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Trost der Philosophie (BKV)
VII.
Siehst du also jetzt, wohin alles, was wir gesagt haben, hinaus will? – Wohin denn? sagte ich. – Daß alles Glück, sagte sie, zum Guten neigt. – Und wie kann das sein? sprach ich. – Merke auf, sagte sie, da alles Glück, ob freundlich ob rauh, um einerseits die Guten zu belohnen oder zu prüfen, andererseits die Schlechten zu strafen oder zu bessern, verhängt wird, so ist alles, weil es gerecht oder nützlich ist, auch gut. – Sehr wahr freilich, sagte ich, ist der Schluß; und wenn ich die Vorsehung oder das Schicksal betrachte, wie du es eben mich gelehrt hast, so stützt sich ihr Spruch auf feste Grundlagen. Doch wollen wir, wenn es dir gefällt, ihn unter die zählen, die du noch eben als unglaublich hingestellt hast. – Wieso? fragte sie. – Weil die Menschen die gemeine Rede im Munde führen, und zwar oft, manches Glück sei schlecht. – Willst du also, sagte sie, daß wir ein Weilchen der Rede des gemeinen Volkes beitreten, auf daß es nicht scheine, daß wir uns von dem gemeinen Menschenverstande zu weit entfernen? – Wie es dir gefällt, sagte ich. – Urteilst du nicht, daß ein Gut sei, was nützt? – Wohl, sagte ich. – Was also entweder übt oder bessert, nützt? – Ich gebe es zu, sagte ich. – Ist also gut? – Wie nicht. – Das aber ist der Fall derer, die entweder in der Tugend gegründet, Krieg gegen die Unbill führen, oder von den Lastern sich abwendend, den Weg der Tugend einschlagen. – Ich kann es nicht leugnen, sagte ich. – Was also angenehm ist, weil es den Guten als Belohnung zuerteilt wird, soll nach der Entscheidung des Pöbels etwa übel sein ? – Keineswegs, vielmehr urteilt er, daß dies, weil es so ist, auch das Beste ist. – Wie nun weiter, wenn es, weil es rauh ist, die Bösen mit gerechter Strafe zügelt, hält es dann etwa das Volk für gut? – Im Gegenteil, sagte ich, von allem, was sich ausdenken läßt, hält es dies für das Elendeste. – Sieh also zu, daß wir nicht etwa, der Meinung des Volkes folgend, etwas sehr Unglaubliches zustande bringen. – Was ? sagte ich. – Aus dem nämlich, sagte sie, was zugestanden ist, ergibt sich, daß jedes Geschick, wie es auch immer sei, derer, die im Besitz oder im Fortschritt oder im Erwerb der Tugend sind, gut ist, für die aber, die im Bösen verharren, jedes überaus schlecht ist. – Das ist wahr, sagte ich, obgleich niemand es zu bekennen wagt. – Deshalb, sagte sie, darf sich der Weise ebenso wenig beschweren, so oft er auch in den Kampf mit dem Geschick gezogen wird, wie es dem Tapfern nicht geziemt sich zu erzürnen, wenn ihn das Kriegsgetümmel umtost. Denn für beide sind die Schwierigkeiten selbst Stoff, für diesen um Ruhm zu erwerben, für jenen Weisheit auszubilden. Und deshalb heißt sie auch Tugend, weil sie, auf ihre Tauglichkeit S. 155 gestützt, sich von Widerwärtigkeiten nicht überwinden läßt. Ihr, die ihr auf dem Pfad der Tugend festen Fuß gefaßt habt, seid nicht gekommen, in Wonne zu zerfließen und in Wollust zu erschlaffen, ihr streitet den harten Geisteskampf mit jederlei Geschick, auf daß euch nicht das Üble erdrücke, das Geneigte verderbe. Nehmt mit starker Kraft die Mitte ein. Alles was darunter bleibt oder darüber hinausgeht, enthält Verachtung der Glückseligkeit, nicht Belohnung der Mühe. In eure Hand ist es gelegt, wie ihr euch das Glück gestalten wollt, denn ein jedes, das rauh erscheint, straft, wenn es nicht übt oder bessert.
VII. Es verweilt im Krieg zweimal fünf der Jahre
Der Atride, bis er mit Trojas Trümmern
Rächend sühnen konnt' seines Bruders Ehbett.
Doch mußt' er zuvor, da der Griechen Flotte
Günstgen Wind begehrt, ihn mit Blut erkaufen;
Und der Vater sieht, sich verleugnend, trauernd
Seiner Tochter Kehle jetzt durchbohrt vom Priester.
Es beweint Olyss den Verlust der Freunde,
Polyphem hat sie, lagernd in der Höhle,
Wild in sich versenkt im gewaltgen Schlunde.
Doch der Wütrich hat dann, beraubt des Auges,
Bald die Lust gebüßt mit den bittern Tränen.
Rühmt doch Herkules seine schwere Arbeit:
Der Kentauren Stolz hat er kühn gebändigt,
Hat dem wilden Leu dann das Fell entrissen,
Traf mit sicherem Pfeil die verruchten Vögel.
Vor des Drachen Blick er die Äpfel raubte;
Seine Linke trägt schwer am Goldmetalle.
Schleppt den Höllenhund an dreifacher Kette.
Wirft als Sieger, heißt's, dann den großen Herren
Selbst dem Viergespann hin zum wilden Fraße.
Ausgebrannt vom Gift muß die Hydra enden.
