IV. Kapitel: Wahn des Götzendienstes.
Inhaltsangabe:
1. Der Götterglaube ist wahnwitzig, a] weil die Götter geboren sein sollen, alles Geborene aber vergänglich ist; b] weil Himmel und Erde die Menge der Götter nicht fassen könnte, wenn immer neue geboren würden und sie nicht stürben; c] weil die Dichter die Götter aus schmachvollen Verbindungen hervorgehen lassen. 2. Die Götterverehrung ist ein Hohn auf die Götter: a] wenn ein Dichter einen Gott besungen und ein Bildhauer ihm dann eine Gestalt gegeben hat, betet er, der sterbliche Mensch, sein eigenes Gebild als unsterblichen Gott an; b] die Verehrer der unsterblichen Götter zeigen selbst deren Gräber und wissen nicht, daß der geistige Gott keine Gestalt braucht, um erkannt zu werden und auch nicht dargestellt werden kann; jene Götter waren eben Menschen.
Alles, was einen Anfang hat, hat auch ein Ende1 . Der Anfang nun, der in die Zeit fällt, heißt Geburt; was aber geboren wird, ist vergänglich und die Zeit zerstört seine Gestalt2 . Wie könnten also diejenigen unsterblich sein, die ihr Dasein einer Geburt verdanken, die den Keim der Zerstörung in sich tragen? Es hat sich aber bei den unvernünftigen Völkern ein solcher Wahnglaube verbreitet, daß man auch bei den Göttern Ehe und Kindererzeugung annahm. Wenn aber die Geborenen unsterblich sind und immer wieder neue geboren werden, S. 201dann muß sich das Geschlecht über alle Maßen mehren. Wäre aber immer ein Zuwachs hinzugekommen, welcher Himmel, welche Erde hätte dann einen solchen sich stets mehrenden Schwarm von Göttern noch fassen können3 ? Was soll man aber von den Männern sagen, die die Geschwister im Himmel eheliche Verbindungen eingehen lassen und ihnen Ehebruch und Ausschweifung vorwerfen? Sagen wir es nur kühn heraus: selbst die Verehrung der Götter und die Gaben, die ihnen von den Menschen dargebracht werden, sind mit frechem Schimpf gepaart. Da macht einer, der meisterlich die Sprache beherrscht, Lobgesänge, sei es in Versen oder auch ohne Versmaß . Eine Schmach ist schon, was die Dichter von dem Verkehr der Götter sagen; dann fördern die Dichter die Verspottung der Götter, insofern sie Hymnen auf sie dichten und den Bildhauern Anlaß geben, die Götter zu gestalten und ihre eigenen Bilder anzubeten4 ., und ein Bildhauer, der sich in seinen Gedanken irgend eine Gestalt entworfen hat, verfertigt ein kunstvolles Spielzeug und dann schmeichelt er, da ja inzwischen Vergessenheit über ihn gekommen ist, seinem eigenen Gebilde und verehrt es als unsterblichen Gott, bekennt aber dabei, daß er selber, der Vater und Schöpfer dieses Bildes, nur sterblich ist5 . Und von jenen Unvergänglichen zeigen ihre Verehrer selbst Gräber und Grüfte und ehren Hingeschiedene mit unsterblichen Ehren, ohne zu wissen, daß das wahrhaft Selige und Unvergängliche der Grabesehren von den Vergänglichen nicht bedarf. Denn was nur mit der Vernunft geschaut und mit dem Geiste erfaßt werden kann, hat weder eine Gestalt nötig, durch die es erkannt werden könnte, noch läßt es sich in eine Gestalt bannen, die eine Darstellung oder ein Abbild wäre. Dieses alles geschieht aber zu Ehren der Hingeschiedenen; Menschen waren sie ja, solange sie, eines menschlichen Leibes teilhaftig, lebten.