3.
Der Priester möge mit seinem Diakon beten, daß wir nicht den Tod durch das Schwert zu kosten brauchen! [170] Die Herde unserer Weide möge beten, daß sie kein Zeichen des Zornes sehe! Alle mögen gemeinschaftlich beten, daß wir eines natürlichen Todes sterben und nicht den schrecklichsten Tod durch die Wut des Eroberers erleiden müssen! Nicht mögen wir sehen die Dreschtennen der Leiber und die Garbenbündel der Leichname! Nicht mögen wir schauen die Schnittarbeit des Schwertes und die Aberntung unmündiger Kindlein! [180] Nicht mögen wir sehen, wie Blutwolken auf die Schwertklingen herabregnen! Nicht mögen wir hören das Toben des Kampfes, nicht das Wimmern und Wehklagen über die Gefallenen! Nicht mögen wir die Schwerter gleich furchtbaren Blitzen auf die Lebendigen herabzucken sehen! Nicht mögen wir sehen jenen Hagel des Zornes, die Streitäxte, welche die Leiber zerschmettern! Nicht mögen wir jene Todeswolken sehen, die Bogen, welche Pfeile herabregnen! [190] Nicht mögen wir hören, wie Sehne und Bogen gleichsam mit der Stimme eines wilden Hundes heulen! Nicht mögen wir, o Herr, die durch Wälder aufgerichteter Lanzen hervorgerufene Finsternis schauen! Nicht mögen wir jenen furchtbaren Nebel, die zedernhohen Speere, sehen! Nicht mögen wir jene hungrigen Adler, die die Wolken durchfliegenden Pfeile, sehen! Nicht mögen wir die strahlenden und den Glanz der Sonne übertreffenden Panzer sehen! [200] Nicht mögen wir sehen, wie die Kinder unter den Hufen der Rosse zerstampft und Mütter unter dem Tritte der Elefanten zermalmt werden! Nicht mögen wir sehen, wie die Mädchen von den Pferden zerrieben und die Jungfrauen unter ihren Füßen zertreten werden! Nicht mögen wir sehen, o Herr, wie die Knaben an den Götzenaltären geopfert [210] und die Jünglinge zu Ehren der Dämonen geschlachtet werden! Nicht mögen wir sehen, o Herr, wie Greise niedergestreckt und vom Trosse zertreten werden, auch nicht, wie Matronen von Sklaven zerstampft werden! Nicht mögen wir jenen Blitz sehen, welcher Herz und Leber S. 233 der Menschen spaltet! Nicht mögen wir den Elefanten sehen, wie er seine Füße in das Blut und die Leichen der Getöteten eintaucht! [220] Nicht mögen wir das Roß sehen, wie es heranstürmt und auf Leichname tretend sich erhebt! Nicht mögen wir Menschen sehen, die mit dem Blute ihrer Mitmenschen bespritzt sind! Nicht mögen wir den furchtbaren Tod und das herzerschütternde Strafgericht sehen! Nicht mögen wir sehen, wie der König fliehen muß und die Heeresabteilungen ihren Posten im Stiche lassen!
