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Works John Chrysostom (344-407) In Matthaeum homiliae I-XC Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus (BKV)
Sechsunddreißigste Homilie. Kap. XI, V.1-6

2.

Sie wussten eben noch nicht, wer Christus sei; vielmehr hielten sie Jesus für einen einfachen Menschen, den Johannes dagegen für etwas Höheres als einen Menschen. Deshalb wurden sie unwillig, wie sie sahen, dass Jesus an Ansehen stieg, Johannes dagegen, wie er selbst sagt, hinfort verlor. Das war es, was sie hinderte, sich Jesus anzuschließen; die Eifersucht versperrte ihnen den Weg. Solange nun noch Johannes bei ihnen war, ermahnte er sie oft und belehrte sie, aber nicht einmal so konnte er sie dazu bewegen. Da ihm aber nunmehr der Tod bevorstand, vermehrte er noch seine Bemühungen. Er fürchtete eben, er möchte sonst in Verdacht stehen, seine Jünger falsch unterwiesen zu haben, und sie möchten von Jesus getrennt bleiben. Er selbst bemühte sich ja schon von Anfang an, ihm alle seine Anhänger zuzuführen. Nachdem es ihm aber nicht gelang, so verdoppelte er noch im Angesicht des Todes seinen Eifer. Hätte er nun gesagt: Gehet zu ihm über, er ist höher als ich, so hätte er sie nicht dazu vermocht, da sie ihm mit besonderer Hingebung anhingen. Außerdem hätten sie geglaubt, er spreche nur aus Demut so und wären ihm noch mehr zugetan geworden. Hätte er aber geschwiegen, so wäre ebenfalls nichts weiter geschehen. Was tut er also? Er wartet, bis sie kommen und ihm sagen, dass Jesus Wunder wirke. Aber auch jetzt richtet er noch keine Aufforderung an sie; auch sendet S. d527 er nicht alle, sondern nur zwei, von denen er wahrscheinlich wusste, dass sie leichter zu überzeugen wären als die anderen. So konnte die Frage geschehen, ohne Verdacht zu erwecken, und konnten sie aus Erfahrung lernen, welcher Unterschied sei zwischen Jesus und ihm. Er sagte also zu ihnen: "Gehet und saget: Bist Du der, der da kommen wird, oder sollen wir einen anderen erwarten?" Christus nun kannte die Absicht des Johannes und sagte deshalb nicht: Ich bin es; er hätte sonst wohl bei den Fragestellern damit Anstoß erregt, obgleich es an sich ganz richtig gewesen wäre, so zu sagen. Vielmehr lässt er sie aus den Tatsachen lernen. Es heißt nämlich, als jene zu ihm gekommen seien, habe er viele Kranke geheilt. Und doch, welchen Sinn hätte es gehabt, wenn er auf die Frage: "Bist Du es?" nichts antwortete, sondern alsbald Kranke zu heilen begann, es sei denn, er habe den Zweck erreichen wollen, den ich angegeben? Die Jünger hielten eben den Beweis aus den Taten für glaubwürdiger und unverdächtiger als den aus den Worten. Der Herr erkannte also kraft seiner Gottheit, in welcher Absicht Johannes sie gesandt hatte; deshalb begann er alsbald Blinde zu heilen und Lahme und viele andere, nicht um Johannes zu belehren1 ,sondern seine Jünger, die noch im Zweifel waren. Und nachdem er seine Heilungen vollbracht, sagte er:

V.4: "Gehet und meldet dem Johannes, was ihr höret und sehet:

V.5: die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein, die Tauben hören, die Toten werden auferweckt und den Armen wird die fromme Botschaft gebracht", und er fügte noch hinzu:

V.6: "Und selig derjenige, der nicht Ärgernis nimmt an mir."

Damit zeigte er, dass er auch ihre geheimen Gedanken kannte. Hätte er gesagt: Ich bin es, so hätte er, wie gesagt, damit angestoßen, und sie würden, auch wenn sie es nicht bei sich gesagt, so doch bei sich gedacht haben, was die Juden zu ihm sagten: "Du legst von Dir S. d528 selber Zeugnis ab"2 . Aus diesem Grunde also sagt er dies nicht, sondern lässt sie alles aus seinen Wundertaten erkennen; dadurch macht er seine Belehrung unverdächtig und um so überzeugender. Aus dem gleichen Grunde richtet er auch nachher seinen Tadel nur in verborgener Weise an sie. Sie hätten nämlich Ärgernis an ihm genommen, wenn er ihre Eifersucht offen aufgedeckt hätte; so überließ er dies ihrem eigenen verborgenen Gewissen, und macht niemanden zum Zeugen seiner Anklage, ausgenommen allein jene, die seine Worte verstanden. Dadurch gewann er sie aber nur noch mehr für sich. Er sagt also: "Selig derjenige, der kein Ärgernis nimmt an mir." Mit diesen Worten hatte er nämlich gerade sie im Auge.

Ich will aber da nicht bloß meine eigene Ansicht vorbringen, sondern auch die von anderen, um euch die Wahrheit durch den Vergleich der verschiedenen Meinungen deutlich zu machen; deshalb muss ich auch das andere berichten. Was sagen also einige von ihnen? Nicht das, was wir vorbrachten, sei der wahre Grund; vielmehr sei Johannes die Wahrheit allerdings unbekannt gewesen, aber nicht die ganze; er habe nur gewusst, dass Jesus der Christus sei; dass er dagegen auch für die Menschen sterben werde, das habe er nicht gewusst. Darum habe er gefragt: "Bist Du es, der da kommen wird?", das heißt, der in den Hades hinabsteigen wird. Doch scheint mir diese Erklärung keinen rechten Sinn zu haben; denn Johannes war auch über diesen Punkt nicht im unklaren. Ja gerade das verkündet er vor allen anderen Dingen, und hierfür legt er zu allererst Zeugnis ab. Denn: "Siehe", sagt er, "das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt auf sich nimmt"3 . Ein Lamm nannte er ihn, und wies damit zum voraus auf das Kreuz hin; und durch die Worte: "das die Sünde der Welt auf sich nimmt", hat er das gleiche geoffenbart. Denn durch nichts anderes, als eben durch das Kreuz, hat der Herr die Sünde der Welt auf sich genommen. Dasselbe bestätigt auch Paulus mit den Worten: "Und S. d529 die Handschrift, die gegen uns zeugte, auch sie hat er hinweggenommen, indem er sie ans Kreuz anheftete"4 . Ebenso enthalten die Worte: "Im Geiste wird er euch taufen"5 eine Prophetie dessen, was nach seiner Auferstehung geschehen sollte. Ja, sagen sie da wieder, dass Christus auferstehen und den Heiligen Geist senden werde, wusste Johannes allerdings, dass er aber auch gekreuzigt würde, wusste er nicht. Wie hätte er aber dann auferstehen sollen, wenn er nicht zuvor den Tod erlitten und nicht gekreuzigt worden wäre? Und wie wäre dann derjenige der größte unter den Propheten, der nicht einmal die Propheten verstanden hätte?


  1. er glaubte ja schon ↩

  2. Joh 8,13 ↩

  3. Joh 1,29 ↩

  4. Kol 2,14 ↩

  5. Lk 3,16 ↩

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