3.
Um diese Absicht zu erreichen, legt er die Schuld einer anderen Person zur Last. Da sie nämlich bei offener Darlegung der Sache sich nicht schuldig gegeben hätten, führt er sie durch das Gleichnis dahin, wo er sie haben wollte. Nachdem sie aber, ohne zu sehen, worauf er abzielte, ihre Meinung abgegeben hatten, deckt er ihnen den versteckten Sinn auf und spricht:
V.31: „Die Zöllner und die Buhlerinnen werden vor euch in das Reich Gottes gelangen.
V.32: Denn es kam Johannes zu euch auf dem Wege der Gerechtigkeit und ihr habt ihm nicht geglaubt; die Zöllner aber und die Buhlerinnen haben ihm geglaubt; S. d971 ihr aber, wiewohl ihr es sahet, wurdet auch später nicht reuigen Sinnes, um ihm zu glauben.“
Hätte Jesus von vornherein gesagt: die Buhlerinnen werden euch vorangehen, so hätten sie sich an seiner Rede gestoßen; jetzt, nachdem sie selbst ihr Urteil ausgesprochen hatten, erscheint sie milder. Darum führt er auch den Grund dafür an. Nämlich: „Johannes ist zu euch gekommen“, nicht zu jenen; und was noch mehr ist, er kam „auf dem Wege der Gerechtigkeit“. Auch könnt ihr ihm nicht vorwerfen, er sei sorglos und unnütz gewesen. Im Gegenteil, sein Leben war tadellos und sein Eifer groß, und doch kehrt ihr euch nicht an ihn. Hierzu kommt noch ein anderer Vorwurf, nämlich dass sogar die Zöllner auf ihn hörten, und noch einer, dass ihr nicht einmal daraufhin glaubet. Ihr hättet schon vor ihnen auf Johannes hören sollen; dass ihr es nicht einmal nach ihnen tatet, macht eure Schuld vollends unverzeihlich. Wie die Zöllner das größte Lob verdienen, so verdient ihr den ärgsten Tadel. Zu euch war er gekommen und ihr habt ihn nicht aufgenommen; jene, zu denen er nicht gekommen war, nahmen ihn auf, und ihr ließt euch nicht einmal durch deren Beispiel belehren.
Siehe, wie mannigfach die rühmlichen Seiten der einen und die tadelnswerten der anderen gezeichnet werden. Zu euch kam er, zu jenen nicht. Ihr glaubtet nicht; jene ließen sich dadurch nicht irre machen. Sie glaubten; ihr zoget daraus keinen Nutzen. In den Worten: „sie werden vorangehen“ ist aber nicht mit ausgedrückt, dass die Juden wirklich nachfolgen werden, sondern nur, dass sie Aussicht haben zu folgen, wenn sie guten Willens sind. Denn nichts ist so sehr geeignet, die Lässigen anzuspornen, wie die Eifersucht. Darum sagt Christus immer wieder: „Die Ersten werden die Letzten und die Letzten werden die Ersten sein.“ Um sie zum Eifer anzutreiben, erwähnt er die Buhlerinnen und Zöllner. Damit sind nämlich die zwei schlimmsten Sünden hervorgehoben, die in der ungeordneten Liebe entspringen, die eine aus der zum Fleische, die andere aus der zum Geld. Er zeigt ferner, dass, wer dem Johannes folgt, auch dem Gesetze Gottes gehorcht. Es ist demnach S. d972 nicht bloß eine Gnade, wenn die Buhlerinnen ins Himmelreich eingehen, sondern auch eine Forderung der Gerechtigkeit. Solange sie Buhlerinnen bleiben, dürfen sie ja nicht eintreten, sondern erst wenn sie gehorchen, glauben, sich reinigen und bekehren. Siehst du, wie der Herr in seine Worte Milde und doch wieder Strenge hineinlegte, sowohl durch das Gleichnis, wie auch durch den Hinweis auf die Buhlerinnen? Er sagte nicht gerade heraus: Warum habt ihr dem Johannes nicht geglaubt? Sondern wies, was viel kräftiger wirkte, vorher auf die Buhlerinnen und Zöllner hin, um dann erst durch die zwingende Macht der Tatsachen darzutun, dass sie ganz unverzeihlich handelten, wenn sie sich in allem nur von Menschenrücksicht und eitler Ehre leiten ließen. Zu Christus bekannten sie sich nicht, weil sie befürchteten, man könne sie aus den Synagogen ausschließen, und gegen Johannes getrauten sie sich nicht zu reden, nicht etwa aus Hochschätzung, sondern ebenfalls wieder aus Furcht.
