III.
Denn wer sollte ihn nicht für Gott halten und nicht anbeten, wenn er die Himmel geöffnet und ihn auf den Wolken berabkommen sähe, umgeben von allen Schaaren der himmlischen Mächte; wenn er die Feuerströme sich ergießen und Alle zitternd dastehen sähe? Sage mir nun, wird dieses Anbeten und Anerkennen dem Heiden als Glauben angerechnet werden? Keineswegs! Und warum nicht? Weil das kein Glaube ist, sondern die Wirkung einer von aussen zwingenden Macht und des Augenscheines; es ist nicht Sache des freien Willens, sondern die Seele wurde hingerissen durch die Größe der erschienenen Dinge. Je offenbarer und zwingender also die Thatsache ist, desto geringer ist das Maß des Glaubens. Darum geschehen jetzt keine Wunder mehr. Und damit du sehest, daß dem wirklich so sei, so höre, was er zu Thomas spricht: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“1 Je einleuchtender also das Wunder ist, welches gezeigt wird, desto geringer ist der Lohn des Glaubens. Wenn also auch jetzt noch Wunder geschähen, so würde gleichwohl das Nämliche gelten. Daß wir aber einst Gott nicht mehr durch den Glauben erkennen werden, zeigt Paulus an mit den Worten: „Denn jetzt wandeln wir im Glauben und nicht im Schauen.“2 Wie dir alsdann der Glaube nicht mehr wird angerechnet werden, weil die Sache einleuchtend ist, so auch jetzt, wenn solche Wunder, wie früher, geschähen. Wenn wir nämlich Das annehmen, was sich auf keinerlei Weise durch Vernunftgründe finden läßt, dann ist es Glaube. So ist die Hölle zwar angedroht, aber sichtbar ist sie nicht; denn woferne sie sichtbar wäre, so träte wieder der obige Fall ein. Übrigens wenn du Wunder suchst, so wirst du auch jetzt noch Wunder sehen, wenngleich nicht von derselben Art, wie jene: die zahllosen Vorhersagungen über zahllose Dinge, die Weltweisheit der Barbaren, die Umwandlung der wilden S. 96 Sitten, die Verbreitung der wahren Religion. „Aber welche Vorhersagungen?“ wirst du entgegnen. „Alle diese Vorhersagungen sind ja erst nachher aufgezeichnet worden.“ Wann? und wo? und von wem? Das sage mir; und vor wie vielen Jahren? Etwa vor fünfzig oder hundert Jahren? Also hatte man vor hundert Jahren gar nichts Geschriebenes gehabt? Wie konnte denn die Welt die Glaubenslehren und alles Andere behalten, da das Gedächtniß nicht ausreichte? Woher wußte man denn, daß Petrus gekreuzigt worden? Wie kam es denn den Leuten in den Sinn, solche Dinge der Nachwelt zu prophezeien, z. B. daß das Evangelium in der ganzen Welt werde verkündiget werden, daß der jüdische Staat aufhören und nie wieder hergestellt werden sollte? Wie konnten Diejenigen, welche für das Evangelium ihr Leben hinopferten, Dieses thun, da sie sahen, daß dasselbe erdichtet sei? Wie würde man Denjenigen, die es aufschrieben, Glauben geschenkt haben, da die Wunder aufhörten? Und wie konnte das geschriebene Evangelium zu den Barbaren, zu den Indern und sogar bis an die äussersten Grenzen des Meeres vordringen, da die Verkünder desselben nicht glaubwürdig waren? Welche Männer haben es denn geschrieben? Wann und wo? und aus welcher Absicht? Vielleicht um sich einen Namen zu machen? Warum gaben sie denn ihre Bücher unter fremden Namen heraus ? Oder wollten sie etwa die darin enthaltene Lehre empfehlen? Sahen sie diese als wahr an oder als falsch? Wenn sie dieselbe für Lüge ansahen, so ist es nicht einmal wahrscheinlich, daß sie sich damit abgegeben; wenn aber für Wahrheit, so bedürfte es keiner Erdichtung, wie du vorgibst. Zudem sind diese Vorhersagungen der Art, daß sie bis auf die gegenwärtige Zeit noch nicht könnten umgestoßen werden; denn die Zerstörung Jerusalems ist vor vielen Jahren geschehen. Es gibt aber auch andere Vorhersagungen, welche sich von jener Zeit bis zu seiner Ankunft erstrecken, und diese magst du untersuchen, wie du willst; z. B. „Ich bin bei euch allezeit bis an’s S. 97 Ende der Welt“;3 und: „Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen;“4 und: „Dieses Evangelium wird allen Völkern gepredigt werden;“5 und: „Wo immer das Evangelium wird gepredigt werden, wird auch gesagt werden, was dieses Weib gethan hat“6 — und viele andere. Woher also die Erfüllung dieser Vorhersagung, wenn sie erdichtet ist? Wie haben die Pforten der Hölle die Kirche nicht überwältigt? Wie ist denn Christus allezeit bei uns? Denn wäre er nicht fortwährend bei uns gewesen, so hätte die Kirche wohl nicht gesiegt. Wie wurde das Evangelium auf der ganzen Welt verbreitet? Es genügen schon Diejenigen, welche gegen uns geschrieben haben, für das Alter unserer Schriften Zeugniß zu geben, nämlich Celsus7 und nach ihm der Bataneote;8 denn Diese widersprechen nicht Dem, was nachher aufgeschrieben worden. Ausserdem gibt davon Zeugniß der ganze Erdkreis, der Dieses einstimmig annahm. Denn hätte Das nicht die Gnade des heiligen Geistes bewirkt, so wäre nicht von einem Ende der Welt bis zum andern eine solche Übereinstimmung gewesen, sondern man würde die Betrüger alsbald ergriffen haben, und aus Lug und Trug wären nicht so herrliche Dinge entstanden. Siehst du nicht, daß die ganze Welt den Glauben angenommen hat? daß der Irrthum verscheucht ist? daß die Philosophie der Mönche heller glänzt als die Sonne? Siehst du nicht die Chöre der Jungfrauen? die Gottseligkeit unter Barbaren? und wie sie sich unter ein Joch geschmiegt haben? Das ist aber nicht erst zu unserer Zeit S. 98 vorhergesagt worden, sondern schon einst durch die Propheten. Diese Vorhersagungen kannst du aber gewiß nicht bestreiten; denn diese Bücher befinden sich in den Händen unserer Feinde und bei den Griechen, von denen sich Einige bemühten, sie in die griechische Sprache zu übersetzen. Auch diese sagen Vieles voraus in Betreff des Christenthums, indem sie zeigen, daß Der, welcher da kommen soll, Gott sein werde.
Joh. 20, 29. ↩
II. Kor. 5, 7. ↩
Matth. 28, 20. ↩
Ebd. 28, 16. ↩
Ebd. 24, 14. ↩
Ebd. 26, 13. ↩
Celsus, gegen den Origenes schrieb. ↩
Porphyrios der Philosoph, einer der gelehrtesten Gegner des Christenthums im 3. Jahrhundert, war gebürtig aus Batanea, einem Dorfe in der Nähe von Thyrus in Cilicien. ↩
