5.
Durch Christus ist alles erneuert worden, wie geschrieben steht1; [320] laß auch du dich, alter Sünder, S. 163 mit der neuen Schöpfung in den Glauben aufnehmen! Beuge dich, o Mensch, der du da erzürnt bist gegen deinen Herrn! Versöhne deine Seele mit ihrem Leben, und siehe, du versöhnst dich mit Gott! Gott hält die Türe nicht verschlossen vor denen, welche ihn suchen, sondern die Gottlosen selbst sind es, welche die Türe der Barmherzigkeit sich verschließen. [330] Warum betrübst du seine Majestät, indem du deinen Anspruch auf seine Gnade nicht geltend machst? Die Türe steht weit offen und du klopfest immer; obwohl du frei und ledig bist, murrst du! Gott verlangt von dir nicht, daß du ihn bittest, er bittet vielmehr dich; dagegen an dein Herz, das so schwer zu überzeugen ist, sollst du dich wenden! Wenn du dich selbst überredet hast, wirst du auch Gott leicht erbitten. [340] Wenn du aber dich selbst nicht zu überzeugen vermagst, warum rufst du dann zu Gott? Du hast dich selbst gefesselt und flehst nun, als ob Gott dich gefesselt hätte. Du hast dir selbst seine Türe verschlossen, und klopfest nun, auf daß dir aufgetan werde! Löse die Fesseln, die deine Hände gebunden halten, und öffne die Türe, welche deine Sünden geschlossen haben, dann wird auch Gott bereit sein, dich zu erhören, noch bevor du zu ihm flehst. [350] Soweit es auf Gott ankommt, liegt die Sache ganz in deiner Hand, aber soweit es auf dich ankommt, gibt es Schwierigkeiten, die von deinem freien Willen herrühren. Sein Ohr ist immer bereit, dich zu erhören, aber dein Ohr will nur schwer hören. Als er dich rief, hast du nicht auf ihn geachtet, aber dennoch hört er auf dich, noch ehe du zu ihm rufst. Wenn du nur deine Seele erbittest, so verlangt Gott keine weitere Abbitte mehr.
Als der Sohn, der seine Habe verschwendet hatte2, zurückkehrte, freute sich der Vater und nahm ihn freundlich auf; [360] nur der Sohn war zuvor erzürnt und versöhnte sich wieder, der Vater aber S. 164 verblieb immer in der gleichen Liebe zu ihm. Als der Sohn sich seinem eigenen Willen gemäß entfernte, trat der Vater diesem Vorhaben nicht entgegen, und als er wieder in sich ging und zurückkehrte, versagte ihm der Vater sein Mitleid nicht; er tadelte ihn nicht wegen seiner Torheit, weil er seine Reue sah; er fragte nicht nach seinen schlimmen Taten, weil er den Schmerz der Buße in seiner Seele sah. [370] Dadurch, daß der Erbe sich von seiner Leidenschaft hatte hinreißen lassen, hatte er selbst sich die Türe verschlossen, aber dadurch, daß er wieder in sich ging, hat er selbst dieselbe seiner Bitte wieder geöffnet. Der Vater züchtigte ihn nicht, weil er sein Geld verschwendet hatte, er sah ja, daß er ihn selbst wieder gefunden hatte; er machte ihm auch keine Vorwürfe noch schlug er ihn, denn er war auf eigenen Antrieb hin wieder zurückgekehrt. Es gefiel ihm der Erbe mehr, der zwar sein Vermögen vergeudet, aber die Weisheit gefunden hatte, [380] als sein Bruder, der wohl das Vermögen bewahrt, aber die Liebe verloren hatte. Der reumütige Sohn rief aus: „Ich habe gesündigt vor dem Himmel und vor dir, und weil ich die Sohneswürde verscherzt habe, möchte ich wenigstens als Taglöhner in deinem Hause sein!“ O Frieden bringendes Wort, das Herz und Inneres entflammt! Vielleicht hat gerade dieses Wort den Schmerz im Herzen des Vaters hervorgerufen! [390] Sicher war einer, der so redete, der Verzeihung würdig und ebenso der Erlösung, weil er mit lauter Stimme seine Sünden bekannte3.
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2 Kor. 5, 17; Luk. 21, 5. ↩
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Im folgenden wird die schöne Parabel vom verlorenen Sohn (Luk. 15 11—32) in sehr anziehender Weise benützt, um das Verhältnis zwischen Gott und dem bußfertigen Sünder klarzulegen. ↩
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Wir dürfen diese Stelle, wo der Anspruch auf Verzeihung mit dem Sündenbekenntnis motiviert wird, wohl als eine Anspielung auf die alte Bußdisziplin auffassen, wo für öffentliche Versehen meist auch eine öffentliche Beichte gefordert wurde. ↩