Alles das hielt er ihnen in seinen Reden vor und versetzte ihnen zuletzt einen noch empfindlicheren Schlag, indem er sprach: „Ihr aber, wiewohl ihr es sahet, wurdet auch später nicht reuigen Sinnes um ihm zu glauben.“ Es ist eine Sünde, wenn man von vornherein das Gute zurückweist; noch größer aber ist die Schuld, wenn man dann nicht in sich geht. Gerade hier ist der Grund der Verkehrtheit so vieler Menschen zu suchen, dass sie so überaus gleichgültig sind. Auch jetzt mache ich bei manchen diese Wahrnehmung. Es sollte eigentlich niemand so schlecht sein; hat sich aber jemand doch in diesen Abgrund der Verworfenheit gestürzt, so darf er trotzdem an seiner Besserung nicht verzweifeln. Es ist ja nicht so schwer, sich aus der Tiefe der Schlechtigkeit aufzuraffen. Oder habt ihr nichts von jener Buhlerin gehört, die an Wollust alle übertraf, aber dann auch in der Frömmigkeit alle weit überragte? Ich meine nicht jenes Weib im Evangelium, sondern die, welche in unserer Zeit lebte, die Tochter der gottlosesten Stadt Phöniziens. Diese Buhlerin S. d973 lebte einst in unserer Mitte, hatte den ersten Ruf auf der Bühne und wurde viel genannt nicht bloß in unserer Stadt, sondern sogar in Zilizien und Kappadokien. Gar manchen hatte sie um das Vermögen gebracht, viele Waisen beraubt. Man verleumdete sie oft, als wäre sie eine Zauberin, als beständen ihre Netze nicht nur in ihren körperlichen Reizen, sondern auch in Zauberkünsten. Selbst den Bruder der Kaiserin hatte sie umgarnt, so große Anziehungskraft übte sie aus. Aber mit einem Schlage, ich weiß nicht, wie es kam, ich weiß nur, dass es so kam, mit einem Male fasste sie den Entschluss, sich zu bekehren und ging wirklich in sich, erlangte die Gnade Gottes, verschmähte gänzlich die Wollust von früher, schleuderte die Schlingen des Teufels weit von sich und eilte dem Himmel zu. War sie vorher das schändlichste Weib, das je die Bühne betreten, so hat sie es später gar vielen in der Enthaltsamkeit zuvorgetan und den ganzen Rest ihres Lebens im Gewande der Buße verlebt. Ihretwegen belästigte man sogar den Statthalter und sandte Soldaten, um sie wieder für die Bühne zu gewinnen. Vergebens; man vermochte sie nicht aus dem Kreise der Jungfrauen zu entführen, bei denen sie Aufnahme gefunden. Sie empfing die hochheiligen Geheimnisse1 , entfaltete einen dieser Gnade entsprechenden Eifer und beschloss zuletzt ihr Leben, nachdem sie ihre Vergangenheit durch die Gnade abgewaschen und nach der Taufe eine große Tugendhaftigkeit an den Tag gelegt hatte. So oft auch ihre ehemaligen Liebhaber kommen mochten, um sie zu besuchen, sie ließ sie nicht einmal vor; sie hatte sich selbst eingeschlossen und verbrachte viele Jahre wie in einem Gefängnisse. So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein. In diesem Sinne soll man allezeit seine Seele in Glut erhalten und nichts wird uns hindern, groß und bewundernswert zu werden.
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Taufe und Eucharistie ↩