Vorwort
S. LI Mir war die Aufgabe zugefallen, das erste Ephrämbändchen zu revidieren, welches seinerzeit der bekannte Syrologe P. Pius Zingerle O. S. B. [gest. 1881] für die „Bibliothek der Kirchenväter“ besorgt hat. Diese Revision hatte sich nach zwei Seiten hin zu betätigen.
Zunächst sollten nur echte Arbeiten Ephräms beibehalten werden, also die unechten und zweifelhaften Stücke ausgeschieden werden. Zingerle war in Zweifelsfällen geneigter, eine Schrift dem hl. Ephräm zu- als abzuerkennen. Das gleiche gilt von Thomas Joseph Lamy [gest. 1907]. Es ist jedoch bekannt, daß die Herausgeber der Editio Romana sehr unkritisch zu Werke gingen und daß besonders diejenigen Bände, welche die nur griechisch überlieferten Schriften Ephräms enthalten, nur mit größter Reserve zu benützen sind. Bis jetzt hat noch niemand eine durchgängige Sichtung der unter dem Namen Ephräms gehenden Schriften unternommen. Nur für die syrisch überlieferten Stücke, soweit sie bis 1901 veröffentlicht waren, sind wir durch F. Crawford Burkitt 1 besser bedient. Nach seiner Tabelle stammen die uns hier interessierenden Stücke aus dem Codex vaticanus 117, der im zwölften Jahrhundert im Kloster des hl. Bischoi in der nitrischen Wüste geschrieben wurde, werden aber teils gar nicht, teils nur durch späte Handschriften als echt bezeugt. Nur eine „Rede“ ist schon im sechsten Jahrhundert als Ephräm zugehörig belegt, eine andere dagegen dem Jakob von Sarug durch eine Handschrift des sechsten oder siebten Jahrhunderts zugeteilt.
Da Burkitt nur jene Schriften als unzweifelhaft echt ansieht, welche noch vor der islamitischen Invasion als S. LII Ephräms Werke bezeugt sind, so würden wir nur die Rede über den Propheten Jonas aufnehmen dürfen. Er gibt allerdings zu, daß noch andere, nicht oder nicht genügend bezeugte Stücke echt sein können. Lamy 2 betont nicht mit Unrecht: Porro tanquam principium scientiae criticae admitti nequit sola scripta Ephraemi quae in codicibus VI-VII saeculi reperiuntur esse genuina, cetera vero non, eo vel magis quod omnes codices, etiam antiquissimi, interdum, etsi raro, in annotationibus peccant.
Unter diesen Verhältnissen habe ich es für das empfehlenswerteste gehalten, einerseits auf die griechischen Stücke mit einer Ausnahme ganz zu verzichten, dagegen die syrischen sämtlich beizubehalten; denn im schlimmsten Falle sind und bleiben die letzteren doch Erzeugnisse syrischer Literatur im Geiste und nach dem Vorbilde Ephräms.
Meine weitere Aufgabe bestand in der Revision der Übersetzung. Nachdem aber ein so gewiegter Syrologe und Ephrämkenner, wie P. P. Zingerle es war, dieselbe besorgt hatte, konnte der Rotstift naturgemäß keine Orgien feiern. Mein Bestreben konnte sich nur darauf erstrecken, soweit es nicht schon von Zingerle geschehen war, die Antithesen überall scharf herauszuarbeiten, bei den vielen Anaphoren das gleiche Wort immer gleich zu übersetzen, dem Wechsel der im Syrischen so zahlreichen Synonyma möglichst zu folgen, kein Bild und Sprachgemälde durch eine uns geläufigere Übersetzung abzuschwächen oder zu verwischen: kurz, soweit es ohne Künstelei oder Zwang möglich war, mehr den Stil des Syrers als den meinigen zur Geltung zu bringen. Bei der Dunkelheit und Geschraubtheit so mancher Stellen ist die Spitze oft schwer erkennbar; in solchen Fällen glaubte ich öfters, eine andere Auffassung vertreten zu sollen als mein Vorgänger. Im übrigen habe ich mich meist dankbar seiner Übersetzung akkommodiert.
Neu übersetzt habe ich die von Zingerle absichtlich ausgelassenen Abschnitte der ersten Rede über den Glauben.
S. LIII Die Numerierung der einzelnen Abschnitte stammt von Zingerle; nur einigemale habe ich eine andere Abteilung und Zählung vorgenommen.
Sämtliche aus dem Syrischen übersetzten Stücke sind im Lieblingsmetrum Ephräms, dem siebensilbigen Stichos, gedichtet. Je vier solcher Stichen bilden eine Strophe. Da diese Reden ohne Kehrverse ['Unîthô] überliefert sind, also nur von einem Einzelnen rezitierend vorgetragen wurden, so sind sie nach dem von H. Grimme aufgestellten Kanon 3 der Klasse der Mêmrê zuzuteilen, obwohl die römische Ausgabe sie als Madrošê bezeichnet, es müßte denn sein, daß die Herausgeber die 'Unîthô weggelassen haben.
Die am meisten angewandten Stilmittel sind: Parallelismus, Antithese, Anaphora, Partitio, Entfaltung des Reichtums an Synonymis, Bilder. Der künstlerische Genuß ist nach der Absicht des Dichters nicht in erhabener Lyrik zu suchen, sondern in den scharfsinnigen und spitzfindigen Pointen, sowie in der Gewandtheit, den Reichtum der syrischen Sprache an Synonymen zur Geltung zu bringen. Er wendet sich nicht so sehr an das Gefühl als vielmehr an den Geist; er will nicht so sehr Lyrik als Spruchweisheit darbieten.
Daher wäre es verfehlt, den Becher dieser Muse in großen Zügen leeren zu wollen; der syrische Wein mundet nur dem, der ihn langsam und bedächtig schlürft.
Im übrigen möchte ich die Worte des Siraciden im Prologe zu seiner Übertragung des Weisheitsbuches seines Großvaters auch in betreff vorliegender Arbeit wiederholen: Hortor itaque venire vos cum benevolentia et attentiori studio lectionem facere et veniam habere in illis, in quibus videmur sequentes imaginem sapientiae deficere in verborum compositione. Nam deficiunt verba Hebraica, quando fuerint translata ad alteram linguam [Prol. Eccli].
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F. Crawford Burkitt, S. Ephraim's Quotations from the Gospel [Texts and Studies, contributions to biblical and patristic litterature, edited by J. A. Robinson, Volume VII, No. 2], Cambridge 1901, p. 5-25. Vgl. auch des gleichen Verfassers Evangelion Da Mepharreshe, volume II. Introduction and Notes, Cambridge l904, p. 112 - 114. ↩
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Th. Jos. Lamy, S. Ephraemi Syri Hymni et Sermonea, tom. IV, Mechliniae 1902, p. XLVIII. ↩
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Grundzüge der syrischen Betonungs- und Verslehre, ZDMG [47] 1893, S. 301. ↩