III.
Wenn es daher die Noth gebietet, so gib auch diese hin. Wenn du aber das Leben liebst, und du, aufgefordert, dich weigerst, es hinzugeben, so bist du kein treuer Verwalter mehr. Und wie sollte es erlaubt sein, sich zu weigern, wenn Gott ruft? Das sage auch ich, und bewundere gerade darum am meisten die Menschenfreundlichkeit Gottes, weil er, was er dir gegen deinen Willen abnehmen könnte, nicht mit Zwang abnehmen will, damit du auch einen Lohn erlangest. So z. B. kann er dir wider deinen Willen das Leben nehmen; aber er will, daß du es freiwillig gebest, damit du wie Paulus sagen könnest: „Täglich sterbe ich.“1 S. 166 Er kann dir gegen deinen Willen deinen Ruhm nehmen und dich demüthigen; allein er will, daß du ihn freiwillig opferst, damit dir Das vergolten werden könne. Er kann dich gegen deinen Willen arm machen; allein er will, daß du es freiwillig werdest, damit er dir Kronen bereiten könne. Siehst du die Menschenfreundlichkeit Gottes? Siehst du unsere Trägheit? Bist du zu einer hohen Würde, zu einem erhabenen Kirchenamte gelangt? Sei nicht stolz darauf; denn nicht du hast dir diese Ehre erworben, sondern Gott hat dich damit bekleidet. Gehe also bebutsam damit um, als mit einem fremden Gute, mißbrauche sie nicht, erniedrige sie nicht zu ungeziemenden Dingen; sei nicht aufgeblasen, eigne dir selber Nichts zu, sondern halte dich für arm und ruhmlos. Wäre dir der kaiserliche Purpur zum Verwahren anvertraut, so dürftest du dieses Gewand nicht selber gebrauchen und verderben, sondern müßtest dasselbe mit größerer Sorgfalt bewahren für Denjenigen, der es dir anvertraut hat. — Hast du die Gabe der Beredsamkeit empfangen? Werde nicht aufgeblasen, prahle nicht mit derselben; denn es ist ja nicht dein Geschenk. Sei nicht undankbar in Bezug auf die Güter des Herrn, sondern theile sie unter deine Mitknechte aus; erbebe dich nicht darüber, als wären sie dein Eigenthum, und sei nicht sparsam bei ihrer Vertheilung. Und hast du Kinder, so hast du sie von Gott. Wenn du so denkst, so wirst du Gott danken, wenn du solche hast und dich nicht betrüben, wenn du sie verlierst. So dachte Job, der da sprach: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen.“2 Denn wir haben Alles von Christus, selbst das Dasein haben wir von ihm, und das Leben und das Athmen und das Licht und die Luft und die Erde; entzieht er uns nur Einen von diesen Gegenständen, so sind wir verloren und müssen sterben. Denn wir sind Beisaßen und Pilger. Denn das Mein und Dein sind bloß leere Namen. Sagst du, das Haus sei dein, so ist S. 167 Das ein Wort ohne die Sache; denn die Luft und die Erde und die Materie und du selbst, der du es gebaut hast, und alles Andere gehört dem Schöpfer. Und wenn auch die Nutznießung dein ist, so ist auch diese unsicher nicht bloß wegen des Todes, sondern auch schon vor dem Tode ob der Unbeständigkeit der irdischen Dinge. Das wollen wir uns also beständig einprägen und dadurch weise werden; wir werden so die zwei größten Vortheile gewinnen: wir werden im Besitze dieser Güter und beim Verluste derselben Gott danken und nicht Sklaven dessen sein, was vorübergeht und nicht uns gehört. Nimmt dir Gott Vermögen, Ehre, Ruhm und selbst Leib und Leben, so nimmt er sein Eigenthum; und nimmt er dir deinen Sohn, so ist es nicht dein Sohn, sondern sein Knecht, den er nimmt; denn nicht du hast ihn gebildet, sondern er hat Das gethan; du warst zu seinem Eintritt (in die Welt) nur ein zufälliges Werkzeug; Gott hat Alles bewirkt.
Laßt uns also Dank sagen, daß wir gewürdiget worden, zu diesem Werke Etwas beizutragen. Oder was wolltest du? ihn beständig besitzen? Dann bist du undankbar und weißt nicht, daß er einem andern angehörte und nicht dir. Gleichwie Diejenigen, welche dieß Ovfer bereitwillig bringen, wohl wissen, daß dasselbe nicht ihr Eigenthum war, so maßen sich Diejenigen, die (über den Verlust) trauern, das Eigenthum des Königs an. Denn wenn wir selbst nicht uns angehören, wie sollten Das unsere Kinder? Aus doppeltem Grunde gehören wir Gott an: wegen der Erschaffung und wegen des Glaubens. Daher sagt David: „Mein Leben steht bei dir“;3 und Paulus spricht: „In ihm leben wir, und bewegen wir uns und sind wir“.4 Und da er von dem Glauben redet, sagt er: „Ihr seid nicht euer eigen; ihr seid um hohen Preis erkauft worden.“5 S. 168 Denn Alles gehört Gott an. Wenn er nun ruft und abfordert, so laßt uns nicht wie undankbare Knechte die Rechenschaft fliehen, nicht das Gut des Herrn rauben. Deine Seele ist nicht dein, und dein Gut sollte dir angehören? Warum vergeudest du denn nutzlos, was nicht dein ist? Weißt du nicht, daß wir zur Rechenschaft gezogen werden, wenn wir davon einen schlechten Gebrauch machen? Weil es nicht uns gehört, sondern dem Herrn, ist es Pflicht, es den Mitknechten zuzuwenden. Darum wurde jener Reiche getadelt, weil er Dieß nicht gethan; so auch Diejenigen, die den Herrn nicht gespeist haben. — Sage also nicht: „Ich verzehre das Meinige, ich thue mir mit dem Meinigen gütlich“; denn du thust es nicht von dem Deinigen, sondern vom Fremden; ich sage: vom Fremden, weil du es so willst, während Gott will, daß Das dein Eigenthum werde, was er um der Brüder willen dir anvertraut hat. Das Fremde wird nämlich dein, wenn du es auf Andere verwendest; gebrauchst du es aber sckwelgerisch für dich selbst, so wird, was dein war, fremdes Gut. Denn darum nenne ich es fremdes Gut, weil du es kaltherzig verzehrst und behauptest, es sei recht, daß du allein von dem Deinigen lebest. Du und dein Mitknecht habt Alles gemeinschaftlich, so wie Sonne, Luft und Erde und alles Andere gemeinschaftlich sind. Es verhält sich mit dem Gebrauche der Güter wie mit dem Körper: der ganze Körper und jedes einzelne Glied hat seine Verrichtung. Will das einzelne Glied nur für sich allein wirken, so verliert es seine eigene Kraft.
