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Summe der Theologie
Vierter Artikel. Begriffsbestimmung der Tugend.
a) Unzukömmlich scheint die folgende Begriffsbestimmung zu sein. „Die Tugend ist eine gute Eigenschaft des vernünftigen Geistes, kraft deren recht gelebt wird, die niemand schlecht gebraucht, die Gott in uns ohne uns wirkt.“ Denn: I. Die Tugend ist ein Gutsein für den Menschen, „sie macht nämlich gut den, der sie hat.“ Ein Gutsein aber scheint nicht gut zu sein; wie die Weiße nicht weiß ist; sondern dadurch ist etwas gut oder weiß. Also ist die Tugend keine „gute Eigenschaft“. II. Kein Unterscheidungsgrund darf allgemeiner sein wie die Art, welche er ja in ihrer Allgemeinheit eben teilen soll. „Gut“ aber ist allgemeiner wie die Seinsart „Eigenschaft“; denn „gut“ hat die nämliche Ausdehnung in seiner Bedeutung wie „Sein“. Also darf nicht „gut“ als Unterscheidungsgrund zu „Eigenschaft“ gesetzt werden. III. Augustin (12. de Trin. 3.) sagt: „Wo zuerst etwas begegnet, was uns und den Tieren nicht gemeinsam ist, das gehört zum vernünftigen Geiste.“ Manche Tugenden aber gehören dem sinnlichen Teile in uns an, wie Aristoteles (3 Ethic. 10.) sagt. Also darf nicht in der Definition gesagt werden: „gute Eigenschaft des vernünftigen Geistes.“ IV. „Recht“ gehört zur Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit aber ist eine besondere Gattung in den Tugenden. Also wird mit Unrecht das Wort „recht“ in die Definition der Tugend im allgemeinen gesetzt. V. Wer stolz ist auf etwas, gebraucht dieses schlecht. Viele sind aber stolz auf ihre Tugend. Also darf nicht gesagt werden: „die niemand schlecht gebraucht.“ „Der Stolz stellt auch den guten Werken nach, daß sie verloren gehen,“ sagt Augustin (regula). VI. Der Mensch wird gerechtfertigt durch die Tugend. Augustin aber sagt (in Joan. tract. 27.): „Der dich geschaffen hat ohne dich, wird dich nicht rechtfertigen ohne dich.“ Also steht ohne Grund: „die Gott ohne uns in uns wirkt.“ Auf der anderen Seite steht die Autorität Augustins (2. de lib. arb 19.; 4. cont. Jul. 3.; et in Ps. 158. feci judicium).
b) Ich antworte; die genannte Definition drückt nach allen Seiten hin vollständig das Wesen der Tugend aus. Denn eine vollständig ausreichende Definition oder Begriffsbestimmung eines Dinges wird gewonnen aus der Zusammenstellung aller Ursachen desselben. Dies ist aber bei der genannten Definition der Fall. Denn die innere Formal- oder die das innere bestimmende Wesen ausmachende Ursache wird genommen aus der „Art“ und der Gattungsform. Die „Art“ nun hier ist „Eigenschaft“, wofür freilich besser „Zustand“ habitus als die nächste Art gesetzt würde; — die einschränkende Gattungsform ist „gut“. Einen Stoff, aus welchem heraus die Tugend geformt würde, hat sie nun nicht und somit hat sie nicht einen eigentlichen Materialgrund. Sie hat aber einen Gegenstand, um den herum sie sich vollzieht und einen Gegenstand, worin sie als in ihrem Subjekte ist. Der erstere Gegenstand ist der, worauf jede Tugend geht, der also die einzelne besondere Tugend zu einer solchen dem Wesen nach macht; und somit wird ein solcher hier bei der Definition der Tugend im allgemeinen nicht erwähnt. AIs Sitz oder Subjekt der Tugend und sonach von dieser Seite her als deren Materialgrund wird angegeben: „des vernünftigen Geistes.“ Der Zweck eines thätig wirksamen Zustandes ist das Thätigsein. Nun sind aber einige solcher Zustände immer auf das Schlechte gerichtet, wie die Laster; und einige bald auf das Gute bald auf das Schlechte in indifferenter Weise, wie der Zustand der „Meinung“, die wahr oder falsch sein kann. Damit also die Tugend davon unterschieden werde, wird gesagt: „kraft deren man recht lebt;“ damit ist der Unterschied gegeben von den Lastern. „Die niemand schlecht gebraucht,“ wird gesagt, damit der Unterschied gegeben sei von den indifferenten Dingen. Die Ursache, welche die eingegossene Tugend bewirkt, ist Gott; — so daß, wenn dieser Teil fortgelassen wird, die Definition gemeinsam ist allen Tugenden, den erworbenen und den eingegossenen.
