxa cutis.
Mors hominum felix, quae se nec dulcibus annis
Inserit et maestis saepe vocata venit.
Eheu, quam surda miseros avertitur aure
Et flentes oculos claudere saeva negat.
Dum levibus male fida bonis fortuna faveret,
Paene caput tristis merserat hora meum.
Nunc quia fallacem mutavit nubila vultum,
Protrahit ingratas impia vita moras.
Quid me felicem totiens iactastis, amici?
Qui cecidit, stabili non erat ille gradu.
[1] Haec dum me cum tacitus ipse reputarem querimoniamque lacrimabilem stili officio signarem, astitisse mihi supra verticem visa est mulier reverendi admodum vultus oculis ardentibus et ultra commumem hominum valentiam perspicacibus, colore vivido atque inexhausti vigoris, quamvis ita aevi plena foret, ut nullo modo nostrae crederetur aetatis, statura discretionis ambiguae. [2] Nam nunc quidem ad communem sese hominum mensuram cohibebat, nunc vero pulsare caelum summi verticis cacumine videbatur; quae cum altius caput extulisset, ipsum etiam caelum penetrabat respicientiumque hominum frustrabatur intuitum. [3] Vestes erant tenuissimis filis subtili artificio indissolubili materia perfectae, quas, uti post eadem prodente cognovi, suis manibus ipsa texuerat. Quarum speciem, veluti fumosas imagines solet, caligo quaedam neglectae vetustatis obduxerat. [4] Harum in extremo margine Π Graecum, in supremo S. 8 vero Θ legebatur intextum. Atque inter utrasque litteras in scalarum modum gradus quidam insigniti videbantur, quibus ab inferiore ad superius elementum esset ascensus. [5] Eandem tamen vestem violentorum quorundam sciderant manus et particulas, quas quisque potuit, abstulerant. [6] Et dextra quidem eius libellos, sceptrum vero sinistra gestabat.
[7] Quae ubi poeticas Musas vidit nostro assistentes toro fletibusque meis verba dictantes, commota paulisper ac torvis inflammata luminibus: [8] Quis, inquit, has scaenicas meretriculas ad hunc aegrum permisit accedere, quae dolores eius non modo nullis remediis foverent, verum dulcibus insuper alerent venenis? [9] Hae sunt enim quae infructuosis affectuum spinis uberem fructibus rationis segetem necant hominumque mentes assuefaciunt morbo, non liberant. [10] At si quem profanum, uti vulgo solitum vobis, blanditiae vestrae detraherent, minus moleste ferendum putarem. Nihil quippe in eo nostrae operae laederentur. Hunc vero Eleaticis atque Academicis studiis innutritum? [11] Sed abite potius, Sirenes usque in exitium dulces, meisque eum Musis curandum sanandumque relinquite.
[12] His ille chorus increpitus deiecit humi maestior vultum confessusque rubore verecundiam limen tristis excessit. [13] At ego, cuius acies lacrimis mersa caligaret nec dinoscere possem quaenam haec esset mulier tam imperiosae auctoritatis, obstupui visuque in terram defixo quidnam deinceps esset actura exspectare tacitus coepi. [14] Tum illa propius accedens in extrema lectuli mei parte consedit meumque intuens vultum luctu gravem atque in humum maerore deiectum his versibus de nostrae mentis perturbatione conquesta est:
Übersetzung
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Trost der Philosophie (BKV)
I.
S. 7 Der ich Gesänge vordem in blühendem Eifer vollendet,
Wehe, wie drängt das Geschick traurige Weisen mir auf.
Also schreiben mir vor voll Schmerz die verwundeten Musen,
Tränen von echtestem Leid haben ihr Antlitz genetzt.
Konnte sie doch allein der Schrecken nimmer besiegen,
Als Gefährten nur sie folgten allein meinem Pfad.
Was die Zierde einst war glückselig blühender Jugend,
Ist dem trauernden Greis Trost noch in Todesgefahr.
Unvermutet erschien vom Leide beschleunigt das Alter,
Jahre häufte der Schmerz auf das ermüdete Haupt.
Von dem Scheitel zu früh ergrauend wallen die Locken,
Schlaff erzittert und welk mir am Leibe die Haut.
