• Start
  • Werke
  • Einführung Anleitung Mitarbeit Sponsoren / Mitarbeiter Copyrights Kontakt Impressum
Bibliothek der Kirchenväter
Suche
DE EN FR
Werke Boethius, Anicius Manlius Severinus (480-524) Philosophiae consolatio Trost der Philosophie (BKV)
Drittes Buch

XI.

Ich stimme zu, sprach ich; denn alles ist durch festeste Gründe verknüpft. – Darauf jene: Wie hoch wirst du es erst schätzen, wenn du erkannt hast, was das Gute selbst ist. – Unendlich hoch, sagte ich, wenn es mir gelingt, Gott, der das Gute ist, zu erkennen. – Das werde ich dir ja durch die untrüglichste Begründung kund tun, nur muß dir, was wir eben erschlossen, fest bleiben. – Es wird bleiben. – Haben wir nicht, sprach sie, gezeigt, daß das, was die meisten erstreben, aus vielerlei und deshalb nicht aus wahren und vollkommenen Gütern besteht, da diese ja wechselweise von einander abweichen und da eines, dem das andre fehlt, ein volles und unbedingtes Gut nicht bringen kann? Daß aber das wahre Gute dann entstehe, wenn es sich gleichsam zu einer Form und Wirksamkeit sammle, so daß wo Genügen ist, auch zugleich Macht, Ehre, Glanz und Freude ist, daß sie nur dann unter das Erstrebenswerte gezählt werden sollten, wenn alles eins und dasselbe ist? – Es ist bewiesen, sagte ich, und kann auf keine Weise bezweifelt werden. – Was also, solange es verschieden ist, keineswegs gut ist, S. 103 sobald es aber eins zu werden beginnt, gut wird, wird das dann nicht gut durch das Ergreifen der Einheit? Trifft das nicht zu? – Ja, sprach ich, so scheint es. – Gibst du nun aber zu, daß alles, was gut ist, durch Teilhaben am Guten gut ist, oder nicht? – So ist es. – So mußt du auch gleicher Weise zugeben, daß das Eine und das Gute dasselbe sei. Die Substanz nämlich ist dieselbe bei Dingen, deren Wirkung von Natur nicht verschieden ist. – Das kann ich nicht leugnen, sagte ich. – Weißt du nun, daß alles, was ist, solange bleibt und besteht, als es eines ist, gleicher Weise aber untergeht und sich auflöst, sobald es aufhört eines zu sein? – Auf welche Weise? – Wie bei den Lebewesen, sagte sie; wenn Seele und Körper zu einem zusammenkommen und darin verharren, so heißt das ein Lebewesen. Wenn sich aber die Einheit durch Trennung beider löst, so ist klar, daß es untergehen und kein Lebewesen mehr sein kann. Auch der Körper selbst wird, solange er durch die Glieder in einer Form verharrt, als von menschlicher Art angesehen. Aber wenn die Teile des Körpers getrennt und gesondert die Einheit zerrissen haben, hört er auf zu sein, was er war. Wer auf diese Weise das übrige durchgeht, dem wird ohne Zweifel sich ergeben, daß ein jegliches besteht, solange es eine Einheit ist, wenn es dies zu sein aufhört, aber untergeht. – Je mehr ich das erwäge, scheint es mir keineswegs anders zu sein. – Gibt es nun etwas, fragte sie, das, soweit es naturgemäß handelt, den Trieb zum Bestehen aufgibt und zu Untergang und Zerfall zu gelangen wünscht?