Es birgt Achelous an der Stirn geschändet
In des Flusses Bette schnell sein schamvoll Antlitz.
Nieder streckt im libyschen Sande er Antäus.
Kakus muß den Zorn des Euander sätt'gen.
Auf den Schultern, die bald der hohe Weltkreis
Drücken sollte, schäumt der gefangne Eber.
Dann als letztes trug er den hohen Himmel
Auf des Nackens Kraft, bis zum Lohn der letzten
Arbeit selbst ihm ward der Besitz des Himmels. –
S. 157 Geht ihr Tapfern nun, wo auf steilem Wege
Euch sein Beispiel trägt, warum seid ihr träge,
Zieht nun kampflos ab? Nur dem Erdbesieger
Winken die Sterne!
Edition
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Consolatio philosophiae
VII.
[1] Iamne igitur vides, quid haec omnia, quae diximus, consequatur?
Quidnam? inquam.
[2] Omnem, inquit, bonam prorsus esse fortunam.
Et qui id, inquam, fieri potest?
Attende, inquit; [3] cum omnis fortuna, vel iucunda vel aspera, tum remunerandi exercendive bonos, tum puniendi corrigendive improbos causa deferatur, omnis bona, quam vel iustam constat esse vel utilem.
[4] Nimis quidem, inquam, vera ratio et, si, quam paulo ante docuisti, providentiam fatumve considerem, firmis viribus nixa sententia. [5] Sed eam, si placet, inter eas, quas inopinabiles paulo ante posuisti numeremus.
Qui? inquit.
[6] Quia id hominum sermo communis usurpat, et quidem crebro, quorundam malam esse fortunam.
[7] Visne igitur, inquit, paulisper vulgi sermonibus accedamus, ne nimium velut ab humanitatis usu recessisse videamur?
Ut placet, inquam.
[8] Nonne igitur bonum censes esse, quod prodest?
Ita est, inquam.
[9] Quae vero aut exercet aut corrigit, prodest?
Fateor, inquam.
Bona igitur?
Quidni?
[10] Sed haec eorum est, qui vel in virtute positi contra aspera bellum gerunt vel a vitiis declinantes virtutis iter arripiunt.
Negare, inquam, nequeo.
[11] Quid vero: iucunda, quae in praemium tribuitur bonis, num vulgus malam esse decernit?
Nequaquam. Verum uti est, ita quoque esse optimam censet.
[12] Quid reliqua, quae cum sit aspera, iusto supplicio malos coercet, num bonam populus putat?
[13] Immo omnium, inquam, quae excogitari possunt, iudicat esse miserrimam.
[14] Vide igitur, ne opinionem populi sequentes quiddam valde inopinabile confecerimus.
Quid? inquam.
[15] Ex his enim, ait, quae concessa sunt, evenit eorum quidem, qui vel sunt vel in possessione vel in provectu vel in adeptione virtutis, omnem, quaecumque sit, bonam, in improbitate vero manentibus omnem pessimam esse fortunam.
[16] Hoc, inquam, verum est, tametsi nemo audeat confiteri.
[17] Quare, inquit, ita vir sapiens moleste ferre non debet, quotiens in fortunae certamen adducitur, ut virum fortem non decet indignari, quotiens increpuit bellicus tumultus. [18] Utrique enim, huic quidem gloriae propagandae, illi vero conformandae sapientiae, difficultas ipsa materia est. [19] Ex quo etiam virtus S. 154 vocatur, quod virtus suis viribus nitens non superetur adversis. Neque enim vos in provectu positi virtutis diffluere deliciis et emarcescere voluptate venistis; [20] proelium cum omni fortuna nimis acre conseritis, ne vos aut tristis opprimat aut iucunda corrumpat; [21] firmis medium viribus occupate. Quicquid aut infra subsistit aut ultra progreditur, habet contemptum felicitatis, non habet praemium laboris. [22] In vestra enim situm manu, qualem vobis fortunam formare malitis. Omnis enim, quae videtur aspera, nisi aut exercet aut corrigit, punit.
Bella bis quinis operatus annis
Ultor Atrides Phrygiae ruinis
Fratris amissos thalamos piavit.
Ille dum Graiae dare vela classi
Optat et ventos redimit cruore,
Exuit patrem miserumque tristis
Foederat natae iugulum sacerdos.
Flevit amissos Ithacus sodales,
Quos ferus vasto recubans in antro
Mersit immani Polyphemus alvo.
Sed tamen caeco furibundus ore
Gaudium maestis lacrimis rependit.
Herculem duri celebrant labores:
Ille Centauros domuit superbos,
Abstulit saevo spolium leoni
Fixit et certis volucres sagittis,
Poma cernenti rapuit draconi
Aureo laevam gravior metallo,
Cerberum traxit triplici catena.
Victor immitem posuisse fertur
Pabulum saevis dominum quadrigis.
Hydra combusto periit veneno,
Fronte turpatus Achelous amnis
Ora demersit pudibunda ripis.
Stravit Antaeum Libycis harenis,
Cacus Euandri satiavit iras,
Quosque pressurus foret altus orbis,
Saetiger spumis umeros notavit.
Ultimus caelum labor inreflexo
Sustulit collo pretiumque rursus
Ultimi caelum meruit laboris.
S. 156 Ite nunc, fortes, ubi celsa magni
Ducit exempli via. Cur inertes
Terga nudatis? Superata tellus
Sidera donat.