Dies alles, was die Gerechten sehen mußten, mögen wir Gottlose nicht schauen! [230] Was die Heiligen erdulden mußten, möge uns Undankbaren erspart bleiben! Dein Leib und dein Blut, welches wir empfangen haben, möge unserem Lande Schutz verleihen! Dein Kreuz, diese alles besiegende Waffe, möge sich unseres Heeres annehmen! David trat zu seiner Zeit für die Schäden seines Volkes ein. Wer gibt uns einen Ähnlichen, der gleich ihm unsere Schäden heilt? [240] Moses besserte alle Risse aus, die Gottes Zorn unter den Hebräern schlug, und David eilte überall hin, wo eine gewaltige Züchtigung stattfand, und warf sich im Gebete nieder. Sehet, auch unter uns hat die Sünde Risse bewirkt, aber niemand bemüht sich um ihre Heilung. Die Zuchtrute der Gerechtigkeit ist erhoben, aber niemand wirft sich zu Boden. Der Priester wurde dem Volke ähnlich und das Volk nahm sich dann wieder ein schlimmes Beispiel am Priester. [250] Die Außenstehenden sahen auf die Eingeweihten und die ganze Welt verfiel in irdische Sorgen. Weinberge und Olivenpflanzungen werden besorgt, aber die Sorge für die Gerechtigkeit wird vernachlässigt. Der Same wird auf dem Acker ausgesät, aber niemand erfüllt die Gebote der Schrift. Jedermann macht seine Ausgänge ab, aber niemand schließt mit seinen Sünden ab. Jeder besorgt seine eigene Sache, aber die Sache der Armen bleibt unbeachtet. [260] Niemand tadelt und weist zurecht, denn die Vornehmen gehen mit dem bösen Beispiele voran. Niemand läßt sich ermahnen, weil man das Verkehrte den Vorgesetzten selbst abgesehen hat. Die Vorsteher der Herde S. 234 sind zu Ackersleuten, die Hirten zu Grundbesitzern geworden. Jeder bekümmert sich nur um sein Hauswesen, aber niemand sorgt für seine Herde. Die Priester sind Geschäftsleute geworden, und jeder sorgt nur für seinen Besitz. [270] Die Sorge für die Herde wird hintangesetzt und statt dessen das Geschäft betrieben. Die Hirten zeichnen sich nicht mehr durch ihre Sorgfalt für ihre Schafe, sondern durch ihre Betriebstüchtigkeit aus. Niemand sucht jetzt den anderen in eifrigerer Sorgfalt für die ihm anvertraute Herde zu übertreffen; ein anderes Streben gärt in uns, nämlich der Wetteifer im Vermögenserwerb. Unseren Ruhm suchen wir jetzt nur noch darin, daß wir mehr Eigentum als andere besitzen. [280] Der Hirt, welcher eine Herde weidet, muß sich die ganze Nacht hindurch abmühen; er bleibt wach und hütet seine Herde, um sich dann am Morgen getreuer Pflichterfüllung rühmen zu können. Um wie viel weniger darf also ein Priester, welcher Seelen zu weiden hat, seine Herde vernachlässigen, da ja seine eigene Seele für jede einzelne Seele, die er verloren gehen läßt, von ihm gefordert wird! Wir haben uns den Ehrgeiz und obendrein noch die Habsucht erwählt1. [290] Wir lieben die Oberherrschaft und daneben aber noch den Mammon. Wir ergreifen den Hirtenstab, wehren aber damit die Beschädiger nicht ab. Wir bemühen uns, eine Herde übernehmen zu können, bekümmern uns aber dann nicht mehr um die Schafe. Wir streben danach, Aufseher zu werden, aber unser Auge blickt auf den Mammon. Das Salz, welches die schal gewordenen würzen soll, wird im irdischen Treiben zertreten. [300] Die auf dem Berge erbaute Stadt ist in die Tiefe der Erde hinabgesunken. Das Licht der Leuchte, welche viele erleuchten soll, bleibt in der Erde verborgen2. Der Leh- S. 235 rer, dessen Reichtum im Himmel sein soll, häuft sich irdische Schätze auf. Der Priester, welcher viele bereichern soll, läuft dem Golde nach. Der Priester, welcher anderen Almosen geben soll, durchbettelt Land und Meer. [310] Der Hirte, welcher die Herde weiden soll, weiß nicht, was ihr fehlt. Der Schriftgelehrte, welcher die Unwissenden belehren soll, weiß selbst nicht, wozu er unterrichtet worden ist.
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Man hätte erwarten sollen, daß derselbe Ehrgeiz, welcher jene Priester zur Erstrebung kirchlicher Würden antrieb, sie auch nachher zu sorgfältiger Pfichterfüllung in denselben bewegen wurde. Statt dessen aber verdrängte in ihnen nach Erreichung ihres Zieles die Leidenschaft der Habsucht die des Ehrgeizes, so daß sie die Seelsorge vernachlässigten und nur auf ihre Bereicherung bedacht waren. ↩
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Vergl. Matth. 5, 14. ↩