Wenn ich die Lebewesen betrachte, sagte ich, die irgend eine natürliche Anlage zum Wollen und Nichtwollen besitzen, so finde ich nicht, daß sie ohne äußeren Zwang den Trieb zu beharren wegwerfen und sich freiwillig zum Untergang drängen. Denn jedes Lebewesen bemüht sich sein Heil zu wahren, Tod und Verderben aber zu vermeiden. Aber ich zweifle, ob ich für Kräuter und Bäume, ob ich überhaupt für die unbeseelten Dinge beistimmen kann. – Und doch brauchst du daran nicht zu zweifeln, da du siehst, wie Kräuter und Bäume erstens an dem für sie passenden Orten wachsen, wo sie, soweit es ihre Natur zuläßt, nicht rasch vertrocknen und verkommen können. Denn die einen wachsen in Feldern, andre auf Bergen, die stehen in Sümpfen, andre klammern sich an Felsen, dürrer Sand ist für diese der Nährboden, und wenn man sie an andre Plätze zu verpflanzen sucht, so verdorren sie. So gibt die Natur einem jeden, was ihm zuträglich ist, und sie bemüht sich, daß es nicht untergehe, solange es zu dauern vermag. Ziehen nicht alle Gewächse, als ob sie ihren Mund in die Erde gesenkt hätten, mit den Wurzeln ihre Nahrung und lassen sie durch Mark, Holz und Rinde aufsteigen? Ist nicht gerade das Weichste, das Mark, im Innern verborgen, stellt sich nicht weiter draußen das feste Holz, am äußersten Rande aber die Rinde wie eine dauerhafte Verteidigung gegen die Unbilden der Witterung dar? Wie groß ferner ist die Sorgsamkeit der Natur, daß sich S. 105 alles durch vervielfältigten Samen fortpflanze. Wer wüßte nicht, daß dies wie eine Maschine ist, die nicht nur zur Erhaltung für einige Zeit, sondem auch zur Erhaltung der Gattung auf die Dauer wirkt. Wünschen aber nicht sogar die Dinge, die für unbelebt gehalten werden, gleicher Weise jedes das seine? Warum trägt die Flamme ihre Leichtigkeit aufwärts, drückt die Erde ihr Gewicht abwärts, wenn nicht einem jeden dieser Platz, diese Bewegung angemessen wäre? Ferner was mit einem jeden übereinstimmt, das erhält es auch aufrecht, ebenso wie das, was ihm feindlich ist, es zerstört. Was hart ist wie Stein, das hängt mit seinen Teilen zähe zusammen und widersteht einer leichten Auflösung. Was aber flüssig ist wie Luft und Wasser, gibt leicht der Teilung nach, aber gleitet auch wiederum leicht in das, wovon es getrennt wurde, zurück; das Feuer aber widersteht jeder Trennung. Jetzt aber handeln wir nicht von der freiwilligen Bewegung der erkennenden Seele, sondem von der Absicht der Natur. Dahin gehört, daß man die aufgenommene Speise verdaut, ohne daran zu denken, im Schlafe ohne Bewußtsein atmet, denn die Liebe zum Beharren rührt bei den Lebewesen nicht aus den Willensregungen der Seele, sondem aus den Grundsätzen der Natur her. Denn der Wille heißt oft aus zwingenden Gründen den Tod willkommen, vor dem die Natur zurückschaudert, hingegen zügelt bisweilen der Wille das, wodurch allein die Dauer sterblicher Dinge währt, die Zeugung, die die Natur immer begehrt. So sehr geht die Liebe zu sich selbst nicht aus seelischer Bewegung, sondem aus der Absicht der Natur hervor. Denn die Vorsehung hat den von ihr geschaffenen Dingen diese oberste Ursache zum Beharren gegeben, daß sie, soweit sie es können, zu beharren begehren, daher ist keinerlei Grund zum Zweifel gegeben, daß alles was ist, von der Natur die Beständigkeit im Beharren erstrebt und die Vernichtung vermeidet.

Ich bekenne, sagte ich, daß ich jetzt unbezweifelt durchschaue, was mir erst ungewiß schien. – Was aber, sprach sie, zu bestehn und zu beharren begehrt, das wünscht auch eine Einheit zu sein; denn wenn sie aufgehoben ist, kann nichts ausdauern. – Das ist wahr, sagte ich. – Alles also wünscht die Einheit? – Ich habe zugestimmt. – Aber daß die Einheit dasselbe ist wie das Gute, haben wir gezeigt. – Ja. – Alles also strebt nach dem Guten, was man auch so umschreiben kann, es muß das Gute sein, was von allen begehrt wird. – Nicht wahrer läßt es sich ausdenken, sagte ich, denn entweder wird sich alles auf ein Nichts beziehn und gleichsam des einigenden Gipfels beraubt ohne Lenker hin und her fluten, oder wenn es etwas gibt, wohin die Gesamtheit drängt, so wird es das höchste aller Güter sein. – Und jene sprach: Ich freue mich gar sehr, mein Zögling, denn du hast deinem Geist das Kennzeichen des Kernes der Wahrheit eingeprägt. Aber hierin wurde dir offenbar, was du noch vor kurzem nicht zu wissen S. 107 behauptetest. – Was? fragte ich. – Was das Endziel aller Dinge sei. Denn wahrhaftig es ist das, was von allen gewünscht wird, und weil wir geschlossen haben, daß es das Gute ist, müssen wir auch bekennen, daß das Gute das Ziel aller Dinge ist.

XI. Wer tiefen Sinnes auf der·Wahrheit Spuren geht,

Wer nie vom falschen Wege sich verführen läßt,

Der wende zu dem eignen innern Licht den Blick,

Den weiten Bogen beugend schließe er den Kreis;

Er lehre seinem Geist: was draußen er gesucht,

Besitzt er längst beschlossen in ureignem Schatz;

Was ihm des Irrtums schwarze Wolke lang verdeckt,

Durchflutet ihn noch heller als der Sonne Strahl.

Nicht alles Licht entschwand dem Geist, als in die Last

Des Leibes, des vergessenbringenden er fuhr;

In seinem Innern schläft der Wahrheit Samenkorn,

Und von der Lehre angefacht, sprießt es hervor.

Wie gäbt, befragt, ihr rechte Antwort aus euch selbst,

Wenn nicht der Funke lebte, tief ins Herz gesenkt?

Drum wenn des Plato Muse echte Wahrheit singt,

Erinnert jeder unbewußt sich, was er lernt.

pattern
  Drucken   Fehler melden
  • Text anzeigen
  • Bibliographische Angabe
  • Scans dieser Version
Download
  • docxDOCX (109.65 kB)
  • epubEPUB (89.72 kB)
  • pdfPDF (326.78 kB)
  • rtfRTF (288.84 kB)
Editionen dieses Werks
Consolatio philosophiae vergleichen
Übersetzungen dieses Werks
Trost der Philosophie (BKV)
Kommentare zu diesem Werk
Nachwort Trost der Philosophie

Inhaltsangabe

Theologische Fakultät, Patristik und Geschichte der alten Kirche
Miséricorde, Av. Europe 20, CH 1700 Fribourg

© 2025 Gregor Emmenegger
Impressum
Datenschutzerklärung