9.
Nehmen wir uns also in acht, Geliebte, dass wir solche Worte nicht zu hören bekommen. Das Leben ist kein Kinderspiel; oder richtiger gesagt; dieses gegenwärtige Leben ist ein Kinderspiel, nicht aber das zukünftige. Ja, vielleicht ist das Leben hienieden nicht bloß ein Spiel, sondern noch etwas Schlimmeres. Es endet ja nicht mit Lachen, sondern bringt denen großen Schaden, die nicht mit aller Gewissenhaftigkeit ihr S. d331 Leben einrichten wollen. Oder sagt mir doch, worin unterscheiden wir uns von Kindern, die spielen und Häuser bauen, wenn wir großartige Gebäude aufführen? Welcher Unterschied besteht zwischen ihnen, wenn sie frühstücken, und uns, wenn wir Schwelgerei treiben! Keiner, außer dass wir für unser Tun gestraft werden. Wenn wir aber auch jetzt noch die Wertlosigkeit unseres Tuns nicht einsehen, so ist dies nicht zu verwundern. Wir sind eben noch nicht zum Reifealter gelangt. Wenn wir aber einmal so weit sind, dann werden wir wissen, dass dies alles Kindereien sind. Wir lachen ja auch über das Treiben der Kinder, wenn wir Männer geworden sind. Solange wir aber selbst Kinder waren, hielten wir diese Dinge für überaus wichtig, und wenn wir Scherben und Lehm zusammentrugen, so waren wir um nichts gescheiter als diejenigen, die große Ringmauern aufführen. Auch gehen diese Kinderbauten schnell zugrunde und stürzen zusammen, und selbst wenn sie stehen, nützen sie niemand etwas, so wenig wie diese prunkenden Häuser. Denn einen Himmelsbürger können ja diese doch nicht fassen, noch dürfte es jemand darin aushalten, der das himmlische Vaterland sein eigen nennt. Aber wie wir die Kinderhäuser mit den Füßen zertreten, so macht auch der Himmelsbürger solche Prachthäuser im Geiste zunichte. Und wie wir die Kinder auslachen, wenn sie über die Zerstörung ihrer Häuser weinen, so lachen auch diese Himmelsbürger nicht bloß über unseren Schmerz, sie weinen sogar darüber, weil eben ihr Herz voll Mitleid ist über den großen Schaden, der uns daraus erwächst.
Werden wir also doch Männer! Wie lange wollen wir denn noch am Boden kriechen und Steine und Holz bewundern? Wie lange werden wir noch spielen? Und wenn wir doch nur spielten! In Wirklichkeit geben wir aber sogar unser eigenes Seelenheil preis. Und wie die Kinder tüchtig Schläge erhalten, wenn sie ihre Zeit auf solche Dinge verwenden und darüber das Lernen vernachlässigen, so werden auch wir einst schwer gestraft werden, wenn wir all unser Sinnen und Trachten auf diese Dinge richten und wenn wir gar keine Taten aufzuweisen haben, wenn man uns auffordert, zu zeigen, S. d332 wie wir die empfangenen göttlichen Lehren in der Praxis geübt haben. Von dieser Pflicht ist niemand ausgenommen, kein Vater, kein Bruder, überhaupt gar niemand. Indes, dies alles geht vorüber, das Urteil hingegen, das wir uns damit verdienen, bleibt für immer und ewig. Dasselbe ist ja auch bei den Kindern der Fall, wenn der Vater ob ihres Leichtsinnes zuletzt ihr Spielzeug zerschlägt und sie so zum Weinen bringt, das kein Ende nehmen will. Damit du aber siehst, dass die Sache wirklich so steht, so will ich den Reichtum als Beispiel anführen, der ja unter allen Dingen als das Begehrenswerteste erscheint, und will ihm irgendeine geistige Tugend gegenüberstellen. Dann wirst du so recht eigentlich seine Wertlosigkeit erkennen. Nehmen wir also an, es seien da zwei Menschen, und zwar rede ich hier noch nicht von unrechtem Besitz, sondern zunächst von rechtmäßig erworbenem Reichtum. Von diesen beiden Menschen rafft der eine Geld zusammen, fährt über die Meere, bebaut die Erde und findet viele andere Arten des Erwerbs. Allerdings weiß ich nicht, ob einer, der dieses tut, imstande ist, nur gerechten Gewinn zu machen.
Doch lassen wir auch das gelten. Setzen wir voraus, er mache nur rechtmäßigen Gewinn, er kaufe Gelder und Sklaven und was sonst noch dazu gehört, und an all dem hafte keinerlei Unrecht. Der andere dagegen, der ebensoviel besitzt, verkaufe seine Äcker1 , verkaufe seine Häuser, sein Gold und Silbergeschirr, und gebe den Erlös den Armen, spende den Bedürftigen Almosen, pflege die Kranken, helfe denen, die in Not sind, erlöse die Gefangenen, befreie die, die zu den Bergwerken verurteilt sind, halte diejenigen zurück, die sich das Leben nehmen wollen, und befreie die Gefangenen von ihrer Strafe. Welcher von diesen beiden möchtet ihr lieber sein? Und doch habe ich noch gar nicht vom Jenseits, sondern bis jetzt nur vom Diesseits geredet. Welcher von beiden möchtet ihr also sein? Derjenige, der Geld zusammenträgt, oder der, der Unglück lindert? Der Äcker kauft, oder der sich selber zum Retter für die Menschen gemacht? Der in reiche goldene Gewänder gekleidet ist, oder der die Dankbarkeit Tausender S. d333 wie eine Krone schmückt? Gleicht ein solcher nicht einem Engel, der vom Himmel herabkommt, als Retter für die übrigen Menschen, während der andere weniger einem Menschen gleicht, als vielmehr einem Kind, das ohne Zweck und Ziel alles zusammenträgt? Wenn aber schon der gerechte Reichtum so lächerlich und töricht ist, wie wäre dann der nicht der verworfenste Mensch, der ihn nicht einmal rechtmäßiger Weise besäße? Wenn der Reichtum schon an sich lächerlich ist, wieviel Tränen verdient dann nicht erst der, sei er noch lebend oder schon tot, bei welchem auch noch die Hölle dazukommt und der Verlust des Himmelreiches?
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so nehmen wir an ↩