Seliger Tod, der sich nicht drängt in die Freuden der Jugend,
Der dem Trauernden nur häufig gerufen erscheint.
Ach er wendet sein Ohr verschlossen dem Flehen der Armen,
Grausam weigert er stets Ruhe dem weinenden Aug'.
Schon da das wankende Glück noch flüchtige Güter gespendet,
Schien das Haupt mir versenkt fast in der Stunde der Angst.
Jetzt da es wolkenverhüllt das trügende Antlitz gewendet,
Da mir das Leben verhaßt, schleppt sich unselig die Zeit.
Warum prieset ihr einst mich oft so glücklich, o Freunde?
Wer so stürzte, der stand niemals auf sicherem Fuß.
Während ich solches schweigend bei mir selbst erwog und meine tränenvolle Klage mit Hilfe des Griffels aufzeichnete, schien es mir, als ob zu meinen Häupten ein Weib hinträte von ehrwürdigem Antlitz, mit funkelndem und über das gewöhnliche Vermögen der Menschen durchdringendem Auge, von leuchtender Farbe und unerschöpfter Jugendkraft, obwohl sie so bejahrt war, daß sie in keiner Weise unserem Zeitalter anzugehören schien. Ihr Wuchs war von wechselnder Größe; denn jetzt zog sie sich zum gewöhnlichen Maß der Menschen zusammen, jetzt aber schien sie mit dem Scheitel den Himmel zu berühren; und als sie noch höher ihr Haupt emporhob, ragte sie in den Himmel selbst hinein und entzog sich so dem Blick der Menschen. Ihr Gewand war von feinstem Gespinst und mit peinlicher Kunstfertigkeit aus unlösbarem Stoff gefertigt; sie hatte es, wie ich später aus ihrem eignen Munde erfuhr, mit eigner Hand gewebt. Seinen Glanz hatte wie bei rauchgeschwärzten Bildern ein trüber Anflug von Vernachlässigung und Alter überzogen. An seinem untersten Rande las man S. 9 eingewebt ein griechisches (xxx), an seinem obersten aber ein (xxx). Und zwischen beiden Buchstaben schienen wie an einer Leiter etliche Stufen eingezeichnet, die von dem unteren zum oberen Schriftzug emporstiegen. Doch hatten dieses selbe Kleid die Hände einiger Gewalttätiger zerfetzt, und jeder hatte ein Stückchen nach Vermögen weggeschleppt. Ihre Rechte endlich trug Bücher, ihre Linke aber ein Szepter.
Als sie die Dichtermusen, die mein Lager umstanden und meiner Tränenflut Worte liehen, erblickte, sprach sie etwas erregt, entflammt mit finsteren Blicken: „Wer hat diesen Dirnen der Bühne den Zutritt zu diesem Kranken erlaubt, ihnen, die seinen Schmerz nicht nur mit keiner Arzenei lindern, sondern ihn obendrein mit süßem Gifte nähren möchten? Sind sie es doch, die mit dem unfruchtbaren Dorngestrüpp der Leidenschaften die fruchtreiche Saat der Vernunft ersticken, die der Menschen Seelen an die Krankheit gewöhnen, nicht sie davon befreien. Wenn eure Schmeichelreden einen Uneingeweihten, wie es gemeinhin durch euch geschieht, ablenken, so würde ich das für minder lästig halten. In diesem aber darf unser Werk nicht verletzt werden; denn er ist mit den Studien Eleas und der Akademie ernährt worden. Drum hinweg ihr Sirenen, die ihr süß seid bis zum Verderben, überlaßt ihn meinen Musen zur Pflege, zur Heilung.“
So gescholten senkte jener Chor tief bekümmert die Blicke, Erröten verriet ihre Scham, so gingen sie traurig über die Schwelle hinaus. Ich aber, dessen tränenüberströmtes Antlitz ein Nebel hüllte, so daß ich nicht unterscheiden konnte, wer diese Frau von so gebietender Würde sei, verstummte, heftete mein Auge auf die Erde und begann schweigend abzuwarten, was sie nun weiter tun werde. Da trat sie näher an mich heran, setzte sich auf das Ende meines Bettes, blickte auf mein tränenschweres, auf die Erde geneigtes Antlitz und klagte in folgenden Versen über die Verwirrung meines Geistes: