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Werke Boethius, Anicius Manlius Severinus (480-524) Philosophiae consolatio Trost der Philosophie (BKV)
Drittes Buch

II.

S. 71 Da heftete sie eine Weile ihren Blick auf den Boden, als ob sie sich in den innersten Sitz ihrer Seele zurückzöge, dann begann sie: Alle Sorge der Menschen, wie vielfältig auch die Mühe ihrer Bestrebungen sein mag, schlägt zwar verschiedene Wege ein, trachtet aber doch nur nach einem Ziele, nach der Glückseligkeit. Ein Gut aber nenne ich, das nichts weiter zu wünschen läßt, wenn man es erlangt hat. Das aber ist das höchste Gut, in dem alle andern enthalten sind; es wäre eben das höchste nicht, wenn ihm irgend etwas abginge, da ja dann eben noch etwas außerhalb wäre, was man wünschen könnte. Es ist also klar, daß die Glückseligkeit ein Zustand ist, der durch die Vereinigung aller Güter vollkommen ist. Diesen, wie gesagt, suchen alle Sterblichen zu erreichen, aber auf verschiedenen Pfaden. Denn dem Geiste der Menschen ist von Natur die Begierde nach dem wahren Guten eingepflanzt, nur der mißleitete Irrtum verführt sie zum Falschen. Einige, die es für das höchste Glück halten, an nichts Mangel zu haben, setzen ihre Mühe daran, in Reichtum zu schwimmen; andere aber halten es für das der Verehrung würdigste Gut, Auszeichnungen auf sich zu häufen; so streben sie bei ihren Mitbürgern in höchster Achtung zu stehen. Manche setzen das höchste Gut in die höchste Macht; sie versuchen selbst zu herrschen oder sich an die Herrscher zu drängen. Diejenigen aber, denen Berühmtheit als das Beste erscheint, eifern danach, mit den Künsten des Krieges oder des Friedens die Herrlichkeit ihres Namens auszubreiten. Weitaus die meisten messen die Frucht des Guten ab nach Freude und Vergnügen; sie halten es für das allerglücklichste in Lüsten überzufließen. Manche vertauschen auch die einzelnen Zwecke und Ursachen miteinander, sie ersehnen dann Reichtum um der Macht und Lust willen, Macht um des Geldes oder der Verbreitung ihres Namens willen. Um diese und ähnliche Absichten kreisen alle menschlichen Handlungen und Wünsche, wie denn Adel und Volksgunst eine Art Glanz zu verleihen scheinen, wie man Weib und Kind um der Lieblichkeit willen sucht; Freundschaft aber, die lauterste Art, ist nicht zum Glück, sondern zur Tugend zu zählen. Alles übrige aber eignet man sich um der Macht oder um des Ergötzens willen an. Daß auch die Güter des Körpers zu den oben genannten zu rechnen sind, liegt auf der Hand. Denn Stärke und Größe scheinen Tüchtigkeit zu verleihen, Schönheit und Behendigkeit Ansehen, Gesundheit Vergnügen zu gewähren; es ist klar, daß in allem diesem nur die Glückseligkeit gewünscht wird; denn was jemand vor allem andern erstrebt, das hält er für das höchste Gut. Aber wir haben als höchstes Gut die Glückseligkeit bestimmt, also hält jeder den Zustand für glückselig, den er vor andern erstrebt.

