III.
Wie sagt nun aber der Apostel, „daß Christus ein Diener der Beschneidung gewesen“?1 Dort redet er von S. 137 seiner menschlichen Natur und nicht auf dieselbe Weise, wie wir jetzt gesprochen haben: denn dort nennt er Diener Denjenigen, der das Gute übte, nicht Denjenigen, der es aus Eigenem mittheilte. Auch sagt er nicht: Die euch zum Glauben führen, sondern: „durch die ihr zum Glauben gelangt seid,“ wodurch er ihnen abermals Etwas mehr zugesteht und an den Tag legt, daß die Lehrer Diener seien. Wenn sie also einem Andern dienten, wie maßen sie sich denn die Herrschaft an? Betrachte mir aber, wie er sie keineswegs beschuldigt, als maßten sie sich die Herrschaft an, sondern deßhalb, daß sie diese Andern überließen: denn der Grund des Anstoßes lag im Volke; wie nämlich das Volk sich Jenen entzogen hätte, so war es um ihre Herrschaft geschehen. Zwei Dinge also hat er weislich ausgeführt, indem er ohne Erbitterung den Fehler von der entsprechenden Seite untergrub und so eine größere Kampflust von ihrer Seite vermied.
„Und zwar so, wie es der Herr einem Jeden gegeben hat.“ Denn auch das Wenige haben sie nicht aus sich selber, sondern von Gott, der es spendet. Damit sie ja nicht sagen möchten: Wie denn? Sollen wir Diejenigen nicht lieben, die uns dienen? spricht er: Allerdings; aber man muß wissen, in wie weit; denn die Sache kommt ja nicht von ihnen, sondern von Gott, der sie gegeben.
6. Ich habe gepflanzt, Apollo hat begossen, Gott aber hat das Gedeihen gegeben.
D. h. ich habe zuerst den Samen des (göttlichen) Wortes ausgestreut; damit aber die Saat nicht unter Trübsalen vertrocknen möchte, hat Apollo das Seinige beigetragen: das Ganze aber war Gottes Werk.
7. Daher ist weder Der Etwas, welcher pflanzt, noch Der, welcher begießt, sondern Gott, welcher das Gedeihen gibt.
Siehst du, wie er sie glimpflich behandelt, um sie nicht S. 138 zu erbittern durch die Fragen: „Wer ist Dieser und wer ist Jener“? Denn Beides ist gehässig, sowohl die Frage: Wer ist Dieser und wer ist Jener? als der Ausdruck: Weder der pflanzt, ist Etwas, noch Der, welcher begießt. Wie mildert er also die Rede? Sowohl dadurch, daß er sich selbst als nichtig hinstellt mit der Frage: „Wer ist denn Paulus? Wer denn Apollo?“ als auch dadurch, daß er das Ganze Gott zuschreibt, der es gegeben. Denn nachdem er gesagt, daß er gepflanzt habe, und weiter, daß Der, welcher gepflanzt hat, Nichts sei, fährt er fort: „sondern nur Gott, der das Gedeihen gibt.“ Er bleibt aber auch hier noch nicht stehen, sondern mildert die Sache auch noch auf eine andere Weise, indem er sagt:
8. Der da pflanzet und der begießet, sind Eins.
Dadurch strebt er auch noch etwas Anderes an, nämlich daß der Eine sich nicht über den Andern erbebe. Daß sie Eins seien, sagt er, um darzuthun, daß sie Nichts vermögen ohne Gott, der das Gedeihen gibt. Durch diesen Ausspruch gestattet er nicht einmal Denjenigen, welche viel gearbeitet haben, sich über Jene zu erheben, die weniger leisteten, und verhütet, daß die Einen die Andern beneiden. Damit nun aber der Umstand, daß Alle, sowohl die viel, als die wenig gearbeitet haben, gleich geschätzt werden, sie nicht träger machen sollte, so macht er Dieß wieder gut mit den Worten: „Ein Jeder aber wird seinen Lohn gemäß seiner Arbeit empfangen;“ es ist, als wenn er sagte: Seid darüber unbeiorgt, daß ich gesagt habe, sie seien Eins (gleich); sie sind gleich, wenn man ihr Werk mit dem Werke Gottes vergleicht; allein hinsichtlich der Arbeiten sind sie nicht gleich, sondern Jeder wird seinen eigenen Lohn empfangen. Nachdem er nun, wie er es wollte, Jenes gut gemacht hatte, redet er noch gelinder und erweist sich im Lobe, wo es sich thun läßt, sehr freigebig:
S. 139 9. Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld, seid Gottes Gebäude.
Siehst du, wie er auch ihnen keinen geringen Antheil zuweist, da er vorher bewiesen, daß Alles Gott zukomme? Denn weil er stets zum Gehorsam gegen die Vorgesetzten ermahnt, so will er auch die Lehrer nicht tief herabsetzen. „Ihr seid Gottes Acker.“ Weil er nämlich gesagt hatte: „Ich habe gepflanzt,“ so behält er die bildliche Redensart bei. Seid ihr aber Gottes Acker, so dürft ihr euch nicht nach Denjenigen, die den Acker bebauen, sondern nach Gott benennen; denn der Acker trägt ja nicht den Namen des Bebauers, sondern den des Hausvaters. „Ihr seid Gottes Gebäude.“ Wiederum führt das Gebäude nicht den Namen des Baumeisters, sondern des Eigenthümers; seid ihr aber ein Gebäude, so dürft ihr nicht getrennt sein; denn das wäre kein Bau mehr. Seid ihr ein Acker, so dürft ihr nicht zertheilt, sondern müßt durch eine Mauer der Eintracht umfriedet sein.
10. Nach der Gnade Gottes, die mir gegeben ist, habe ich als weiser Baumeister den Grund gelegt.
Er nennt sich hier weise, nicht um sich zu erheben, sondern um sich ihnen als Muster hinzustellen und zu zeigen, daß es ein Zeichen von Weisheit sei, einen Grund zu legen. Siehe, wie er Maß hält. Er nennt sich weise, aber er schreibt sich Dieß nicht selber zu, sondern nachdem er sich erst ganz seinem Gott übergeben, nennt er sich so; denn er sagt: „Nach der Gnade Gottes die mir gegeben ist.“ Er zeigt nämlich zugleich, daß sowohl Alles Gottes Werk sei, als auch, daß die Gnade besonders darin bestehe, nicht getrennt, sondern auf einen Grund gebaut zu sein. „Ein Anderer baut darauf; aber Jeder sehe wohl zu, wie er darauf baue!“ Hier scheint er die Gläu- S. 140 bigen, nachdem er sie vereinigt und zu einem Körper verbunden hat, zum Wetteifer in gutem Wandel anzufeuern.
11. Denn einen andern Grund kann Niemand legen, als der gelegt ist, und dieser ist Jesus Christus.
Niemand kann Dieses, solange er Baumeister ist; wurde aber ein anderer gelegt, so ist er kein Baumeister mehr.2
