3.
Anders dagegen redet der Herr in unserem Falle. Er weist auf die Schwachheiten der Menschen hin und zeigt, dass auch sie zu den Schwachen gehören, da sie ja nicht einmal die Schriften kennten und sich überdies um keinerlei Tugend kümmerten, sondern glaubten, mit ihren Opfern sei alles getan. Darum weist er mit Nachdruck auf das hin, was alle Propheten verkündet hatten, fasst es in kurzem Ausdruck zusammen und sagt: „Lernet, was es ist: Erbarmen will ich und nicht Opfer.“ So zeigt er ihnen durch die Propheten, dass nicht er es ist, der das Gesetz übertritt, sondern sie. Er sagt gewissermaßen: Warum tadelt ihr mich? Weil ich die Sünder bessere? Dann müsst ihr aus dem gleichen Grunde auch den Vater schmähen. Ebenso verfuhr er auch ein andermal, wo er sagte: „Mein Vater wirkt bis auf diese Stunde und auch ich wirke“1 . In gleicher Weise sagt er auch hier: „Gehet und lernet, was es ist: Erbarmen will ich und nicht Opfer.“ Denn wie der Vater dies will, so auch ich. Siehst du also, wie das eine S. d426 überflüssig ist, das andere notwendig? Der Herr sagte nicht: Ich will Erbarmen und Opfer, sondern: „Ich will Erbarmen und nicht Opfer.“ Das eine hat er gebilligt, das andere verworfen. Damit bewies er, dass das, was sie ihm vorwarfen, nicht nur nicht verboten, sondern sogar geboten sei und zwar mehr als das Opfer. Dafür zitiert er das Gesetz des Alten Bundes, dessen Aussage und Vorschrift vollkommen mit ihm übereinstimmt. Auf diese Weise setzt er den Juden zu mit gewöhnlichen Vernunftbeispielen und mit der Hl. Schrift. Dann fährt er fort: „Ich bin nicht gekommen, die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder, damit sie Buße tun.“ Mit diesen Worten wollte er sie beschämen, wie damals, als er sagte: „Sieh da, Adam ist geworden, wie einer aus uns“2 , und an einer anderen Stelle: „Wenn ich hungere, will ich es dir nicht sagen“3 . Dass nämlich auf Erden kein Mensch gerecht ist, das hat uns der hl. Paulus bezeugt, da er schrieb: „Alle haben ja gesündigt und haben die Herrlichkeit Gottes verloren“4 . Damit tröstet er auch diejenigen, die er wirklich rief. Ich bin so weit entfernt, will er gleichsam sagen, die Sünder zu verabscheuen, dass ich gerade und allein ihretwegen in die Welt gekommen bin. Um sie aber mit dem Ausdruck Sünder nicht allzusehr zu beschämen, ließ er es dabei nicht bewenden, sondern fügte noch hinzu: „Damit sie Buße tun.“ Ich bin nicht gekommen, damit sie Sünder bleiben, sondern damit sie sich bekehren und besser werden.
Nachdem also der göttliche Heiland die Juden auf allen Seiten widerlegt hatte, aus der Hl. Schrift und aus Vernunftgründen, und sie nicht mehr wussten, was sie sagen sollten, und da die Vorwürfe, die sie gegen den Herrn erhoben, ganz offen auf sie selber zurückfielen, und es sich zeigte, dass sie selbst im Gegensatze zum Alten Bund standen, da ließen sie von ihm ab und richteten dafür ihre Beschwerden gegen die Jünger. Lukas schreibt hier, die Pharisäer hätten geredet; Matthäus S. d427 dagegen, Johannes' Jünger seien es gewesen. Wahrscheinlich haben es eben beide gesagt. Da nämlich die Pharisäer ihrer Sache nicht ganz sicher waren, so nahmen sie jedenfalls diese mit sich, wie sie es ja auch später bei den Herodianern machten. Die Jünger des Johannes waren ja immer etwas eifersüchtig auf den Herrn und redeten gegen ihn. Erst dann wurden sie demütig, als Johannes in das Gefängnis geworfen war. Da kamen sie und teilten es Jesus mit. Später fielen sie aber wieder in ihre frühere Stimmung der Eifersucht zurück. Was bringen sie also vor?
