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Works John Chrysostom (344-407) In Matthaeum homiliae I-XC Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus (BKV)
Neunundfünfzigste Homilie. Kap. XVIII, V.7-14.

6.

Allerdings erwiderst du, so ist es; denn dieser ist schlecht, der andere hingegen brav und bescheiden. Was sagst du? Deinen Mitbruder nennst du schlecht, wo es doch verboten ist, zu ihm auch nur „Raka“ zu sagen. Schämst du dich nicht, errötest du nicht, deinen Mitbruder an den Pranger zu stellen, ein Glied deines Leibes, ihn, der dieselbe Mutter hat, der an demselben Tische teilnimmt wie du? Wenn du einen leiblichen S. d864 Bruder hast, so suchst du ihn zu schützen, auch wenn er tausend Schandtaten begeht, und erachtest es für deine eigene Schmach, wenn man ihm Schmach zufügt; deinen geistlichen Bruder dagegen, den du vor Verleumdung retten sollst, überhäufst du selber mit zahllosen Schmähungen? Er ist schlecht, sagst du, und unausstehlich. Nun, dann werde doch gerade darum sein Freund, um ihn zur Besinnung zu bringen, um ihn zu bessern, um ihn zur Tugend zurückzuführen. Aber er folgt nicht, fährst du fort, er nimmt keinen Rat an. Woher weißt du das? Hast du ihn ermahnt und zu bessern versucht? Schon oft habe ich es getan, antwortest du. Wie oft denn? Oft, einmal, und dann noch einmal. Ei, das nennst du oft? Du hättest nicht ermüden und nicht ablassen dürfen, und wenn du es das ganze Leben hindurch tun müsstest. Siehst du nicht, dass auch Gott uns immer von neuem ermahnt, durch die Propheten, die Apostel, die Evangelisten? Und mit welchem Erfolge? Handeln etwa wir stets recht, folgen wir in allen Stücken? Nein. Lässt er etwa deswegen ab, uns zu mahnen? schweigt er deshalb? oder spricht er nicht vielmehr Tag für Tag: „Ihr könnt nicht Gott und dem Mammon dienen“1 , und wächst nicht dennoch bei vielen die Macht und Tyrannei des Geldes? Ruft er nicht täglich: „Vergebet, so wird euch vergeben werden“2 , während wir uns zu immer größerem Zorne hinreißen lassen? Ermahnt er uns nicht ohne Unterlass, die Leidenschaften zu bändigen und die böse Lust zu beherrschen, und doch wälzen sich viele im Schmutz der Unlauterkeit ärger als Schweine. Aber trotzdem hört er nicht auf, zu uns zu sprechen. Das sollten wir wohl überdenken und bei uns sagen: Gott spricht zu uns und spricht immer wieder, obschon wir oft nicht auf ihn hören. Darum konnte er auch sagen: „Wenige sind es, welche selig werden“3 .Wir sollen doch, um selig zu werden, nicht bloß selbst tugendhaft sein, sondern auch andere zur Tugend anleiten. Wie wird es uns da ergehen, wenn wir weder uns noch andere gerettet haben? S. d865 Worauf könnten wir dann noch unsere Hoffnung auf Rettung gründen?

Aber warum mache ich euch Vorwürfe wegen Fremder, da wir ja nicht einmal um die Nächststehenden uns kümmern, um Weib und Kind und Angehörige, sondern wie Betrunkene tausend andere Sorgen haben: dass das Gesinde zahlreicher werde und uns mit größerem Eifer diene, dass die Kinder von uns ein reiches Erbe erhalten, dass die Frau kostbare Kleider und Goldschmuck besitze, also nur um unser Hab und Gut, nicht um uns selbst besorgt sind? Nicht die Frau liegt uns am Herzen, nur ihr Schmuck; nicht am Kinde ist uns gelegen, sondern an seinem Vermögen. Wir handeln da ebenso töricht wie einer, der rings um sein baufälliges Haus gewaltige Zäune errichtet, anstatt die schiefstehenden Mauern instandzusetzen; wie einer, der für seinen schwerkranken Leib goldene Kleider weben lässt, anstatt ihn zu heilen; wie einer, der die leidende Herrin im Fieber stöhnen lässt und sich um die Mägde, die Webstühle, das Hausgerät und dergleichen Dinge kümmert. So verkehrt handelt man auch, wenn man um Häuser und Dienerschaft besorgt ist, während es um unsere Seele schlimm und elend steht, während man sie den Leidenschaften zum Spielball überlässt, und sie von Zorn, Schmähsucht, unersättlichen Begierden, Eitelkeit, Feindseligkeit zu Boden geschmettert und wie von wilden Tieren zerfleischt wird.

Wenn einmal ein Bär heimlich entkommen ist, da verschließt man seine Wohnung und schlägt Seitenwege ein, um ja nicht dem wilden Tiere zu begegnen; wenn aber unsere Seele nicht von einer Bestie allein, sondern von vielen bösen Gedanken angefallen wird, da bleiben wir kalt. Ferner, wenn es sich um eine Stadt handelt, ist man gar sehr besorgt, die wilden Tiere an einem einsamen Orte oder in einem Zwinger einzusperren, man hält sie irgendwo abseits gefangen, nicht aber in der Nähe des Rathauses oder des Gerichtsgebäudes oder der Königsburg. In der Stadt unserer Seele hingegen, die ihr eigenes Rathaus, ihre eigene Königsburg, ihren eigenen Gerichtshof besitzt, lassen wir die Bestien ganz frei sogar rings um den Verstand und den Königsthron S. d866 brüllen und toben. Die Folge davon ist, dass alles drüber und drunter geht, innen und außen alles voll Verwirrung ist, dass dann jeder von uns einer Stadt gleicht, die ob eines Barbareneinfalls in Verwirrung kam. Es sieht da aus wie in einem Vogelnest, in das eine Schlange geraten ist, piepsend vor Furcht und Entsetzen flattern die Tierlein nach allen Seiten hin und her und wissen nicht, wo sie in ihrer Angst Rettung suchen sollen.


  1. Mt 6,24 u. Lk 16,13 ↩

  2. Mt 6,14 u. Lk 6,37 ↩

  3. Lk 13,23 ↩

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