c) I. Was zuerst in einem Dinge von der Vernunft aufgefaßt wird, ist das „Sein“ eines Dinges. Jedem von uns aufgefaßten Dinge also teilen wir zu das Sein; und damit zugleich, da etwas insoweit gut ist als es ist, auch das Gute. Demgemäß ist das Wesen eines Dinges seiend und ist gut; und die Einheit in einem Dinge ist seiend und ist eine und ist gut; und ähnlich gilt es von dem Gutsein. Dies verhält sich aber nicht so mit den besonderen einzelnen Formen, wie dies die Gesundheit und die Schönheit ist; denn nicht Alles, was wir erfassen, erfassen wir unter dem Gesichtspunkte des Gesunden und Schönen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß, wie solche zum Wesen hinzutretende Formen nicht als seiend bezeichnet werden, weil sie selber für sich bestehen, sondern weil vermittelst ihrer, durch sie, etwas ist; so sagt man auch das „Eine“ und das „Gute“ aus, weil dadurch und vermittelst dessen etwas „gut“ oder „eines“ ist. Und so wird die Tugend „gut“ genannt, weil durch sie etwas „gut“ ist. II. Das „gut“ hier ist nicht das Gute im allgemeinen; sondern das, was gemäß der auffassenden Vernunft als gut erfunden wird für den einzelnen Menschen, wie Dionysius (4. de div. nom.) sagt: „Gut ist es für die Seele, gemäß der Vernunft zu sein.“ III. Die Tugend ist im sinnlichen Teile, soweit dieser Anteil hat an der Vernunft, und von dieser geregelt wird. IV. Der Gerechtigkeit ist eigen jenes Rechte, welches sich mit den äußeren Sachen beschäftigt, mit den Sachen nämlich, die in den Gebrauch des Menschen kommen. Aber das Rechte, was die Beziehung zum gebührenden Zwecke und zum göttlichen Gesetze bedeutet, der Richtschnur des menschlichen Wirkens, ist eigen aller Tugend. V. Der Tugend, als eines Gegenstandes, kann jemand sich in schlechter Weise bedienen; z. B. wenn er über selbe eine schlechte Meinung hat, ob derselben stolz ist, sie haßt; nicht aber insoweit sie maßgebendes Princip des Gebrauchens ist, so daß kraft ihrer die schlechte Thätigkeit ausgeht. VI. Ohne unsere Mitwirkung verursacht Gott in uns die eingegossene Tugend; aber nicht ohne unsere Zustimmung. Was aber von uns selber gewirkt wird, das verursacht Gott nicht, ohne daß wir selbst es auch bewirken; denn Er wirkt in aller Natur und in jedem Willen.
Edition
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Summa theologiae
Articulus 4
Iª-IIae q. 55 a. 4 arg. 1
Ad quartum sic proceditur. Videtur quod non sit conveniens definitio virtutis quae solet assignari, scilicet, virtus est bona qualitas mentis, qua recte vivitur, qua nullus male utitur, quam Deus in nobis sine nobis operatur. Virtus enim est bonitas hominis, ipsa enim est quae bonum facit habentem. Sed bonitas non videtur esse bona, sicut nec albedo est alba. Igitur inconvenienter dicitur quod virtus est bona qualitas.
Iª-IIae q. 55 a. 4 arg. 2
Praeterea, nulla differentia est communior suo genere, cum sit generis divisiva. Sed bonum est communius quam qualitas, convertitur enim cum ente. Ergo bonum non debet poni in definitione virtutis, ut differentia qualitatis.
Iª-IIae q. 55 a. 4 arg. 3
Praeterea, sicut Augustinus dicit, in XII de Trin., ubi primo occurrit aliquid quod non sit nobis pecoribusque commune, illud ad mentem pertinet. Sed quaedam virtutes sunt etiam irrationabilium partium; ut philosophus dicit, in III Ethic. Non ergo omnis virtus est bona qualitas mentis.
Iª-IIae q. 55 a. 4 arg. 4
Praeterea, rectitudo videtur ad iustitiam pertinere, unde idem dicuntur recti, et iusti. Sed iustitia est species virtutis. Inconvenienter ergo ponitur rectum in definitione virtutis, cum dicitur, qua recte vivitur.
Iª-IIae q. 55 a. 4 arg. 5
Praeterea, quicumque superbit de aliquo, male utitur eo. Sed multi superbiunt de virtute, dicit enim Augustinus, in regula, quod superbia etiam bonis operibus insidiatur, ut pereant. Falsum est ergo quod nemo virtute male utatur.
Iª-IIae q. 55 a. 4 arg. 6
Praeterea, homo per virtutem iustificatur. Sed Augustinus dicit, super illud Ioan., maiora horum faciet, qui creavit te sine te, non iustificabit te sine te. Inconvenienter ergo dicitur quod virtutem Deus in nobis sine nobis operatur.
