II.
3. Denn wenn noch Eifersucht, Zwietracht und Parteigeist unter euch herrschen, seid ihr dann nicht sinnlich und wandelt wie (gewöhnliche) Menschen?
Er hätte ihnen Unzucht und Wollust vorwerfen können, allein er nennt vielmehr diesen Fehler, den er eben (an ihnen) bessern will. Wenn aber schon die Eifersucht die Menschen zu Sinnlichen macht, so bleibt wohl allen nichts Anderes übrig, als laut aufzujammern und in Sack und Asche Buße zu thun. Denn wer ist, wenn ich anders von mir auf Andere schließen kann, von dieser Leidenschaft frei? Wenn schon die Eifersucht die Menschen sinnlich macht und sie hindert, geistig zu sein, obgleich sie prophezeien und Wunder wirken mögen: was sollen denn wir, denen eine so große Gnade mangelt, aus uns machen, die wir nicht nur in diesem, sondern auch in andern, noch wichtigern Dingen schuldig befunden werden? Daraus lernen wir, daß Christus mit Recht gesagt hat: „Wer Böses thut, gelangt nicht zum Lichte,“1 und daß ein unreines Leben den erhabenen Lehren im Wege steht, indem es dem Geiste den Scharfblick benimmt. Gleichwie der Irrende, der einen rechtschaffenen Wandel führt, nicht im Irrthume verbleiben kann: so wird auch Derjenige, der an ein lasterhaftes Leben gewohnt ist, sich nicht leicht zu der Höhe unserer Lehren aufschwingen; wer nach Wahrheit strebt, muß von allen Leidenschaften rein sein. Wer davon frei ist, wird auch vom Irrthume befreit werden und zur Wahrheit gelangen. Glaube ja nicht, es genüge dazu schon, daß man kein Geizhals, kein Unzüchtiger sei: wer die Wahrheit sucht, bei dem muß Alles zusammenstimmen.2 Darum sprach Petrus: „In Wahrheit erfahre ich, daß bei Gott kein Ansehen der S. 135 Person gilt, sondern ein Jeder, aus welchem Volke er sei, besitzt sein Wohlgefallen, wenn er ihn fürchtet und recht thut.“3 das heißt, er ruft und zieht ihn zur Wahrheit. Siehst du nicht, wie Paulus der allerheftigste Gegner und Verfolger war? Und dennoch ward er angenommen und übertraf Alle, weil er ein untadeliges Leben führte und Jenes nicht aus menschlicher Leidenschaftlichkeit that. Sollte aber Jemand fragen, warum dieser oder jener Heide, der doch gut, rechtschaffen und menschenfreundlich ist, im Irrthum verharre, so möchte ich Folgendes antworten: Weil er eine andere Leidenschaft hat, — Ehrfurcht oder Trägheit der Seele, oder weil er glaubt, er könne unbekümmert um sein eigenes Heil sich so aufs Gerathewohl treiben lassen. Paulus aber versteht unter einem Manne, der recht handelt, Denjenigen, dessen Wandel in Hinsicht der gesetzlichen Gerechtigkeit4 in allen Stücken tadellos ist; und ferner sagt er: „Ich danke Gott, dem ich von meinen Vätern her diene mit reinem Gewissen.“5 Warum, heißt es, wurden denn Unreine des Predigtamtes gewürdigt? Weil sie es wollten und wünschten. Denn auch die Irrenden zieht Gott heran, wenn sie sich von Leidenschaften reinigen: die aber aus eigenem Antrieb kommen, stößt er nicht zurück: Viele aber haben den wahren Glauben von ihren Ahnen ererbt.
„Denn wenn noch Eifersucht und Zwietracht unter euch herrschen.“ Hier greift er nun auch die Untergebenen an; in dem Vorausgebenden hatte er die Machthaber bekämpft, indem er zeigte, daß die Redekunst keinen Werth habe; nun aber greift er die Untergebenen an mit den Worten:
4. Wenn nämlich Jemand sagt: ich halte es mit Paulus, ich mit Apollo; seid ihr da nicht sinnlich?
Und er zeigt, daß ihnen Dieses nicht nur Nichts ge- S. 136 nützt und Nichts eingebracht, sondern daß es sogar größere Vortheile verhindert habe. Denn es erzeugte die Eifersucht, und die Eifersucht machte sie sinnlich, die Sinnlichkeit aber gestattete ihnen nicht, auf das Höhere zu achten. „Wer ist denn Paulus? Wer ist Apollo?“ Nachdem er die Sache dargestellt und bewiesen hat, tritt er nun freimüthiger mit der Rüge hervor und nennt seinen eigenen Namen, um so alle Schärfe zu vermeiden und zu verhüten, daß sie über seine Worte aufgebracht würden. Denn wenn Paulus Nichts ist und Dieses verschmerzt, so hatten Jene um so weniger Grund, darüber zu zürnen. Er tröstet sie also auf doppelte Weise: nämlich dadurch, daß er sich selber nennt, und dann dadurch, daß er ihnen nicht Alles abspricht, als hätten sie Nichts beigetragen; Etwas, obgleich es wenig ist, schreibt er ihnen doch zu. Denn nachdem er gesagt hatte: „Wer ist denn Paulus? Wer ist Apollo?“ fügt er bei:
5. Was sind sie Anderes als Diener dessen, durch den ihr zum Glauben gelangt seid?
Das ist an sich etwas Großes und hoher Belohnung werth; aber im Hinblick auf das Urbild und die Wurzel des Guten ist es Nichts; denn nicht wer dem Guten dient, sondern wer es gibt und spendet, ist der Wohlthäter. Auch sagt er nicht: sie sind Evangelisten, sondern Diener, was mehr sagen will; sie haben nämlich nicht bloß das Evangelium gepredigt, sondern uns auch gedient; denn das Eine bezieht sich nur auf die Rede, das Andere faßt auch die That in sich. Wenn daher auch Christus bloß Diener des Guten und — als Sohn — nicht selbst Wurzel und Quelle desselben ist, so kannst du hieraus sehen, was Das heisse.