V.14: „Wie kommt es, dass wir und die Pharisäer so häufig fasten, während deine Jünger nicht fasten?“
Sie kranken also an jenem Übel, das Christus schon früher brandmarkte, da er sagte: „Wenn du fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht“5 . Er wusste eben zum voraus, welch schlimme Folgen das bloß äußerliche Fasten haben würde. Doch auch diese Pharisäer tadelte der Herr nicht und sagte nicht: Ihr ehrgeizigen, hochmütigen Menschen! Nein, er spricht in aller Sanftmut mit ihnen und sagt:
V.15: „Die Kinder des Bräutigams können nicht fasten, solange der Bräutigam mit ihnen ist.“
Solange es sich um andere handelt, nämlich um die Zöllner, deren verwandelte Seelen er heilen wollte, wies der Herr die Schmäher ziemlich scharf zurück. Wo sie aber ihn selbst und seine Jünger angriffen, entgegnete er ihnen voll Sanftmut. Der Sinn ihrer Worte aber war der: Zugegeben, dass du das als Arzt tust. Warum aber setzen sich auch deine Jünger an solch einen Tisch und übertreten dabei das Fastengebot? Und um der Anklage noch mehr Nachdruck zu geben, nennen sie sich an erster Stelle und dann erst die Pharisäer; sie wollen eben ihren Tadel durch den Vergleich noch mehr hervorheben. Sowohl wir, sagen sie, als auch die Pharisäer, fasten sehr viel. Die einen fasten nämlich in Nachahmung des Johannes, die anderen im Gehorsam gegen S. d428 das Gesetz. So sagte ja auch der Pharisäer: „Ich faste zweimal in der Woche“6 . Was antwortet also Jesus? „Können denn die Söhne des Bräutigams fasten, solange der Bräutigam bei ihnen ist?“ Oben hat er sich einen Arzt genannt, hier einen Bräutigam. Durch beide Namen offenbart er uns sehr tiefe Geheimnisse. Er hätte ihnen ja viel schärfer antworten und sagen können: Ihr seid nicht die Herren meiner Jünger, um ihnen solche Vorschriften zu geben. Oder was nützt denn das Fasten, wenn die Seele voll ist von Schlechtigkeit? Wenn ihr andere tadelt, andere verurteilt, wenn ihr ganze Balken in euren Augen umhertragt und alles nur tut, um von den Menschen gesehen zu werden? Vor allem anderen galt es also, ihre Ruhmsucht auszutreiben und sie dafür zu jeglicher Tugend anzuleiten, zur Liebe, zur Sanftmut und Brüderlichkeit. Aber nichts von all dem sagt der Herr; er antwortet voll Sanftmut: „Die Söhne des Bräutigams können nicht fasten, solange der Bräutigam mit ihnen ist.“ Damit erinnert er sie an die Worte des Johannes, der da sagte: „Wer eine Braut hat, ist Bräutigam; der Freund des Bräutigams aber ist der, der steht und auf ihn hört, und voll Freude ist über die Stimme des Freundes“7 . Damit wollte er sagen: Jetzt ist die Zeit der Freude und der Fröhlichkeit. Komm also nicht mit traurigen, unangenehmen Dingen daher. Etwas Unangenehmes ist ja das Fasten, nicht in sich selbst, sondern für diejenigen, die noch ein zu schwaches Gemüt haben; dagegen ist es für die, die sich der Fröhlichkeit widmen, süß und angenehm. Solange man leiblich gesund ist, ist man sehr guter Dinge; ebenso ist die Freude größer, wenn in der Seele alles in Ordnung ist. Diese Antwort war aber nur ihrer geistigen Verfassung angepasst. So redet auch Isaias vom Fasten und nennt es eine Verdemütigung der Seele8 ; und ähnlich drückt sich Moses aus9 .