2.
Deshalb sind auch die Schriftgelehrten und Pharisäer, die in ihren eigenen Augen sich für einsichtig hielten, ob ihres eigenen Stolzes leer ausgegangen. Wenn also das der Grund ist, meint der Herr, weshalb dies vor ihnen verborgen ward, so seid auch ihr auf der Hut und bleibt Kinder. Denn damit verdient ihr euch die Gnade, der Offenbarung teilhaftig zu werden, wie ja durch das Gegenteil die anderen derselben verlustig gingen. Und wenn der Herr sagt: „Du hast verborgen“, so glaube deshalb nicht, dass Gott das Ganze gemacht hat; auch wenn Paulus sagt: „Er überlieferte sie einem verderbten Sinn, und er verfinsterte ihren Verstand“1 ,so will er damit nicht behaupten, dass Gott dies bewirke, sondern dass jene daran schuld seien, die den Anlass hierzu bieten. In gleichem Sinne sagt Christus hier: „Du hast es verborgen.“ Zuerst hatte er ja gesagt: „Ich preise Dich, weil Du es ihnen verborgen und den Kindern geoffenbart hast“; damit du aber deshalb nicht etwa glaubst, er danke dem Vater, als ob er selbst nicht auch solche Macht besitze und nicht imstande wäre, solches zu vollbringen, fährt er fort:
V.27: „Alles ist mir vom Vater übergeben worden.“
Zu denen aber, die sich darüber freuten, dass selbst die Dämonen ihnen gehorchten, sagte er: Was wundert S. d559 ihr euch denn, dass die Dämonen euch gehorchen? Alles steht in meiner Macht, „alles ist mir übergeben worden“. Den Ausdruck: „Es ist übergeben worden“, darfst du aber nicht nach menschlicher Art auffassen; der Herr gebrauchte ihn nur, damit du nicht glaubst, es gebe zwei ungeborene Götter. Denn dass er geboren wurde, und zugleich Herr aller Dinge ist, das hat er oft auch anderwärts kundgetan. Sodann bringt er noch etwas Größeres vor, um deine Seele aufzurichten: „Und niemand kennt den Sohn, außer dem Vater; und niemand kennt den Vater, außer dem Sohne.“ Für die Unverständigen könnte es scheinen, als ob zwischen diesen Worten und dem Vorausgehenden kein Zusammenhang bestünde, und doch stimmen sie sehr gut zusammen. Nachdem nämlich der Herr gesagt hatte: „Mir ist alles von meinem Vater übergeben worden“, fügt er gleichsam hinzu: Und was Wunder, dass ich der Herr aller Dinge bin, da ich ja noch etwas Größeres besitze, nämlich die Erkenntnis des Vaters und die Wesensgleichheit mit ihm. Auch dieses letztere offenbart er in etwas verborgener Weise dadurch, dass er sagt, er allein besitze diese Erkenntnis; das ist nämlich der Sinn der Worte: „Niemand kennt den Vater, außer dem Sohne.“ Beachte nun auch, wann er dies sagt. Damals, als die Jünger durch Taten den Erweis seiner Macht erhielten, da sie nicht mehr ihn allein Wunder wirken sahen, sondern in seinem Namen auch selber das Gleiche hatten tun können. Und weil er ferner gesagt hatte: „Du hast es den Kindern geoffenbart“, so zeigt er, dass auch das sein Werk ist. „Denn niemand kennt den Vater, außer dem Sohne, und wem es etwa der Sohn offenbaren will“, nicht wem es etwa aufgetragen oder wem es etwa befohlen wird. Wenn Jesus aber den Vater enthüllt, dann auch sich selbst. Doch übergeht er dies, wie etwas, was jeder ohnehin zugibt; das andere dagegen betont er eigens, und bei allen Gelegenheiten wiederholt er es; so zum Beispiel, wenn er sagt; „Niemand kann zum Vater kommen, außer durch mich“2 . Damit bereitet er auch S. d560 schon auf etwas anderes vor, nämlich darauf, dass er mit dem Vater übereinstimme und eines Sinnes mit ihm sei. Denn, will er sagen, ich bin soweit entfernt, mich im Gegensatz zu ihm zu befinden, dass es nicht einmal möglich ist, dass jemand zu ihm kommt, außer durch mich. Weil nämlich gerade das an meisten Anstoß bei ihnen erregt hatte, dass er ein Widersacher Gottes zu sein schien, so verneint er dies auf jede Weise, und gerade darauf legte er nicht weniger, sondern noch viel mehr Gewicht, als auf die Wunderzeichen.
Mit den Worten: „Und niemand kennt den Vater, außer dem Sohne“, will er indes nicht sagen, dass niemand den Vater kennt, sondern nur, dass niemand ihn mit der Kenntnis erfasst, die er besitzt; dasselbe ist auch vom Sohne zu sagen. Denn nicht von einem Gott, der unbekannt und niemand zugänglich ist, hat er dies gesagt, wie da Marcion behauptet, sondern hat nur eine genaue und erschöpfende Kenntnis desselben verneint. Wir kennen ja auch den Sohn nicht so, wie wir ihn kennen sollten. Das sagt sogar der hl. Paulus mit den Worten: „Zum Teil erkennen wir, und zum Teil weissagen wir“3 . Nachdem also der Herr durch seine Worte die Sehnsucht seiner Zuhörer angeregt und durch seine unaussprechliche Macht gezeigt hatte, da ruft er sie zu sich und sagt:
V.28: „Kommet zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, und ich will euch erquicken.“
Nicht dieser oder jener nur, nein, alle, die in Sorgen, in Kummer, in Sünden leben. Kommet, nicht damit ich Rechenschaft von euch fordere, sondern um euch von euren Sünden zu befreien. Kommet, nicht weil ich des Ruhmes von euch bedürfte, sondern weil mich nach eurem Heile verlangt. „Denn ich will euch erquicken." Er sagt nicht bloß: Ich will euch retten, sondern, was viel mehr ist: Ich will euch vollkommene Ruhe und Sicherheit verschaffen.
V.29: „Nehmet mein Joch auf euch und lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen; und ihr werdet Erquickung finden für eure Seelen.
V.30: Denn mein Joch ist süß und meine Bürde ist leicht.“
Fürchtet euch nicht, will er sagen, wenn ihr das Wort „Joch“ hört, denn es ist süß; erschreckt nicht, wenn ich von einer Bürde gesprochen, denn sie ist leicht. Wie konnte der Herr aber da früher sagen: „Eng ist die Pforte und beschwerlich der Weg“4 ? Das ist dann der Fall, wenn du nachlässig und lau bist, befolgst du hingegen meine Worte, so wird die Last leicht sein; deshalb hat er auch hier sie also bezeichnet. Wie befolgt man aber seine Worte? Dadurch, dass du demütig wirst und sanftmütig und bescheiden. Denn diese Tugend ist die Mutter aller Weisheit. Deshalb hat er auch sie an den Anfang seiner göttlichen Satzungen gestellt. Ebenso tut er hier wieder dasselbe und setzt für sie den höchsten Lohn fest. Denn nicht bloß anderen nützest du dadurch, so sagt er, sondern auch dich selbst erquickst du vor allen anderen. „Denn ihr werdet Erquickung finden für eure Seelen.“ Ja, er belohnt dich dafür, bevor du noch den Himmelslohn erhältst, und hält deinen Siegespreis bereit, und macht dadurch, sowie durch den Hinweis auf sich selbst als Vorbild, dass seine Rede willige Annahme findet.