So hast du also die Gestalt der menschlichen Glückseligkeit, fast als ob sie dir vor Augen stände: Geld, Ehren, Macht, Ruhm, Wollust. Da Epicurus dies allein betrachtete, setzte er folgerichtig das höchste Gut in die Lust, S. 73 weil doch alles andere dem Geist Vergnügen zu verschaffen scheine. Aber ich kehre zu den Bestrebungen der Menschen zurück, deren Geist, wenn auch mit verdunkelter Erinnerung, dennoch zum höchsten Gute strebt, so daß er nur gleichsam berauscht nicht weiß, auf welchem Pfade er in die Heimat zurückkehren soll. Schienen etwa die zu irren, die da strebten nichts zu entbehren? Es gibt nichts anderes, was gleicher Weise die Glückseligkeit vollenden kann, wie ein reichlicher Zustand von Gütern, der nichts Fremdes bedarf, der sich selber genügt. Irren etwa die ab, die da meinen, was das Beste sei, sei auch achtungsvoller Verehrung am würdigsten? Keineswegs, denn nicht gemein und verächtlich ist doch das, was zu erreichen fast alle Sterblichen sich mühen. Oder ist Macht nicht zu den Gütern zu zählen? Wie also? Ist das für schwach und kraftlos zu erachten, was sicherlich trefflicher ist als alles andre? Oder ist die Berühmtheit für nichts zu schätzen? Die Tatsache läßt sich nicht aus der Welt schaffen, daß alles Trefflichste auch das Gerühmteste scheint. Was brauche ich zu sagen, daß die Glückseligkeit nicht angst- und trauererfüllt ist, daß sie Schmerz und Trübsal nicht unterworfen ist, da doch auch in den geringfügigsten Dingen das erstrebt wird, was zu besitzen und zu genießen ergötzt. Und das ist es doch, was die Menschen erlangen wollen; deshalb ersehnen sie doch Reichtum, Würden, Herrschaft, Ruhm und Lust, weil sie glauben, hieraus werde ihnen Genügen, Ansehen, Macht, Berühmtheit, Freude kommen. Das Gute ist es also, wonach die Menschen mit so verschiedenem Streben trachten, und hiermit zeigt sich leicht, wie groß die Kraft der Natur ist, da, wie mannigfaltig und einander widersprechend die Ansichten sein mögen, sie doch alle in der Liebe zum Guten ihr Ziel sehen.

II. Die du lenkst den Zügel der Schöpfung,

Mächt'ge Natur. Unendliche Räume

Sorglich zwingst du in ew'ge Gesetze,

Knüpfst in feste Knoten der Dinge

Unlösbar Band. Mit tönendem Sange

Nie matter Treue preise mein Lied dich.

Lang schleppt der Löwe die Last schöner Ketten,

Leckt die Hand, die ihm reicht sein Futter,

Feige scheut er, gewohnt der Peitsche,

Seines Herren drohende Blicke.

Doch netzt Blut ihm grausig den Rachen,

Dann kehrt zurück der verhaltene Mut ihm,

Laut aufbrüllend denket er seiner.

Seine Fesseln zersprengt der Nacken,

Und zerfleischt vom blutigen Zahn sinkt

S. 75 Erstes Opfer des Zorns der Zwingherr.

Hoch in Zweigen girrte der Vogel,

Nun umschließt ihn des Käfigs Gefängnis;

Ihm reicht die Schale bestrichen mit Honig,

Reichlich Bissen voll freundlichem Eifer

Bietet ihm tändelnde Sorge der Menschen.

Aber hüpft er zum niederen Dache,

Schaut er die Schatten des heimischen Haines,

Mit den Füßen zerstreut er sein Futter;

Nach den Wäldern sehnt er sich traurig,

Nach den Wäldern sein süßes Singen.

Packt die kräftige Faust den Baumstamm,

Neigt zur Erde herab sich der Gipfel;

Läßt ihn los die krümmende Rechte,

Aufwärts steigt sein Scheitel zum Himmel.

Phöbus sinkt in nächtliche Wogen,

Aber zurück auf verborgenem Pfade

Führt den Wagen er wieder zum Aufgang.

So sucht alles die eigenen Bahnen,

Alles fühlt die Wonnen der Rückkehr.

Das nur bleibt in der ewigen Ordnung,

Was den Anfang eint mit dem Ende,

Was sich schließt zum gefestigten Kreise.

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