Iª-IIae q. 55 a. 4 s. c.
Sed contra est auctoritas Augustini, ex cuius verbis praedicta definitio colligitur, et praecipue in II de libero arbitrio.
Iª-IIae q. 55 a. 4 co.
Respondeo dicendum quod ista definitio perfecte complectitur totam rationem virtutis. Perfecta enim ratio uniuscuiusque rei colligitur ex omnibus causis eius. Comprehendit autem praedicta definitio omnes causas virtutis. Causa namque formalis virtutis, sicut et cuiuslibet rei, accipitur ex eius genere et differentia, cum dicitur qualitas bona, genus enim virtutis qualitas est, differentia autem bonum. Esset tamen convenientior definitio, si loco qualitatis habitus poneretur, qui est genus propinquum. Virtus autem non habet materiam ex qua, sicut nec alia accidentia, sed habet materiam circa quam; et materiam in qua, scilicet subiectum. Materia autem circa quam est obiectum virtutis; quod non potuit in praedicta definitione poni, eo quod per obiectum determinatur virtus ad speciem; hic autem assignatur definitio virtutis in communi. Unde ponitur subiectum loco causae materialis, cum dicitur quod est bona qualitas mentis. Finis autem virtutis, cum sit habitus operativus, est ipsa operatio. Sed notandum quod habituum operativorum aliqui sunt semper ad malum, sicut habitus vitiosi; aliqui vero quandoque ad bonum, et quandoque ad malum, sicut opinio se habet ad verum et ad falsum; virtus autem est habitus semper se habens ad bonum. Et ideo, ut discernatur virtus ab his quae semper se habent ad malum, dicitur, qua recte vivitur, ut autem discernatur ab his quae se habent quandoque ad bonum, quandoque ad malum, dicitur, qua nullus male utitur. Causa autem efficiens virtutis infusae, de qua definitio datur, Deus est. Propter quod dicitur, quam Deus in nobis sine nobis operatur. Quae quidem particula si auferatur, reliquum definitionis erit commune omnibus virtutibus, et acquisitis et infusis.
Iª-IIae q. 55 a. 4 ad 1
Ad primum ergo dicendum quod id quod primo cadit in intellectu, est ens, unde unicuique apprehenso a nobis attribuimus quod sit ens; et per consequens quod sit unum et bonum, quae convertuntur cum ente. Unde dicimus quod essentia est ens et una et bona; et quod unitas est ens et una et bona; et similiter de bonitate. Non autem hoc habet locum in specialibus formis, sicut est albedo et sanitas, non enim omne quod apprehendimus, sub ratione albi et sani apprehendimus. Sed tamen considerandum quod sicut accidentia et formae non subsistentes dicuntur entia, non quia ipsa habeant esse, sed quia eis aliquid est; ita etiam dicuntur bona vel una, non quidem aliqua alia bonitate vel unitate, sed quia eis est aliquid bonum vel unum. Sic igitur et virtus dicitur bona, quia ea aliquid est bonum.
Iª-IIae q. 55 a. 4 ad 2
Ad secundum dicendum quod bonum quod ponitur in definitione virtutis, non est bonum commune, quod convertitur cum ente, et est in plus quam qualitas, sed est bonum rationis, secundum quod Dionysius dicit, in IV cap. de Div. Nom., quod bonum animae est secundum rationem esse.
Iª-IIae q. 55 a. 4 ad 3
Ad tertium dicendum quod virtus non potest esse in irrationali parte animae, nisi inquantum participat rationem, ut dicitur in I Ethic. Et ideo ratio, sive mens, est proprium subiectum virtutis humanae.
Iª-IIae q. 55 a. 4 ad 4
Ad quartum dicendum quod iustitiae est propria rectitudo quae constituitur circa res exteriores quae in usum hominis veniunt, quae sunt propria materia iustitiae, ut infra patebit. Sed rectitudo quae importat ordinem ad finem debitum et ad legem divinam, quae est regula voluntatis humanae, ut supra dictum est, communis est omni virtuti.
Iª-IIae q. 55 a. 4 ad 5
Ad quintum dicendum quod virtute potest aliquis male uti tanquam obiecto, puta cum male sentit de virtute, cum odit eam, vel superbit de ea, non autem tanquam principio usus, ita scilicet quod malus sit actus virtutis.
Iª-IIae q. 55 a. 4 ad 6
Ad sextum dicendum quod virtus infusa causatur in nobis a Deo sine nobis agentibus, non tamen sine nobis consentientibus. Et sic est intelligendum quod dicitur, quam Deus in nobis sine nobis operatur. Quae vero per nos aguntur, Deus in nobis causat non sine nobis agentibus, ipse enim operatur in omni voluntate et natura.