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Daß es mir doch gegönnt wäre, den Leib des Paulus zu umfangen, einen Kuß auf sein Grabmal zu drücken, den Staub jenes Leibes zu schauen, der das an sich ergänzt hat, was Christi Leiden abging, der dessen Wundmale an sich trug und den Samen des Evangeliums allenthalben ausstreute! Den Staub jenes Leibes, mit dem Paulus überall hineilte, den Staub jenes Mundes, durch den Christus sprach, aus dem ein Licht erstrahlte, heller als jeder Blitz, und eine Stimme er- S. d297 tönte, den Dämonen schrecklicher als jeder Donner — jenes Mundes, aus dem jenes selige Wort erscholl: „Ich wünsche, ein Fluch zu sein für meine Brüder“! Mit welchem er vor Königen sprach, ohne sich zu scheuen; durch welchen wir Paulus kennen gelernt haben und durch das Mittel des Paulus seinen Herrn! Uns schreckt nicht so der Donner wie jene Stimme die Teufel. Wenn sie schon vor seinen Kleidern Schreck hatten, wieviel mehr vor seiner Stimme! Diese war es, die sie gefesselt einherführte, die den Erdkreis rein fegte, die Krankheiten verscheuchte, die Sünde verbannte, der Wahrheit freie Bahn schaffte, Christus in sich trug und mit ihm überall hinging. Ja, was die Cherubim sind, das war die Stimme des Paulus; denn so wie er auf jenen Mächten thront, so in der Stimme des Paulus. Und sie war würdig, Christi Thron zu sein; sie sprach ja nur, was Christus lieb war und erhob sich wie die Seraphim zu den geheimnisvollen Höhen (des Himmels). Was ist erhabener als jenes Wort, das sie gesprochen hat: „Ich bin sicher, daß weder Engel noch Herrschaften noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Höhe noch Tiefe noch irgend anderes Erschaffenes uns wird scheiden können von der Liebe Gottes, die ist in Christus Jesus“ 1. Welche Schwingen, kommt dir nicht vor, hat dieses Wort? Welche Augen? Mit Bezug darauf heißt es: „Seine Gedanken sind uns nicht unbekannt“ 2. Daher flohen die Teufel, nicht bloß, wenn sie ihn sprechen hörten, sondern wenn sie auch nur von weitem sein Kleid erblickten. Ja, sehen möchte ich den Staub jenes Mundes, durch den Christus so große und geheimnisvolle Dinge ausgesprochen hat, größere als durch seinen eigenen; denn geradeso wie er größere Dinge durch seine Jünger vollbrachte, so sprach er solche auch durch sie aus. (Den Staub jenes Mundes möchte ich sehen,) durch welchen der Hl. Geist dem Erdkreis jene wunderbaren segensvollen Aussprüche zuteil werden ließ. Denn was für Gutes hat nicht jener Mund gewirkt? Er hat die Dämonen vertrieben, die S. d298 Lösung der Sünden bewirkt, die Gewalthaber verstummen gemacht, den Philosophen die Rede verschlagen, die Welt zu Gott geführt, die Barbaren zu Weisen umgeschaffen, alles auf Erden in die rechte Ordnung gebracht; ja, auch im Himmel hat er nach seinem Belieben geschaltet, indem er band, wen er wollte, und dort löste vermöge der ihm verliehenen Gewalt.
Aber nicht allein den Staub jenes Mundes, sondern auch den jenes Herzens möchte ich sehen, das man mit vollem Recht das Herz des Erdkreises nennen könnte, eine Quelle ungemessenen Segens, den Beginn und den Inhalt unseres (wahren) Lebens. Denn von dort aus ergoß sich der Geist des Lebens über alle und teilte sich den Gliedern Christi mit, nicht vermittelst der Adern, sondern vermittelst guter Willensentschlüsse. So weit war dieses Herz, daß es ganze Städte und Völker und Nationen umfaßte. „Mein Herz“, sagt er selbst, „hat sich geweitet.“ 3 Und doch hat dieses Herz die Liebe, die es geweitet, auch gar oft zusammengepreßt und beklemmt. „Ich schrieb euch“, sagt er, „aus großer Drangsal und Beklemmung des Herzens.“ 4 Dieses (in Staub) aufgelöste Herz verlangt es mich zu sehen, das glühte für einen jeden, der in Gefahr war, zugrunde zu gehen, das die totgeborenen Kinder zum zweitenmal gebar, das jetzt Gott anschaut. „Denn die reinen Herzens sind“, heißt es ja, werden Gott anschauen.“ 5 Jenes zum Opfer gewordene Herz; denn „ein Opfer vor Gott ist ein zerknirschtes Herz“ 6. Dieses Herz, erhabener als der Himmel, weiter als die Erde, leuchtender als der Sonnenstrahl, brennender als Feuer, fester als der Diamant, dieses Herz, das Ströme von sich ausgehen ließ; denn „Ströme lebendigen Wassers“, heißt es, „werden sich aus seinem Innern ergießen“ 7. Hier (in diesem Herzen) war ein Springquell, der nicht das Angesicht der Erde berieselte, sondern die Seelen der Men- S. d299 schen. Von da nahmen nicht allein Wasserströme, sondern auch Tränenbäche ihren Ausgang, die rannen Tag und Nacht. Jenes Herz (möchte ich sehen), das ein neues Leben lebte, nicht so eins wie wir. „Denn“, heißt es, „nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ 8 Also Christi Herz war des Paulus Herz, es war eine Schreibtafel des Hl. Geistes, ein Buch der Gnade. Dieses Herz, das zitterte wegen der Sünden anderer. „Ich fürchte“, sagt er ja, „daß ich mich vergeblich für euch abgemüht habe“ 9, „daß euch die Schlange verführt wie die Eva“ 10, „daß ich euch, wenn ich komme, etwa nicht so finden werde, wie ich euch möchte.“ 11 Jenes Herz (möchte ich sehen), das für sich selbst in Furcht und Zuversicht schwebte; „denn“, heißt es, „ich fürchte, daß ich, nachdem ich andern gepredigt habe, selbst verloren gehe“ 12, und: „ich bin sicher, daß weder Engel noch Erzengel werden scheiden können“ 13. Jenes Herz, das gewürdigt wurde, Christus zu lieben, wie ihn kein anderes geliebt hat, das Tod und Hölle nicht achtete und bei den Tränen der Brüder zerfloß. „Was tut ihr“, heißt es, „daß ihr weinet und mir das Herz schwer macht?“ 14 Jenes viel duldende Herz, das sich nicht zugute geben konnte darüber, von den Thessalonikern fern zu sein 15.